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Kommentar FlüchtlingspolitikMindeststandard Menschlichkeit

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Das Gerede von „Wirtschaftsflüchtlingen“ lenkt ab von den Schicksalen der betroffenen Menschen. Es bleibt die Pflicht, ihnen zu helfen.

Ein griechischer Rot-Kreuz-Helfer mit einem im Mittelmeer geretteten Flüchtlingskind. Bild: ap

ber sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge wird hierzulande gern geredet, als handele es sich um Trickbetrüger, die redliche Menschen um ihr sauer verdientes Geld bringen wollen. Was für ein Zynismus. Schließlich muss man sehr verzweifelt sein, um sich in einem Schlauchboot aufs offene Meer zu wagen. Und in welcher Situation befindet sich wohl eine Familie, die ihr letztes Geld für einen Schlepper zusammenkratzt, wenigstens einen der Ihren auf den Weg zu schicken? Hinter jedem einzelnen Flüchtling steht eine lange Geschichte von Elend und Angst.

Das abfällige Gerede über „Wirtschaftsflüchtlinge“ ist ein bequemer Weg, um die Einzelschicksale nicht an sich herankommen zu lassen. Sonst müsste man ja Mitleid empfinden. Und dann? Dann wird es richtig schwierig.

Für das grundsätzliche Problem gibt es nämlich keine Lösung, die menschlich vertretbar und zugleich realistisch ist. Gut gemeinte Ratschläge, die auf die Verbesserung der Lage in armen Ländern abzielen, werden niemandem kurzfristig helfen. Und es ist wahr: Europa kann nicht alle Männer, Frauen und Kinder aufnehmen, die in ihrer Heimat keine Chance haben. Das ist schrecklich für die Betroffenen, und gerecht ist die Zufälligkeit des Geburtsorts wahrlich nicht. Aber aus diesem moralischen Dilemma gibt es keinen Ausweg. Jedenfalls ist bisher niemandem einer eingefallen.

Das zu akzeptieren bedeutet jedoch nicht, dass achselzuckend hingenommen werden darf, wenn Flüchtlinge elend verrecken. Es genügt eben nicht, wenn Frontex bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen gelegentlich einige Schiffbrüchige unweit der Küste aufnimmt und im Übrigen darauf verweist, in internationalen Gewässern nicht zuständig zu sein. Tausende sind allein letztes Jahr ums Leben gekommen, und die Zahl steigt.

Neun Millionen Euro monatlich kostete die Operation „Mare Nostrum“ zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Italien wollte das nicht mehr allein bezahlen, und der Rest von Europa fand es auch zu teuer. Neun Millionen Euro: So viel kosten viele Bürogebäude in guter Innenstadtlage. Die Prioritäten, die das christliche Abendland setzt, sind eine Schande.

Die Rettung Schiffbrüchiger ist eine der ältesten zivilisatorischen Normen weltweit. Will Europa wirklich hinter diesen Standard zurückfallen?

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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22 Kommentare

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  • Es ist mir nie ganz verständlich, dass man bei so etwas nicht auch mal langfristige Möglichkeiten bedenkt.

    Nur, weil es zur Zeit keine Lösung für alle gibt, kann das doch nicht heißen, dass wir nicht für die Zukunft allmählich anfangen zu planen.

    Und da vermisse ich auch von den ansonsten vorzüglich arbeitenden engagierten Gruppen, die für das Asylrecht kämpfen, konkrete Lösungsvorschläge.

     

    Ich könnte mir z.B. durchaus vorstellen, dass man die Zuständigkeiten innerhalb der EU aufteilt, so dass es wieder endet, dass nur die Staaten mit Außengrenzen die ganze Last tragen und kein gerechter Schlüssel besteht, wie Migranten verteilt werden innerhalb der EU oder auch auf die assoziierten Staaten.

     

    Irgendwie zeigt mir das nur wieder, dass es nichts überflüssigeres gibt wie die EU, weil sie solche Probleme nicht ansatzweise lösen kann.

  • @Arcy:

    Übrigens die "Pegiden", die Wächter des Abendlandes, bestanden zu 75% aus Konfessionslosen..."

     

    Das entspricht dann ja ungefähr dem normalen Anteil an der Bevölkerung in DD und umzu.

     

    https://de.wikipedia.org/wiki/Sachsen#Religionen

    • @lichtgestalt:

      Mag ja auch stimmen. Scheint aber vielen und dem Schreiber dieses Artikels (außer er übernahm das pegidische Sprachgut) nicht im Gehirn angekommen zu sein.

  • "Die Prioritäten, die das christliche Abendland setzt, sind eine Schande."

     

    Wenns um "Schande" geht, duckst sich der nichtchristliche Teil des "Abendlandes", vulgo Atheisten, natürlich wieder mal weg.

    Übrigens die "Pegiden", die Wächter des Abendlandes, bestanden zu 75% aus Konfessionslosen[1]

     

    http://tu-dresden.de/aktuelles/news/Downloads/praespeg

  • Warum nur assoziiere ich bei dem Begriff "Wirtschaftsflüchtling" immer Gesichter wie Boris Becker, Michael Schumacher oder Ulli Hoeneß? Oder unzählige andere ungenannte "Leistungsträger" der ehrenwerten Anzugträgerfraktion?

     

    Weil die auch auf der Suche nach einem (noch) besseren Leben ihr Land hinter sich gelassen haben und ihren (geringeren) "solidarischen" Steuerbeitrag in einem anderen Staat leisten wollten, der ihnen teils sogar "ständigen" Wohnsitz ermöglichte?

    Und die dabei die Unterstützung "ihres" Landes bewusst zugunsten des eigenen Profits vermieden haben?

     

    Diese Fokussierung deutscher Medien, den Begriff "Wirtschaftsflüchtling" immer nur so einseitig im Sinne der "Immission" zu verwenden, nervt mich. Wir Deutsche "emittieren" selbst auch solche.

    Zu unser aller Belastung.

    • 3G
      3784 (Profil gelöscht)
      @vagabundix:

      Einen, der den Kragen nicht voll genug bekommen kann, auf die gleiche Stufe zu stellen mit einem, der noch nicht einmal einen Kragen hat, oder dem sogar der sichere Tod droht, weil Irgendeinem dessen Kragen nicht passt, da ja beiden Gruppen gemeinsam sei, auf der Suche nach einem noch besseren Leben zu sein? Angesichts einer solchen Beleidigung der Ertrunkenen und Erfrorenen fällt mir rein gar nichts mehr ein, denn mir ist einfach der Kragen geplatzt.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Ein GLOBALES Zusammenleben OHNE Kaufen und Verkaufen, OHNE Wettbewerb, OHNE manipulativ-schwankende "Werte", usw., IST ABSOLUT MACHBAR, es muß nur die entsprechende KOMMUNIKATION in Gang gebracht werden, besonders von Stellen wie ihrer, Frau Gaus - dann ist sicher bald schluss mit Heuchelei, Zynismus und die Menschen brauchen nicht mehr flüchten!!!

  • Der Artikel hängt irgendwie in der Luft. Ok, "Mare Nostrum" ist teuer und bringt unterm Strich nichts. Dabei akzeptieren wir, dass der einzige Weg nach Europa über menschenverachtende Schlepperbanden geht.

    Warum dann nicht vor Ort die Menschen aufnehmen und sicher rüberbringen.

    Dann würde keiner mehr ertrinken und keine Banden mehr finanziert...

  • Kosten und Bürokratie

    Wir brauchen eine Flüchtlingspolitik, die beides einschränkt, um die Akzeptanz von Flüchtlingen zu erhöhen:

    1. Keine Unterhaltszahlungen und Kasernierung von Flüchtlingen

    2. Gastrecht für alle, begrenzt auf ein Jahr

    3. Einbürgerungsrecht für alle, die nachweisen können, dass sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können - durch Arbeit oder Bürgschaft seitens eines Bundesbürgers oder einer bundesdeutschen juristischen Person

    - Eine solche Lösung würde die jetzige Einschränkung der Reisefreiheit auf Bürger der deutschen demokratischen Republik weitgehend aufheben, weil diese gegen das Grundgesetz verstößt, dass allen Menschen unabhängig von …. die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert.

    - Eine solche Lösung würde der Fremdenfeindlichkeit den Wind aus den Segeln nehmen und zugleich die praktische Aufhebung des Asylrechts beseitigen, indem sie die Einbürgerung an die Wirtschaftskraft oder die individuelle Unterstützung durch physische oder juristische Personen bindet. Es wäre also nicht mehr die Frage, ob – z.B. in einem Hamburger Nobelviertel - eine Kaserne für Flüchtlinge eingerichtet wird, sondern ob sich Bürger finden, die Flüchtlinge unterstützen wollen, indem sie diese beispielsweise auf ihrem Rasen zelten lassen oder ein Dienstbotenzimmer reaktivieren…

    • @Gottfried Scherer:

      Klingt irgendwie nach Pegida.

       

      Also ich brauche keine solchen Kriterien, um Flüchtlinge zu akzeptieren. Mir sind Tausend Flüchtlinge willkommener als ein Pegidaner.

      • @Dudel Karl:

        Nochmals langsam: jeder Fremde darf sich ein Jahr lang in der BRD aufhalten und muss sich dann einbürgern oder den Daueraufenthalt beantragen, was er kann, wenn er für sich selbst sorgen kann, oder eine Person - z.B. Sie - für ihn bürgen. Was ist daran pediga?

  • "Europa kann nicht alle Männer, Frauen und Kinder aufnehmen, die in ihrer Heimat keine Chance haben".

