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SPD-Netzaktivist über Vorratsdaten„Ein reines Placebo-Thema“

Die Vorratsdatenspeicherung wird auch mit neuem Namen nicht besser. Dafür gibt es in der SPD-Basis 2015 keine Mehrheit mehr, glaubt D64-Aktivist Nico Lumma.

Erst mal ein bisschen überwachen. Dann mehr. Und mehr. Und mehr Bild: dpa
Tobias Schulze
Interview von Tobias Schulze

taz: Herr Lumma, der Justizminister nennt seine Pläne zur Vorratsdatenspeicherung einen „guten Kompromiss“. Hat er recht?

Nico Lumma: Ich finde es ja toll, dass er kürzere Speicherfristen und einige Ausnahmen ausgehandelt hat. Aber die Vorratsdatenspeicherung bleibt die Vorratsdatenspeicherung, und wir wissen immer noch nicht, was sie eigentlich bringen soll. Sie wird jetzt Höchstspeicherfrist genannt, aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Ablehnung der flächendeckenden und anlasslosen Überwachung aller Bürger in diesem Land.

Sigmar Gabriel weiß doch, was die Vorratsdatenspeicherung bringt. Er sagt, mit dem Instrument hätte die Polizei die NSU-Morde verhindern können.

Das ist totaler Quatsch. Da hat sich Sigmar Gabriel vergaloppiert. Wenn wir den Heuhaufen vergrößern, finden wir die Stecknadel nicht leichter. Im Gegenteil.

Wenn die Speicherung nichts brächte, würden ihre Befürworter aber kaum so vehement ihre Einführung fordern.

Die Vorratsdatenspeicherung wird seit zehn Jahren als wichtiger Baustein für die innere Sicherheit definiert. Aber weder hier noch im Ausland hat sie irgendwelche Erfolge gebracht. Man will dem Volk nur zeigen: Wir sorgen uns um die innere Sicherheit, wir machen etwas. Ein reines Placebo-Thema. Stattdessen müssten die Ermittlungsbehörden in die Lage versetzt werden, auch im digitalen Raum zu ermitteln. Da fehlt es an allen Ecken und Enden, selbst bei schwersten Straftaten sind nicht genügend Ermittler zu digitalen Ermittlungen in der Lage.

Laut Regierung soll die neue Vorratsdatenspeicherung nur unter strengen Bedingungen zum Einsatz kommen. Hat der normale Bürger da überhaupt etwas zu befürchten?

Wir wissen alle, wie so etwas läuft: Wenn man einmal so ein Instrument etabliert hat, dann weckt es Begehrlichkeiten und mittelfristig werden die Bedingungen erodieren. Erst werden die Behörden auch bei lediglich schweren Straftaten zum Datenzugriff berechtigt, dann werden die Speicherfristen verlängert. Das ist völlig klar.

D64
Im Interview: 

42, ist Berater, Autor und seit 26 Jahren SPD-Mitglied. Lumma ist Vorsitzender des parteinahen Vereins D64, der sich mit Netzpolitik und Datenschutz beschäftigt.

Mit dem SPD-nahen Verein D64 haben Sie eine Kampagne gegen die Vorratsdatenspeicherung gestartet.

Am Montag, als hätten wir es geahnt.

Sie fordern die SPD-Basis auf, vor dem Parteikonvent Anträge gegen die Speicherung einzureichen. Wie ist die Resonanz?

Es gab schon drei Ortsvereine, die am Montagabend Sitzungen hatten und unseren Musterantrag gleich beschlossen haben. Insofern wird es auf dem Konvent wohl eine ganze Reihe von Anträgen gegen die Vorratsdatenspeicherung geben.

Und die Erfolgsaussichten? Bisher ist die Vorratsdatenspeicherung Beschlusslage der Partei.

Der Beschluss ist von 2011, danach hatten wir die NSA-Thematik mit Herrn Snowden. Wir haben heute einen ganz anderen Blick auf den Umgang mit Daten. Auf dem Parteitag 2011 war es übrigens schon eine knappe Kiste, und ich glaube, 2015 gibt es für eine Vorratsdatenspeicherung keine Mehrheit mehr. D64 bleibt bei der grundsätzlichen Ablehnung, und der Zulauf durch viele SPD-Mitglieder bestärkt uns darin, weiter für diese Position zu werben.

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5 Kommentare

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  • ... 2011 ... dann NSA ... dann gaaaanz anderen Blick.... Ja ne, is klar.

     

    QUATSCH.

