piwik no script img

Schutz vor polizeilichen LockspitzelnTatprovokation ist rechtswidrig

Ein Berliner wurde zum Kauf von 97 Kilo Kokain gedrängt. Nun rät Karlsruhe zum Verwertungsverbot der Aussagen von „Agents Provocateurs“.

White lines. Bild: dpa

FREIBURG taz | Wenn Unschuldige von polizeilichen Lockspitzeln zu Straftaten verführt werden, sollen die Aussagen der Spitzel vor Gericht nicht verwertet werden. Das empfiehlt das Bundesverfassungsgericht in einem jetzt bekannt gemachten Kammerbeschluss.

Im konkreten Fall war ein Berliner Cafébetreiber in Verdacht geraten, er handele mit Drogen. Die Polizei setzte daraufhin einen V-Mann auf ihn an, dem neben einer Tagespauschale auch eine Erfolgsprämie versprochen wurde. Der V-Mann lockte und drängte den Gastronomen deshalb eineinhalb Jahre lang, bis dieser tatsächlich 97 Kilogramm Kokain aus Südamerika orderte. Bei der Entgegennahme der Ware wurde der angestiftete Drogenhändler dann festgenommen.

Das Landgericht Berlin entschied zwar, dass hier eine rechtsstaatswidrige „Tatprovokation“ vorlag. Es milderte die Strafe des Cafébetreibers deshalb um mehr als die Hälfte, verurteilte ihn aber immer noch zu vier Jahren und fünf Monaten Haft. Dagegen erhob der Mann Verfassungsbeschwerde und forderte einen Freispruch. Ein derartiger Einsatz von Lockspitzeln, auch „agents provocateurs“ genannt, stelle ein Verfahrenshindernis dar.

Karlsruhe betonte nun: „Die Ermittlungsbehörden sollen Straftaten verfolgen, nicht sie verursachen.“ Eine Verfahrenseinstellung komme aber nur in „extremen Ausnahmefällen“ in Betracht, etwa wenn ein gänzlich Unverdächtiger zu Taten überredet wird. Der Gastronom sei aber schon verdächtig gewesen und habe im Laufe der Zeit durchaus eigenen Tatantrieb entwickelt. Deshalb genüge hier eine Strafminderung. Die Verfassungsbeschwerde wurde abgelehnt.

Am Ende ihres Beschlusses empfahlen die Karlsruher Richter aber erstmals, in solchen Fällen die Aussagen der Lockspitzel vor Gericht nicht zu verwerten. Sie greifen damit ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Oktober 2014 auf.

Im Berliner Fall kam es auf ein Verwertungsverbot freilich nicht an, weil der Gastronom und seine Mittäter Geständnisse abgelegt hatten. Das Berliner Landgericht musste die Aussagen des Lockspitzels also gar nicht gegen den Angeklagten verwenden.

Az.: 2 BvR 209/14

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Wäre doch mal interessant zu wissen, wie das Bundesverfassungsgericht zu den so genannten "Scheinfreiern" steht, die zum Beispiel in München auf Sexarbeiterinnen angesetzt werden. Die gesamte Innenstadt von München ist Sperrzone, das gilt AUCH für Privatwohnungen und Hotels! Wenn also eine Sexarbeiterin eine Anfrage auf einen Haus- und Hotelbesuch bekommt, läuft sie Gefahr, einem "Scheinfreier" aufzusitzen, den die Polizei auf sie angesetzt hat. Die Folge sind teure Geldstrafen und im Wiederholungsfall Gefängnis. Ich finde diese Praxis ist mit dem Wort "grenzwertig" nur sehr unvollkommen umschrieben - man könnte schon von Stasi-Methoden sprechen.

  • also, wer sich zu sowas hinreissen lässt sollte dann aber nicht jammern wenn er eingebuchtet wird.zu mir kommen auch manchmal irgendwelche undercover Spezis, aber : Lasse ich mich hinreissen?Nein!Warum?Weil illegal illegal ist.Koks ist ein Teufelszeug,genau wie

  • Allgemein gehören "agents provocateurs" eigentlich zum Handwerkszeug von Diktaturen und Schurkenstaaten.... Arme deutsche Demokratie...