     

    EUROPA aber kann und darf von den Mietgliedsstaaten es fordern, dass die unmenschlichen Umstände in den jeweiligen Ländern beseitigt werden. Das begründen die EU-Verträge.

     

    Der Lebensstandard (z.B. Lebenshaltungskosten, Löhne, Mieten...) in der gesamten EU müsste vergleichsweise identisch gemacht werden.

  • "Mare Nostrum" hat nicht nur Menschenleben gerettet, sondern auch welche gekostet.

    Die Schlepper haben die guten Intentionen der EU missbraucht und die Migranten in nichtmal hochseetauglichen Booten und ohne Kapitän losgeschickt, in Extremfällen wurde das Boot schon selbst in Brand gesteckt - man wird ja direkt an der libyschen Küste abgeholt. Langsam hatten sich aufgrund niedrigerer Schleuserkosten und besserer Überlebenschancen immer mehr Leute auf den Seenotrettungsweg gemacht - in absoluten Zahlen wären irgendwann genausoviele gestorben.

     

    Ein "Mare Nostrum" Schiff mag 500 Migranten das Leben retten. Gleichzeitig lockt es die nächsten 500 in den Tod.

    Man kann das Einstellen von "Mare Nostrum" unterlassene Hilfeleistung nennen. Oder man kann "Mare Nostrum" sinnlos nennen.

    Beides passt, der Unterschied ist nur die Betrachtungsweise.

     

    Die Rettung Schiffbrüchiger wird auch weiterhin durchgeführt. Aber man spielt halt nicht mehr für jeden absichtlich Schiffbrüchigen Taxi, indem man ihn da abholt, wo er gern schiffbrüchig wäre.

    • @unbekannter_nutzer:

      Hey, das ist ja super! Hätte die Kriegsmarine im Winter 44/45 doch erst gar keine Flüchtlinge über die Ostsee gerettet - dann wären es schon gar nicht so viele Flüchtlinge gewesen!

       

      So wie: Würde man nicht so viel hungernden Leuten was zu essen geben, gäbe es gar nicht so viel Hungernde. Oder würde man Kranke nicht behandeln, gäbe es gar nicht so viel Kranke.

       

      Genial! Sie haben das Rührei des Kolumbus an Nägel mit Köpfen gehängt!

    • @unbekannter_nutzer:

      Zur Erinnerung:

      "Mare Nostrum" wurde erst ins Leben gerufen, weil so viele Menschen im Mittelmeer ums Leben kamen, also waren die ganzen Leute schon zu Zeiten "gerne schiffbrüchig", in denen Europa noch nicht "Taxi gespielt" hat.

      Ich könnte kotzen, wenn ich sowas lese.

      Massenhaft in Kauf genommene Tote aus pädagogischen Gründen, soll das wirklich die Lösung sein?

      • @schuhwerfer:

        Wollen Sie ernsthaft abstreiten, dass die Schlepper die "Mare Nostrum"-Schiffe als Taxi missbrauchen, indem Sie die Migrantenboote absichtlich in Seenot bringen?

  • Diese Muttermilch Argumentation kann man sich angesichts der Sachlage gelinde gesagt sparen. Tatsache 1 ist, daß wir uns von gleich mehreren Irrlehren im Sozialwesen demnächst trennen werden. Zum Beispiel der Irrtum, daß man Menschlichkeit an der einen Stelle geben kann, indem man an der anderen Stelle nimmt. Tatsache 2 ist, daß es eine direkte Lösung, die menschlich vertretbar, zudem überzeugend und realistisch ist, gibt. Tatsache 3 ist, daß Bedenken berechtigt sind und moralische Schuldvorwürfe nirgendwo hinführen außer in gläubige Spinnerei. Tatsache 4 ist unglaublich, daß wir den europäischen Dummkopf Bürokratismus mit einem Friedensnobelpreis ausstatten, während gleichzeitig bekannt wird, welch schadhaftes Ausmaß das überall annimmt. Tatsache 5, traurig ist allein, daß die falschen Leute mit den falschen Konzepten am Werk sind. Tatsache 6 stimme zu, das Bedürfnis nach Hilfe ist nicht mit Geld zu bezahlen.

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Als Vergleichsgröße: Die 2 Tage währenden Kamingespräche der nicht nur an Repräsentativdefiziten leidenden Blasiertheiten, als “Gruppe der 7” in die Geschichtsschreibung über Humanismus und Aufklärung eingegangen, kosten 130 Millionen Euro. Da wäre selbst "le Roi-Soleil" vor Neid erblasst.

    • @3784 (Profil gelöscht):

      ja und, natürlcih kosten diese Trips Geld, heiligendamm hat 200.000.000 gekostet, das stört die G7 Leute nicht, ist wie Klassentreffen, Gutes Essen, gutes Trinken, wie sagte mein Friseur, was schert mich Frau, was schert mich Kind!