     

    Das ist genau wie die Kernenergie. Nach jedem größeren Zwischenfall wird wieder aber diesmal ganz echt jetzt, ey Alder, ausgestiegen, und wenn ein paar Jährchen ins Land ziehen, verabschiedet man sich ganz langsam vom Ausstieg und macht weiter wie vorher, bis zum nächsten großen Knall usw. usw.

     

    Die Vorratsdatenspeicherung war ohne und mit Snowden ein unsinniger Mist, dessen ehrlicher und einziger Hauptzweck ist, allein durch das Wissen ihrer Existenz das Verhalten des Stimmviehs zu beeinflussen (auch wenn das die "Ich habe nichts zu verbergen"-Bravbürger nie zugeben würden).

    • 1G
      19122 (Profil gelöscht)
      @Da Hias:

      Sehr geehrter Herr Pastafari Hias, es gibt nur sehr wenige Länder auf diesem Planeten, in denen konsequenter Datenschutz (noch) einen wirklichen Stellenwert besitzt. Interessanterweise werden diese Länder genau von den Leuten, die sich an anderer Stelle für strengste Limitierung der staatlichen Einsichtnahme in "private Angelegenheiten" einsetzen, als "Steuerflüchtlingsparadiese" und "Geldwäscherstaaten" diffamiert. Die Argumentationsweise dieser Leute ist eindeutig: Der Staat solle bitte alles und jeden genau kontrollieren ... der mehr Geld hat als sie.

  • Die SPD – Verzeihung – ihr Anhängsel “D64” startet eine Aktion gegen die Vorratsdatenspeicherung, während die SPD eine Aktion dafür startet. Wie's ausgeht, ist bereits jetzt allen klar: mit einer erneuten Klage vorm Bundesverfassungsgericht – wieder nicht geführt von Aktivistendarstellern des “D64”, sondern von wirklichen Aktivisten.

     

    Soweit, so Polit-Theater. Denn was der Netzpolitik am meisten entgegensteht, ist die SPD. Sie behindert durch ihr ständiges Geheuchel, etwas anderes zu wollen als Totalüberwachung und Manipulation, den Kampf gegen Merkels Truppen, die genau diese Ziele verfolgen. Denn noch schlimmer als Merkel und ihr Überwachungswahn sowie ihr Kriechen vor Obama ist eine SPD, die Merkels Steigbügel hält.

     

    Gross getönt hatte die SPD z.B. mit der Person von Andrea Nahles, sie würden niemals nicht nach der Wahl mit Merkel koalieren. In Wirklichkeit jedoch tat sie direkt nach der Wahl genau das. Und sie tut es nicht nur beim Lohndrücken und bei der Veranstaltung der Austeritätskatastrophe, die die EU sprengt, sowie beim Kriegstreiben und Remilitarisieren. Nein, sie ist auch Garant dafür, dass der Überwachungswahn grenzenlos weitergehen kann: statt den “Five Eyes” – allen voran dem UK und nicht nur etwa den USA – endlich Paroli zu geben, werden beim Bundesnachrichtendienst und beim perverserweise so genannte “Verfassungsschutz” die Überwachungskapazitäten massiv ausgebaut.

     

    Und währenddessen sterben die Zeugen gegen die “Verfassungsschützer” und die Kukluxklan-Polizisten in Baden-Württemberg wie die Fliegen. Da hat der Untersuchungsausschuss aber auch Pech!

     

    Insofern: eine “nette” Story mit dem “netten” Mann vom “D64”. Nur dass der Gute in etwa so gegen die Vorratsdatenspeicherung sein dürfte, wie sein Parteigenosse Heiko Maas: erst das eine ansagen, dann das Gegenteil davon machen. Oder erwartet wirklich noch irgend jemand von der SPD etwas anderes?

    • @Volker Birk:

      Sagen wir mal so. Wenn es, mit oder ohne D64 gelingt, die SPD-Basis so nachhaltig aufzuwecken, daß am Parteikonvent und Parteitagen Gabriel & Co einen Schuß vor den Bug bekommen, dann besteht eine Chance.

      MIT D64 (und deren Möglichkeiten innerhalb der Parteihierarchie) kommt man an die SPD natürlich leichter heran, als ohne.

  • "…Wir wissen alle, wie so etwas läuft: Wenn man einmal so ein Instrument etabliert hat, dann weckt es Begehrlichkeiten und mittelfristig werden die Bedingungen erodieren. Erst werden die Behörden auch bei lediglich schweren Straftaten zum Datenzugriff berechtigt, dann werden die Speicherfristen verlängert. Das ist völlig klar.…"

     

    Eben - und genau deswegen ist das - sorry -

    kein Placebo-Thema;

    sondern ein intravenös verabreichter

    Giftcocktail mit Einlulleffekt -

    als Dauerkatheder.