  • Wie geil...er bekommt eine Provision wenn er es doch noch schafft den Typen zu nem Deal zu überreden^^

     

    haha....na da waren ja richtige Kokskenner am werk...am besten noch mit den richtigen Shirts (kokskenner.de)...wobei die ja schon fast zu teuer für den Beamten sind;))

  • Warum nicht direkt Daumenschrauben? So hätte man das Geständnis schneller und kostengünstiger bekommen.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Wie üblich, wenn in Deutschland massiv gegen Menschenrechte verstoßen wird, empfiehlt sich ein Gang nach Straßburg. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann den Beschluss des Bundesverfassungsgericht zwar nicht aufheben, dafür aber dem zur Tat Provozierten ein Schmerzensgeld zusprechen. Wie es ja in einem anderen Verfahren aus ähnlichen Anlass bereits geschehen ist. Über kurz oder lang, wirken derartige Schelte von oben auch in das nationale Recht hinein und bewirken Änderungen.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Traurig, dass man offenbar immer gleich die aller oberste Instanz anrufen muss in diesem unserem Rechtsstaat. Der Untertanengeist ("Zwing mich doch!") ist offenbar nicht tot zu kriegen. Schon gar nicht da, wo die Gewalten geteilt werden.

       

      Was ich mich aber frag, ist: Wieso geht Christian Rath davon aus, dass die Aussagen eines "Lockspitzels“, dem die Polizei eine Erfolgsprämie in Aussicht stellt, wenn er aus einem Verdächtigen einen Täter macht, grundsätzlich und ausschließlich "gegen den Angeklagten verwende[t]" wird? Kann es einen Angeklagten nicht entlasten, wenn der Spitzel aussagt, dass er Mühe hatte, sein "Soll" zu erfüllen? Die Neuregelung wäre doch nur dann als Fortschritt zu begrüßen, wenn die am Verfahren Beteiligten (einschließlich Richter) schon vor dem Beginn der Beweisaufnahme von der Schuld des Verdächtigen überzeugt wären und deshalb alle Aussagen gegen ihn verwenden würden. Dass das bereits in jedem Fall so ist, kann ich mir noch nicht vorstellen. Ausnahmen, schließlich, bestätigen ja jede Regel.

       

      Im Übrigen frage ich mich gerade etwas irritiert, mit Hilfe welches Paragraphen "die Ermittlungsbehörden" daran gehindert werden könnten, "Straftaten zu verursachen statt sie lediglich zu verfolgen." Ich meine: Falls es beispielsweise ein Gesetz gäbe, das im Einsatz eines "agent provocateurs" zum alleinigen Zwecke der Straftatauslösung eine Amtspflichtverletzung sieht, müsste doch die Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittelungen gegen die Berliner Polizei anstellen, statt nur den Zeigefinger zum "Du-du!" zu heben, oder gilt der § 160 StPO etwa nicht in Berlin?

  • Oha, 1 1/2 Jahre hat der Spitzel gebraucht, bis der Mann etwas gekauft hat und das "aus eigenem" Antrieb. Schließlich wurde ihm "nur" ein kleiner Anstoss gegebn. Schließlich war er schon vorher "verdächtig".

     

    Sehe ich das Richtig, dass die Polizei hier zu Straftaten verführen darf, wenn sie jemanden der Straftat verdächtigen? Oder wie soll man das auffassen?

    • @Sascha:

      "Sehe ich das Richtig, dass die Polizei hier zu Straftaten verführen darf, wenn sie jemanden der Straftat verdächtigen? Oder wie soll man das auffassen?"

       

      Du siehst das nicht vollständig: Die Polizei darf sogar selber Straftaten begehen:

       

      § 145d - Vortäuschen einer Straftat

       

      Mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren geeignet, Polizeibeamte in die Suspendierung zu schicken.

       

      Fände ich hier tatsächlich angebracht, muss ich sagen. Solche Polizisten brauchen wir hier nicht.