Freies WLAN: Die Netzwerk-Partisanen
Die Bewegung der Freifunker will dem Internet der Konzerne ein eigenes Netzwerk entgegenzusetzen. In Hamburg sind sie damit so weit wie nirgends sonst in Deutschland.
HAMBURG taz | Der Summer ertönt. Andre Schmidt drückt die Eingangstür der alten Viktoria Kaserne in Hamburg-Altona auf. Einen Schlüssel hat er nicht, stattdessen hat er sein Smartphone per WLAN mit einem Mini-Computer verbunden. Seine persönliche Kennung funktioniert als virtueller Schlüssel. Im Vereinsraum des Chaos Computer Clubs (CCC) im Ostflügel des Backsteinbaus angekommen, tippt Schmidt wieder einen kurzen Befehl in sein Handy, dann geht das Licht an. Neonröhren tauchen den großen Raum in pinkes, grünes und blaues Licht. Gleich treffen sich hier Hamburgs Freifunker, oder zumindest ein paar davon.
An der Fensterfront stehen einige ausrangierte Sofas, in der Mitte des Raumes ein großer Konferenztisch, mit Telefon und Steckdosen darauf. Die grünen LED-Lämpchen eines Servers blinken hinter einer Glasscheibe. Neue Router und Richtfunkantennen liegen verpackt in einer silbernen Alukiste, unter der Decke hängt ein Banner mit der Aufschrift „Freies WLAN für Hamburg“.
Dafür kämpft Schmidt. „Das Internet ist kaputt“, sagt er. Das habe spätestens der NSA-Skandal bewiesen. Eine eigene Infrastruktur sei wichtig, „wegen dieser ganzen Überwachungsscheiße“. Deshalb macht der 35-Jährige bei Freifunk mit, einer Initiative, die ein unkommerzielles, lokales Netzwerk in Hamburg und vielen anderen deutschen Städten aufbaut. Jeder kann für 16 Euro einen Freifunkrouter kaufen – und sein Internet teilen. Leute auf der Straße oder Nachbarn können sich dann kostenlos ins Internet einwählen.
Eigentlich geht es den Machern aber darum, unabhängig lokale Inhalte anzubieten. Die Freifunkrouter schaffen untereinander per Funk ein eigenes Netzwerk, in dem Nutzer Daten austauschen, telefonieren oder gegeneinander spielen können – ganz ohne Internet.
Schmidt ist Ingenieur bei „einem internationalen Flugzeugbauer in Hamburg“. Wie ein Nerd sieht er nicht aus, eher hip: die blonden Haare und der Vollbart sind akkurat gestutzt, die Klamotten schwarz, die Turnschuhe haben weiße Streifen. Vor den Fotos zieht er sich noch schnell ein Shirt mit Freifunk-Emblem an. Schmidt macht die Pressearbeit für die Initiative. Auf seinem Laptop kleben neben dem Apfel-Logo Aufkleber von Amnesty International und einer mit einem Affen und dem Spruch „A better tomorrow“.
Schmidt steckt seine komplette Freizeit in den Netzausbau, nebenher betreut er noch ehrenamtlich die Website von Greenpeace Hamburg. „Ich will irgendwie die Welt verbessern“, sagt er und lächelt schief. Für ihn ist Freifunk ein soziales Projekt: „Wir wollen der digitalen Spaltung entgegenwirken.“
Dank Freifunk können auch Menschen im Internet surfen, die kein Geld für einen Vertrag haben – wie die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg. Als die im vergangenen Jahr in der St. Pauli Kirche Asyl suchten, spendeten die Freifunker vier Router. So konnten die Flüchtlinge mit der Außenwelt kommunizieren, wenn sie sich aus Angst, verhaftet zu werden, nicht vor die Tür wagten.
Trotzdem gebe es unter den Freifunkern keine gemeinsame politische Linie, sagt Schmidt. „Obwohl es natürlich schon so ist, dass sich positive Eigenschaften bei linken Leuten ansammeln“, er lächelt wieder.
Langsam füllt sich das Chaos Café – mit Männern. Eine Tagesordnung gibt es nicht. Zwölf Freifunker sind gekommen, sitzen am großen Tisch vor ihren Laptops, tippen in die Tasten oder plaudern über den Straßenwert von Festplatten, die Optimierung ihres Twitter-Accounts und Softwarefehler. Einer lässt eine Leinwand herunter und projiziert die so genannte Knotenkarte auf die weiße Oberfläche. Darauf ist eine Hamburgkarte mit den Standorten aller Freifunkrouter abgebildet. Lauter kleine blaue Punkte.
