Pirat über Vorratsdatenspeicherung: „Natürlich werden wir klagen“
Der „AK Vorrat“ will die anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetdaten stoppen: mit Demos, der SPD-Basis und notfalls über Richter.
taz: Herr Breyer, Sie haben 2010 mit dem AK Vorrat schon einmal die Vorratsdatenspeicherung gekippt. Wie wird die Auseinandersetzung dieses Mal ausgehen?
Patrick Breyer: Ich gehe davon aus, dass die Vorratsdatenspeicherung auch diesmal vor Gericht keinen Bestand haben wird – jedenfalls nicht dauerhaft.
Sie hoffen also vor allem auf die Gerichte?
Nein. Zunächst konzentrieren wir uns auf den politischen Widerstand. In diesem Jahr werden in Deutschland mehr als 30 Demos unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ stattfinden, die nächsten am kommenden Samstag in Frankfurt am Main und in Berlin.
Letzten Samstag haben in Hamburg tausend Leute gegen Überwachung demonstriert. Reicht das, um die Politik zu beeindrucken?
Wir stehen ja erst am Anfang. Wer hat denn damit gerechnet, dass die SPD die Vorratsdatenspeicherung nochmal von der Müllhalde der Geschichte holt? Wir wollen von Demo zu Demo mehr Menschen aktivieren.
So wie Pegida Ende letzten Jahres?
Den Vergleich weise ich zurück.
geboren 1977, ist Europaabgeordneter der Piratenpartei und Mitglied der Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz. Zuvor war er unter anderem als Richter in Schleswig-Holstein tätig. Er ist Vater eines Kindes.
Pardon. Aber was nützt aller Wirbel auf der Straße, wenn die große Koalition die große Mehrheit hat?
Eine Mehrheit gibt es nur, wenn die SPD mitmacht. Am 20. Juni aber findet der SPD-Konvent in Berlin statt, bei dem die SPD-Basis die Regierungspläne ablehnen kann. Und wir werden vor dem Veranstaltungsort für eine Ablehnung demonstrieren...
Die SPD wird doch ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel nicht in den Rücken fallen...
Gabriel selbst ist großen Teilen seiner Partei in den Rücken gefallen. Im Europawahlkampf 2014 hat die SPD eine Vorratsdatenspeicherung noch strikt abgelehnt. Und zum Konvent liegen immerhin bereits über 100 Anträge gegen die Vorratsdatenspeicherung vor, unter anderem von den Landesverbänden Sachsen und Berlin und vom besonders einflussreichen Unterbezirk Dortmund. Das wird in der SPD noch richtig spannend.
Und wie sieht der Plan B aus, wenn der Bundestag die Vorratsdatenspeicherung doch beschließt? Wird der AK Vorrat wieder das Bundesverfassungsgericht anrufen?
Wir werden technische Möglichkeiten zum Selbstschutz aufzeigen - und natürlich werden wir klagen.
Bei seinem Urteil 2010 hatte Karlsruhe aber keine grundsätzlichen Einwände gegen die Vorratsdatenspeicherung...
Seitdem hat sich die Welt geändert. Seit Snowdens Enthüllungen ist allgemein anerkannt, dass Daten nicht sicher gespeichert werden können. Außerdem hat sich der Europäische Gerichtshof 2014, als er die EU-Richtlinie für nichtig erklärte, ganz klar gegen die Vorratsdatenspeicherung positioniert. Dahinter wird das Bundesverfassungsgericht nicht zurückbleiben wollen.
Warum setzen Sie nicht gleich auf den EuGH?
Eine direkte Bürgerklage ist in Luxemburg ja nicht möglich. Erst müssen wir ein deutsches Gericht finden, das den Fall beim EuGH vorlegt. Schon jetzt ist dort allerdings ein Verfahren zur schwedischen Vorratsdatenspeicherung anhängig. Ich rechne damit, dass der EuGH in rund einem Jahr feststellen wird, dass auch nationale Vorratsdatenspeicherungen unverhältnismäßig sind und gegen die e-Privacy-Richtlinie der EU verstoßen.
Selbst wenn diese Prognose eintrifft: In Schweden gilt eine sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung, bei uns soll sie nur zehn Wochen betragen...
Das ist ein quantitativer, aber kein qualitativer Unterschied. Der EuGH ist – wie wir – dagegen, dass anlasslos Daten über die gesamte Bevölkerung gesammelt werden. Das gilt unabhängig von der Löschungsfrist.
Nach dieser Logik kann es gar keine rechtmäßige Vorratsdatenspeicherung geben...
Ja, das ist unsere feste rechtsstaatliche Überzeugung. Jede verdachtslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ist ein Dammbruch. Wenn erst unsere Telefon-, Internet- und Bewegungsdaten anlasslos gespeichert werden dürfen, dann können auch viele andere Daten über unser Leben wie etwa Zahlungsdaten anlasslos festgehalten werden. Es besteht ja immer die Möglichkeit, dass sie einmal für die Polizei nützlich sein könnten. Diese Vorratslogik kennt keine Grenzen und führt zur schrittweisen Abschaffung privater und selbstbestimmter Räume in unserem Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“