Landesparteitag der Berliner Grünen: „Kein einfaches Ja zu Olympia“
Beim Grünen-Landesparteitag will der Kreisverband Kreuzberg ein Nein zu Olympia erzwingen. Landeschef Wesener lehnt eine so frühe Festlegung ab.
taz: Herr Wesener, die Kreuzberger Grünen wollen am Samstag beim Landesparteitag ein „Nein“ zu Olympischen Spielen durchsetzen, die Abgeordnetenhausfraktion hingegen hat sich einer Bewerbung nicht verschlossen. Was sagen Sie als Landesvorsitzender?
Daniel Wesener: Als Grüne haben wir vor allem einen großen Konsens: Wir sind alle ausgesprochen skeptisch, was eine Olympiabewerbung angeht, wir stellen eine ganze Reihe von Bedingungen und haben viele Fragen. Um mal zwei herauszuheben: Ist mit diesem IOC ein demokratisches Olympia möglich? Und: Ist dieser Senat in der Lage, ein Beteiligungs- und Finanzierungskonzept zu erarbeiten, das auch trägt?
Der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg will aber ein „Nein“, bevor diese Fragen beantwortet sind.
Stimmt. Genauso wie in der Stadt, die laut Umfragen bei Olympia fifty-fifty gespalten ist, gibt es nicht nur in diesem Kreisverband Grüne, die sagen: Die ganzen Bedingungen sind richtig, aber wir glauben nicht, dass dieses IOC und dieser Senat sie erfüllen können. Sie kommen deshalb schon heute zu dem Schluss, dass eine Olympia-Bewerbung keinen Sinn macht. Andere sagen: Auch wir haben Bedenken, aber lasst uns abwarten, was sich bei der nächsten Sondersitzung des IOC im Dezember tut und wie das Konzept des Senats aussieht.
Da spricht Sportsenator Frank Henkel bisher von 2,4 Milliarden Euro. Ist das realistisch?
Wir Grüne halten diese Summe nicht für seriös. Das ist doch völlig unrealistisch.
Was wäre denn für Sie realistisch?
Wir stellen ja fest, dass bei vergangenen Olympischen Spielen die Kostenansätze höher waren und trotzdem bei weitem überschritten worden sind. Und da fällt mir in Berlin natürlich eine Parallele ein: Ein Senat, der nicht in der Lage ist, ein Großprojekt wie den BER fristgerecht und im geplanten Kostenrahmen zu vollenden, der muss sich schon die Frage gefallen lassen: Ist er fähig ein weiteres Großprojekt namens Olympia zu stemmen?
geb. 1975, ist seit März 2011 gemeinsam mit Bettina Jarasch Vorsitzender des Berliner Landesverbandes von Bündnis 90/Die Grünen. Er wird dem linken Flügel der Partei zugerechnet.
Es ist einfach und verspricht Beifall, das IOC wie Ihre Kreuzberger Parteifreunde als „arrogenter machtpolitischer Dinosauerier“ abzukanzeln. Doch wie kann man auf Veränderungen drängen, wenn man sich selbst aus dem Spiel nimmt?
Das ist auch für mich ein wichtiges Argument zu sagen: Lasst uns abwarten, ob sich etwas tut. Ich halte allerdings die Kritik am IOC in der Sache für völlig gerechtfertigt.
Die Gegner können seit vergangener Woche auch auf Oslo im skibegeisterten Norwegen verweisen, das seine Bewerbung für Olympia 2022 nicht aufrecht hält. Doch wenn alle Bewerber aus westlichen Demokratien zurückziehen, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Spiele nur noch in Länder gehen, in denen Ökologie und Menschenrechte eine untergeordnete Rolle spielen.
Gegenfrage: Ist es besser, wenn Demokratien Abstriche an demokratischen Standards, an Transparenz und Bürgerrechten machen, um Olympische Spiele austragen zu dürfen?
Gefoltert oder weggesperrt würde doch in Berlin auch dann keiner, wenn das IOC das Sagen hat.
Mir reicht das nicht. Es steht beispielsweise zu befürchten, dass das IOC der Stadt ein Sicherheitskonzept abverlangt, das in Bürgerrechte eingreift und eine Überwachung des öffentlichen Raums mit sich bringt, die für uns nicht akzeptabel ist.
Die Befürworter versprechen sich von Spielen einen Schub für die Infrastruktur, die Kritiker sagen: Wir brauchen jetzt neue Wohnungen und nicht erst 2024 mit einem vormaligen Athletendorf. Aber nach allen Prognosen wird Berlin auch dann noch weiter wachsen und neue Wohnungen brauchen.
Berlin braucht sicherlich jetzt und in der Zukunft neue und vor allem günstige Wohnungen. Wenn das ein Aspekt einer Olympiabewerbung wäre, wäre das gut. Aber gleichzeitig will der Senat eine Milliarde für temporäre Sportanlagen ausgeben, die nach den Spielen dann wieder abgerissen werden. Das finde ich falsch, denn dieses Geld wäre im sozialen Wohnungsbau, bei der Bildung oder der Verkehrsinfrastruktur besser investiert.
Wäre ein Nein zum jetzigen Zeitpunkt nicht grundsätzlich unlogisch? Die Grünen rufen doch nach Bürgerbeteiligung, würden aber mit einer frühen Absage ihre eigene Beteligung verweigern.
Es ist doch bezeichnend, dass die beste Beteiligung bei Olympia gegenwärtig nicht der Senat macht, sondern zivilgesellschaftliche Organisationen wie der BUND und der Landesportbund. Gerade der LSB, als Lobby des Berliner Sports, teilt ja unsere Skepsis in vielen Punkten
... und sagt trotzdem klar, dass er einer Bewerbung grundsätzlich positiv gegenüber steht.
Auch wir als Grüne müssen irgendwann sagen: Befürworten wir eine Bewerbung oder nicht? Dieser Zeitpunkt ist aber zumindest an diesem Samstag noch nicht gekommen.
Um die Abstimmung über den Kreuzberger Antrag kommen Sie aber beim Parteitag nicht herum. Was ist denn Ihre Prognose für den Ausgang?
Wir werden sehen. Aber bei einer Sache lege ich mich fest: Ich glaube, dass wir am Samstag sehr deutlich herausarbeiten werden, dass wir Grünen einer Olympia-Bewerbung außerordentlich skeptisch gegenüber stehen. Ein einfaches Ja zu Olympia wird es mit uns ganz bestimmt nicht geben.
Olympia scheint ja generell ein Reizthema für die Grünen zu sein. Claudia Roth war als Bundeschefin sogar im Kuratorium der Bewerbung von Garmisch-Partenkirchen, als sich 2010 ein Parteitag gegen Olympische Spiele dort aussprach.
Das stimmt, aber ein Reizthema ist Olympia nicht nur für uns Grüne. Gerade in Berlin zeigt sich ja, dass eine solche Bewerbung stellvertretend für viele andere Fragen verhandelt wird: Wie sieht nachhaltige Stadtentwicklung aus? Wie gehen wir mit Großprojekten um? Wie und wo wollen wir in der Stadt investieren? Und letztlich wollen wir doch alle wissen: Was hat Berlin von Olympischen Spielen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
CO₂-Fußabdruck von Superreichen
Immer mehr Privatjets unterwegs