Ausstellung im Schwulen Museum Berlin: "Wahnsinnige Angst geschürt"
Die Ausstellung „Gauweilereien“ des Künstlers Philipp Gufler beschäftigt sich mit dem Umgang mit Aids in den 80ern und ist ab heute im Schwulen Museum zu sehen.
taz: Herr Gufler, der frühere CSU-Staatssekretär Peter Gauweiler schlug in den 1980er Jahren vor, Aidskranke zu internieren. Was interessiert Sie heute an dem Thema?
Philipp Gufler: 2013 hatte Gauweiler sein politisches Comeback als CSU-Vizechef. In den Zeitungen wurde seine Rolle während der Aidskrise mit keinem Wort erwähnt, obwohl sich darauf seine politische Karriere gründet. Ich habe mich mit seinem sogenannten Maßnahmenkatalog beschäftigt und Gespräche mit Zeitzeugen wie Guido Vael geführt, der 1984 die Münchner Aidshilfe mitgegründet hat. Dadurch habe ich erst verstanden, wie krass Gauweilers Maßnahmen waren. Es gab Razzien gegen Schwule und SexarbeiterInnen, Leute wurden zu HIV-Tests gezwungen, eine wahnsinnige Angst wurde geschürt. Zu Guido Vael hat Gauweiler mal gesagt, dass er die schwule Subkultur zerschlagen wolle.
In einer Videoinstallation fährt Ihre Kamera über Zeitungsausschnitte und Tagebucheinträge aus der damaligen Zeit, Fernsehinterviews sind zu hören: Es ist eine Chronologie der Aidskrise. Inwiefern geht Ihre Arbeit über eine Dokumentation hinaus?
Es geht mir nicht um eine wissenschaftliche oder objektive Darstellung. Als künstlerische Intervention habe ich Arbeiten von mir und anderen Künstlern verwendet, um die rein historische Repräsentation zu durchbrechen. Die meisten Dokumente stammen allerdings trotzdem aus dem Archiv „Forum Homosexualität München“ und decken die Zeit zwischen 1981 und 1990 ab. Es geht mir um die Frage nach Geschichtsschreibung: Was wird erzählt, und was fällt aus der Erzählung heraus? Deshalb wird der Film auch auf einen gewellten Stoff projiziert, er wirkt dadurch weniger statisch und geometrisch, stattdessen flüssiger. Das steht für einen bestimmten Umgang mit Geschichte.
Gauweiler und der Maßnahmenkatalog scheinen sehr auf Bayern beschränkt zu sein. Vielleicht fehlt deshalb eine breite Erinnerung?
Diskussionen zum Umgang mit Aidskranken gab es bundesweit. In Hessen hat man überlegt, die Genitalien von HIV-Positiven zu tätowieren, um sie zu markieren und andere zu warnen. Der Maßnahmenkatalog von Gauweiler wurde in Bayern ein Jahr lang angewendet. Viele Leute zogen aus Angst, ihre Aidserkrankung könnte öffentlich gemacht werden, von München ins liberalere Berlin, wo es auch eine Subkultur gab. Gauweiler hat tatsächlich mal den Namen einer Aidskranken an die Bild-Zeitung gegeben, und die hat dann ein Foto von ihr veröffentlicht. Franz Josef Strauß und Gauweiler wollten den Katalog auf ganz Deutschland ausweiten, das haben glücklicherweise vor allem Rita Süssmuth und die Arbeit der Aidshilfe verhindert. Aber es ging ja nicht nur um politische Repression, sondern auch um soziale – und die war beispielsweise auch in Berlin sehr groß.
In einem weiteren Teil der Ausstellung haben Sie Texte von sich, von dem bisexuellen Autor Hubert Fichte und anderen ineinander verwoben, ohne dass die Urheberschaft einzelner Teile nachvollziehbar wäre.
Ich möchte Authentizität infrage stellen. Geschichte, auch wenn ich im Jetzt lebe, fließt durch mich hindurch.
28, studierte an der Akademie der Bildenden Künste München, an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und an der Universiteit van Amsterdam. Er arbeitet mit Performances, Videoinstallationen und Druckgrafiken.
Im dritten Teil der Ausstellung haben Sie nach US-amerikanischem Vorbild Quilts genäht, unter anderem für den 1986 an Aids gestorbenen Fichte. Mit Quilts wurde und wird der Aidstoten gedacht, deren Krankheit und Tod damals tabuisiert wurden. Was verbindet Ihre drei Ausstellungsteile?
Zum einen die Aidsthematik. Außerdem geht es mir darum, historisches Material aufzugreifen und zu aktualisieren. Ich springe durch Zeiten und Identitäten. Das hat den Effekt, dass sich Identitäten auflösen. Da gibt es etwa einen Text, in dem ein Autor seine Psychose beschreibt. Die Krankheit löste seine Identität und seine Geschlechtsstruktur auf, es war ein becoming woman.
Die Psychose als höchste Form der Queerness?
(lacht) Nein. Ich finde solche Textbeispiele einfach sehr produktiv. Sie zeigen mir, wie soziale Repression einen Körper durchdringt.
Welche Verbindungen gibt es zwischen der damaligen Zeit, den 80ern, und der heutigen gesellschaftlichen Situation?
Die Videoinstallation „Projektion auf die Krise (Gauweilereien in München)“ ist meine Diplomarbeit, in München habe ich sie in der Akademie der Bildenden Künste gezeigt. Der CSU-Politiker Hans Zehetmair ist dort Ehrenmitglied. In den 80er Jahren hat er als damaliger Kultusminister gesagt, Schwule seien eine Randgruppe, die ausgedünnt werden müsse. Das ist Nazijargon. Es war für mich schon eine schizophrene Situation, als die Akademie dann meine Arbeit ausgezeichnet hat. Nach dem Tod von Strauß 1988 hat sich die Aidspolitik in Deutschland sehr verändert, aber Stigmatisierung findet auch heute noch statt. Dass die Sprache sich verändert hat, bedeutet nicht, dass es keine Diskriminierung mehr gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!