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Krieg im Osten der UkraineZwischen den Checkpoints

Unsere Autorin hat wochenlang aus dem ostukrainischen Donezk berichtet. Bis ihr die Raketen zu nahe kamen. Jetzt ist sie geflohen.

Werden sie durchwinken? Oder werden sie schikanieren? Soldaten in der Ostukraine. : Reuters

Der Krieg ist so eine Sache – er zwingt dich, dein Haus und deine Stadt zu verlassen. Irgendwann fragst du dich, ob du dich den bewaffneten Männern, die viel zu hasserfüllt sind, um deine Argumente zu hören, noch widersetzen kannst. Spätestens dann ist klar, dass du hier wegmusst.

Es gibt mehrere Fluchtwege, die aus Donezk herausführen. Jeder wird von den Separatisten kontrolliert. Über diese Checkpoints erzählt man sich in der Stadt Legenden wie von mythischen Fabelwesen. Es heißt, dort könne dir sonst was zustoßen. Davor haben viele Angst. Die einen glauben zu wissen, dass bei den Kontrollen Männer einberufen werden – für die Aufständischen. Oder für die Nationalgarde der ukrainischen Armee. Da kommt es ganz auf die Version an, die man gerade aufschnappt.

Andere berichten, dass die Separatisten alle Personen herausfischen, die ihnen nicht wohlgesinnt sind. Listen mit verdächtigen Personen besitzen sie tatsächlich. Wieder andere erzählen, dass Koffer durchsucht und Wertsachen abgenommen werden. Uns Donezkern erscheinen alle drei Varianten realistisch, denn unsere Wahrnehmung ist vom Krieg angeschlagen. Viele, die Donezk verlassen, denken noch einmal über all diese Mythen nach, über die Gefahren.

Niemand wurde kontrolliert

Valerija Dubova

25, ist Ukrainerin und hat in Donezk für das Nachrichtenportal www.ngo.donetsk.ua und für Radio Free Europe/Radio Liberty gearbeitet. Mit ihrem Freund, der auch Journalist ist, verließ sie am Donnerstag Donezk. Sie fühlten sich zunehmend von den Separatisten bedroht. Dubova will so bald wie möglich zurück.

Der Zugverkehr ist unzuverlässig, jeden Tag werden Stationen geschlossen. In den vergangenen Tagen wimmelte es deshalb nur so von Autos, die an jedem Fenster die Aufschrift „Kinder“ trugen. Dabei befinden sich längst nicht in jedem Auto nur Kinder. Aber bisher scheint der Trick zu funktionieren.

Vor uns fuhr eine ganze Kolonne mit fünf Wagen einfach durch einen Checkpoint, niemand wurde kontrolliert. Auch diese Wagen trugen weiße Fähnchen und die Aufschrift „Kinder“. Drinnen habe ich nur zwei Kinder erkennen können. Auch mit Reisebussen kann man die Stadt noch verlassen, auch wenn die Schlangen an der Kasse lang sind. Das hält die Menschen aber nicht ab, sich Tickets zu holen.

Die Entscheidung, sein eigenes Haus aufzugeben, ist nie leicht, vor allem wenn man weiß, dass es bei der Rückkehr vielleicht nicht mehr stehen wird. Die Explosionen rückten aber immer näher an uns heran, Nacht für Nacht.

Wir müssen hier weg

Also beschlossen mein Freund und ich, die Stadt frühmorgens mit einem Minibus zu verlassen. Davor konnten wir kaum schlafen. Hatten wir den Fluchtweg gut genug geplant? Hatten wir alle gefährliche Telefonnummern und Apps von unseren Handys gelöscht? Wer etwa den Kurznachrichtendienst Twitter nutzt, gilt den Separatisten schon als verdächtig.

Die Leute erzählen davon: „Ich habe die Stadt vor zwei Wochen im Auto verlassen. Mir wurden nicht viele Fragen gestellt, aber sie haben mein Handy durchsucht. Sie tippten Nummern aus ihrer Liste hinein, um zu prüfen, ob ich sie zuvor gewählt hatte. Auf ihrer Liste standen zum Beispiel die Nummern der Hotline des Inlandsgeheimdienstes der Ukraine und anderer Organisationen, die gegen den Terrorismus kämpfen. Sie hatten mich wohl im Verdacht, ein Spion zu sein“, sagt Nikita.

Vor allem fragten wir uns immer wieder, ob jetzt wirklich der beste Zeitpunkt für die Flucht gekommen war. Sollten wir nicht doch noch ein wenig warten? Während wir so haderten, sahen wir einen Feuerschein vor dem Fenster. Kurz darauf hörten wir eine Explosion. Der Feuerschweif war gradlinig und zielgerichtet. So etwas hatten wir bisher noch nicht gesehen, nicht so nah. Jetzt gab es keine Zweifel mehr, wir mussten hier weg.

„Sind hier Nazis unterwegs?“

Am Morgen drängten wir uns in den Minibus, der uns aus Donezk bringen sollte. Große Reisetaschen versperrten den Weg. Als noch Frieden war, fuhr diese Linie die Einwohner von Donezk ans Schwarze Meer, zur Erholung. Dem vielen Gepäck nach zu urteilen, verlassen die Passagiere Donezk jetzt für einen längeren Zeitraum.

Unser Fahrer kennt sich aus, deswegen fahren wir nicht durch den bekanntesten Checkpoint der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, wo es besonders viele versuchen. Unser erster Kontrollpunkt befindet sich auf einer Brücke. Er sieht bescheiden aus. Es gibt nur wenige Bewaffnete, nicht sehr viele Sandsäcke, und trotzdem ist das ein Bild, das sich einprägt.

Ein junger Mann, seinem Aussehen nach um die 18 Jahre alt, hält unseren Bus an und fragt nach dem Ausweis unseres Fahrers. Der Junge ist nicht groß, die Uniform betont nicht sein Männlichkeit, sondern lässt ihn jung und verletzlich wirken. Er wirft einen Blick auf den Pass, steckt seinen Kopf in den Bus und fragt: „Sind hier Nazis unterwegs?“ Es ist wohl als Witz gemeint. Eine Frau antwortet müde: „Nein.“ Wir fahren weiter, zum nächsten Checkpoint.

Eine seltsame innere Ruhe

Ich muss an das denken, was mir die Aktivistin Lida einmal erzählt hat: „Wenn Sie die Stadt mit dem Auto verlassen, fahren Sie nicht über die Felder, die sind vermint. Wir waren einige Tage mit dem Auto unterwegs und haben den Weg erkundet. Erst die Abschnitte an den Kontrollpunkten der ukrainischen Armee sind frei von Minen.“

Ich drehe mich um. Da sind sie noch, die Umrisse von Donezk.

Am nächsten Checkpoint ist mehr los, dort stehen auch mehr Panzer. Die Männer in Uniform werfen einen Blick in unseren Bus. Sie halten uns nicht an. Wir atmen auf.

Einige Kilometer weiter erscheint dann der erste Checkpoint der ukrainischen Armee. Man erkennt ihn an seiner blau-gelben Flagge. Die Sandsäcke und Betonplatten sind schon von Weitem zu sehen. Die Separatisten im Gebiet Donezk hängen an jedem Kontrollpunkt verschiedene Flaggen auf. Mal die der Volksrepublik Donezk, dann die der Region Neurussland oder die russische und auch immer wieder die sowjetische mit dem Hammer und der Sichel.

Die ukrainische Armee hisst wie gewohnt die ukrainische Flagge. Als ich sie an dem Kontrollpunkt erblicke, steigen Emotionen in mir hoch. Seit Beginn dieses Krieges bin ich den Anblick meiner eigenen Flagge nicht mehr gewohnt. In Donezk gibt es sie nicht mehr. Dass ich hier plötzlich wieder die Nationalfarben sehe, kann ich kaum glauben. In diesem Moment empfinde ich eine merkwürdige innere Ruhe. Ich habe einen ukrainischen Pass, ich bin Bürgerin dieses Landes, und ich habe Rechte. Wer war ich schon in der Volksrepublik Donezk?

Manche Straßen sind von den Panzerketten zerstört

Am ukrainischen Kontrollpunkt stehen einige gepanzerte Wagen, von ausgehobenen Gräben umgeben. Unweit von hier befindet sich ein Lager der Armee. Soldaten mit müden Gesichtern sitzen vor Betonplatten und trinken ihren morgendlichen Tee. In der Nacht haben sie wahrscheinlich mit Ferngläsern den feindlichen Kontrollpunkt beobachtet.

Später, an einem anderen ukrainischen Checkpoint, werfen zwei Soldaten einen Blick in den Bus und grüßen uns. Wir sind überrascht. Im Krieg ist sonst kein Platz für Höflichkeiten. Wir dürfen weiterfahren.

Manche Straßen sind von den Panzerketten zerstört. In Donezk gibt es aber deutlich mehr solcher Spuren der Zerstörung. Ob es daran liegt, dass die Separatisten besser ausgestattet sind als die ukrainische Armee? In den Straßen flattert jetzt überall die ukrainische Flagge, an den Häusern, Autos und Cafés.

Eine Stunde später haben wir den letzten ukrainischen Kontrollpunkt überquert. Männer werden hier besonders genau kontrolliert, um zu verhindern, dass Separatisten fliehen können. Aus dem Fenster sehen wir eine Art Bunker. Nicht weit davon sind Militärzelte aufgeschlagen worden.

Wieder grüßen uns Soldaten und bitten die Männer im Bus, den Pass vorzuzeigen. In Donezk hatte man uns ja noch erzählt, ausnahmslos alle Männer würden für die Nationalgarde zwangsrekrutiert werden. Die Männer in unserem Bus will hier offensichtlich keiner haben. Wir dürfen weiter.

(Übersetzt aus dem Russischen von Ljuba Naminova)

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