Flächendeckend ist das Netz längst nicht, aber es wächst im Schnitt um einen Router pro Tag. Gerade sind 621 Freifunk-Router aktiviert. Für Schmidt ein Tropfen auf dem heißen Stein. 600 Router in Altona fände er gut.
Trotzdem ist er ein bisschen stolz darauf, dass die Hamburger innerhalb von zwei Jahren das größte Freifunknetz Deutschlands geschaffen haben. In Berlin gibt es laut Freifunk-Website nur 274 Router. An einigen Stellen wirkt die Hamburger Knotenkarte trotzdem kahl. Schmidt deutet auf die Stellen: „In reichen Stadtteilen wie Winterhude oder Blankenese gibt es Freifunk nicht.“ Er vermutet, dass die Leute in einkommensschwächeren Gegenden eher dazu bereit sind, zu teilen. Andere seien vielleicht reich, weil sie nicht so gerne teilen.
In Altona wird auf der Hamburgkarte bald ein weiterer blauer Punkt aufpoppen: Friederike ist gekommen, um ihren zweiten Router abzuholen. Sie will ihr Netz in einem größeren Radius um ihre Wohnung teilen. „Ich möchte, dass auch Leute mit Schufa-Eintrag Internet haben können“, sagt die 34-Jährige. Sie trägt einen schwarzen Kapuzenpulli und einen Nasenring, um den Bauch hat sie eine schwarze Bauchtasche mit Reißverschluss geschnallt.
Friederike will sich von großen Unternehmen unabhängig machen. Das Funknetz zwischen den Routern ist für sie praktisch, um sich etwa für Demos zu vernetzen, ohne das Internet zu benutzen.
Auch für Schmidt ist diese Unabhängigkeit wichtig. „Heute leben wir in einer Demokratie, aber morgen kann das ganz anders aussehen“, sagt er. Kippt das System, stünde das krasseste Überwachungsnetz der Geschichte schon bereit. Das findet er gefährlich. Der Massenmord an den Juden sei für die Nazis nur deshalb so leicht gewesen, weil in Deutschland und den Niederlanden die Religionszugehörigkeit akribisch dokumentiert gewesen sei. „Deshalb sollte man private Daten schützen“, sagt Schmidt und schwenkt energisch die Mate-Flasche in seiner Hand.
Unter den Hamburger Freifunkern sind Maurer, Ingenieure, Informatiker und Kindergärtner, doch ohne ein Interesse an Technik geht es nicht. Schmidt erzählt, dass er als Kind mit einem Freund und dessen Vater per Netzwerk das Ego-Shooter-Spiel „Doom“ spielte. „Mir sind die Finger eingefroren, so aufgeregt war ich.“
Noch heute fasziniert ihn, dass Computer miteinander sprechen können. Bei Freifunk lernt er nun, wie das funktioniert. Jeder kann sich hier ausprobieren, einen Server administrieren, einen Rooter mit Software bespielen, ein Banner entwerfen oder sich einfach informieren.
Der Einladung ist Ingo Weber gefolgt. Der 71-jährige Funkamateur trägt eine Krawatte mit Schiffsaufnäher, er ist hier, weil er sich wegen der Störerhaftung absichern will, bevor er ein Freifunknetz in Buxtehude aufbaut. Auch mit dem Pastor seiner Kirchengemeinde hat er schon gesprochen, damit er eine Richtfunkantenne auf dem Kirchturm anbringen darf. „Es ärgert mich, wenn die großen Firmen solche Netze bauen und alle Nicht-Kunden zahlen müssen“, sagt er. Zum Freifunk ist er über die Volkshochschule gekommen.
Auch der Informatikstudent Nico Schümann arbeitet seit einiger Zeit mit. Auf seinem Desktop verfolgt der 23-Jährige gerade live die Knotenstatistik seines Routers „Taubengrill 2“. In diesem Moment versorgt er sieben Geräte mit Internet. „Ich mag die Idee von einem Netzwerk ohne Kosten und Zensur – frei von staatlichen Einflüssen“, sagt Schümann. Diese Grundhaltung teilten alle im Raum, meint er. „Es ist aber nicht so ein FDP-liberal, manche sind gar nicht politisch“, er bricht ab.
Das Telefon in der Mitte des Tisches klingelt. Noch ein Freifunker steht vor der Eingangstür und möchte hereinkommen. Schmidt zückt sein Smartphone, aber der Türöffner funktioniert nicht. Auch sein Sitznachbar versucht es; ratlose Gesichter.
Nach kurzer Zeit kommt der Neuankömmling mit einem breiten Grinsen zur Tür herein: „Ich hab das Problem jetzt manuell gelöst.“
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