Bericht des NSU-Ausschuss in Thüringen: Behördenversagen auf 1.687 Seiten
Der Bericht des NSU-Ausschusses in Thüringen ist eine Ohrfeige für die Überwachungsbehörden. Die Linke fordert, den Verfassungsschutz abzuschaffen.
BERLIN taz | 1.687 Seiten zählt der Bericht, es sind 1.687 Seiten des Versagens. Seit Mittwoch liegt der Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses komplett vor, mitsamt Sondervoten aller Parteien. Er ist eine Ohrfeige für die Sicherheitsbehörden.
Zweieinhalb Jahre hatte der Ausschuss die Verbrechensserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ aufgearbeitet. Verfassungsschützer, Ermittler und Eltern des NSU-Trios wurden angehört. Thüringen war die Keimzelle des NSU: In Jena lebten die späteren Terroristen vor ihrem Untertauchen, hier begingen sie Überfälle, in Eisenach erschossen sich die Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Ihren Bericht verabschiedeten die 11 Abgeordneten einstimmig.
„Gravierende Missstände“ und „teils eklatante Fehler“, vermerkt der noch unveröffentlichte Bericht, der der taz vorliegt. Fahndungen nach dem untergetauchten Trio habe es „nur sporadisch“ gegeben, die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden war „mangelhaft“. Detailliert werden Pannen und verpasste Ermittlungsansätze aufgelistet.
Das Problem, so der Ausschuss: Die Ermittler „verkannten die Gefahr der Bildung einer rechten ’Terrorzelle‘“. Auch wurden Hinweise von V-Leuten aus der rechten Szene nicht aufgegriffen – aus einem „übersteigerten“ Quellenschutz heraus.
Seit Mittwoch liegen nun auch die Sondervoten der Fraktionen vor. Vor allem die Linkspartei verschärft dort noch die Kritik. Dem NSU-Versagen liege ein gesellschaftlicher Rassismus zugrunde, heißt in ihrem nochmal 86-seitigen Papier. Der sei in den 90er Jahren in Thüringen besonders gediehen. Vor allem der heimische Verfassungsschutz habe sich als „tendenziös“ und „demokratiefeindlich“ erwiesen.
Folgerichtig fordert die Linke die Abschaffung des Amtes. Auch ein neuer Untersuchungsausschuss müsse her, „angesichts der Vielzahl offener Fragen“. Am Ende gibt es auch noch einen Dank an Antifa-Recherchegruppen: Deren Erkenntnisse seien für den Ausschuss „unverzichtbar“ gewesen.
Die CDU hält dagegen am Verfassungsschutz fest. Der Bericht, so die Fraktion, vermittle zum Teil „eine unrealistische Sicht auf die Arbeitsweise von Polizei und Nachrichtendiensten“. Die FDP bedauerte, es sei nicht ausreichend gelungen, die NSU-Überfälle in Thüringen aufzuklären.
Kommende Woche soll der Bericht im Landtag vorgestellt werden – in Anwesenheit von Angehörigen der NSU-Opfer und ohne Parteiengezänk. Der laufende Wahlkampf, so die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD), soll dann ruhen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball