Piraten-Abgeordneter in Berlin: Nicht mehr immun gegen rechts
Ein Pirat verliert wegen Ermittlungen gegen ihn seine Immunität. Es könnte sich um einen bekannten Trick von Neonazis handeln.
Der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses hat am Mittwochabend die Immunität des Piraten-Abgeordneten Oliver Höfinghoff aufgehoben. So viel ist sicher. Ansonsten bleiben bei der Betrachtung des Falles viele Fragen offen.
Doch der Reihe nach. Am besagten Mittwoch tagte der Rechtsausschuss des Parlaments. Die ursprünglich vorgesehene Tagesordnung war kurzfristig ergänzt worden: „Antrag auf Entscheidung über die Aufhebung einer Immunität eines Mitglieds des Abgeordnetenhauses auf Antrag des Leitenden Oberstaatsanwalts in Berlin“, hieß es in dem ergänzenden Dokument. Gemeint war Piraten-Politiker Höfinghoff, der momentan wohnungspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist und von Juni 2013 bis Mai 2014 ihr Vorsitzender war. Abgeordnete genießen generell Schutz vor Strafverfolgung. Mit der Aufhebung der Immunität kann gegen Höfinghoff nun ein Strafverfahren eingeleitet werden.
Was wird dem Abgeordneten vorgeworfen? Laut Polizeimeldung vom 20. Mai vergangenen Jahres soll der 37-Jährige tags zuvor am S-Bahnhof Buch mit „mehreren Personen“ im „Anschluss an eine Demonstration […] drei Angehörige der rechten Szene mit einer Fahnenstange“ attackiert und mit „mehreren Flaschen“ beworfen haben. Als die angegriffenen Neonazis in eine Imbissbude flüchteten, soll Höfinghoff mit seinen Begleitern Flaschen und Stühle gegen das Geschäft geworfen haben. Höfinghoff sowie ein 25-jähriger Begleiter wurden vorübergehend festgenommen. Außerdem wird ihm vorgeworfen, auf einer Demonstration im Oktober die Festnahme eines Demonstranten behindert zu haben. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, sprach am Mittwochabend im RBB von einem „hinreichenden Tatverdacht“.
Bei der Demonstration vom Pfingstsonntag 2013 handelte es sich um einen „antifaschistischen Putzspaziergang“. Dieser wird regelmäßig von einem breiten Bündnis im Pankower Ortsteil Buch durchgeführt. Dort entfernen die Teilnehmer rechtsextreme Aufkleber und Plakate aus dem Stadtbild. Die Linken-Abgeordnete Elke Breitenbach war damals auch dabei. Zwar habe sie die Auseinandersetzung am S-Bahnhof nicht miterlebt, sagt sie der taz. Aber sie kann sich erinnern, auf dem Heimweg vom Spaziergang „Nazis auf dem Weg zur Kundgebung“ gesehen zu haben. Auch der Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich war am „Putzspaziergang“ beteiligt. Es habe sich um eine „sehr friedliche Veranstaltung“ von 30 bis 40 Leuten gehandelt. Ihm und Breitenbach zufolge gebe es in Buch eine feste Neonazi-Struktur, die alle bedrohe. Angriffe auf Partei-Infostände seien dort die Regel.
Linken-Abgeordnete Breitenbach kennt Höfinghoff persönlich. Sie kann sich nicht vorstellen, dass er direkt in den gewalttätigen Vorfall am S-Bahnhof verwickelt gewesen sei. „Abgesehen davon gilt erst einmal die Unschuldsvermutung“, so Breitenbach zur taz. Diese Version stützt auch die Aussage eines nach eigenen Aussagen an der Auseinandersetzung Beteiligten, der anonym bleiben möchte. Der taz sagte er, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Höfinghoff haltlos seien und dass der Piraten-Politiker nicht an dem Angriff auf die Rechten beteiligt war.
Beim Kläger handelt es sich nach taz-Informationen um den stadtbekannten Neonazi Christian S., er gehört dem rechtsextremen Netzwerk Nationaler Widerstand Berlin an. S. soll auch Verbindungen zum Pankower Kreisverband der NPD haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass Neonazis absichtlich bekanntere Personen im Zusammenhang mit Zusammenstößen anzeigen. Breitenbach sprach diesbezüglich von einer „bekannten Taktik“. Auf diese Weise bekämen die klagenden Neonazis private Adressen der Angeklagten, in diesem Fall Höfinghoffs, übermittelt.
Im Abgeordnetenhaus sind die Reaktionen auf die Causa Höfinghoff bisher verhalten. Der Piraten-Fraktionschef Martin Delius und Christopher Lauer, Vorsitzender des Landesverbands, bekundeten via Twitter ihre Solidarität mit dem Parteifreund. Von Oliver Höfinghoff selbst hört man zur momentanen Situation nichts. Über seine Anwälte wurde bekannt, dass er die Vorwürfe zurückweise und rasch entkräften wolle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Solidaritätszuschlag in Karlsruhe
Soli oder Haushaltsloch
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?
Belästigung durch Hertha-BSC-Fans
Alkoholisierte Übergriffe im Zug