Bilanz einer Epidemie: Späte Reue bei Ebola
Die Epidemie hat seit Dezember 2013 mindestens 10.000 Tote gefordert. Nun gilt Ebola als weitgehend eingedämmt. Die WHO räumt Fehler ein.
BERLIN taz | Ebola. Epidemie mit fünf Buchstaben, mindestens 10.000 Toten und 25.000 registrierten Infizierten seit Dezember 2013 in den westafrikanischen Ländern Liberia, Sierra Leone und Guinea – aber seit diesem Frühjahr weitgehend eingedämmt: Die Zahl der Neuerkrankungen sinkt; in Liberia wurde der letzte Fall am 28. März gemeldet. Für Tankred Stöbe, Präsident der internationalen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Deutschland, ist diese Bilanz alles andere als ein Grund zur Entwarnung.
Das tödliche Ebola-Virus ist für Stöbe zum Inbegriff des „Versagens“ der internationalen Gemeinschaft bei der Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten in den ärmsten Regionen der Welt geworden. Seinem Zorn machte der 46-Jährige am Dienstag in Berlin auf der Frühjahrskonferenz seiner Organisation Luft: „Durch frühere und effektivere Hilfe hätten viele Tausend Menschen geschützt und gerettet werden können“, mahnte er.
Insbesondere die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die über Jahre strukturell wie personell durch ihre Geberländer kaputtgespart wurde, habe das Problem zu lange zu wenig ernst genommen. Bis humanitäre und medizinische Hilfe angelaufen sei, seien Monate vergangen. Monate, in denen sich die Krankheit in Westafrika – die Gesundheitssysteme nach diversen Bürgerkriegen weitgehend brachliegend, die Bevölkerungen dagegen hoch mobil – wie ein Lauffeuer habe ausbreiten können: „Unsere Helfer mussten ein Sterben begleiten, das erbarmungslos und brutal war“, sagte Stöbe.
„Für uns war das ein Tsunami“
Trotz aller Anstrengungen sei fast die Hälfte der Patienten gestorben. Auch die Helfer selbst seien gefährdet gewesen. 28 von ihnen hätten sich angesteckt, 14 seien gestorben. „Für uns war das ein Tsunami“, sagte der Arzt und Koordinator der Ebola-Task-Force in Liberia, Moses Massaquoi. Und bis heute, daran erinnerte Stephan Günther, Virologie-Experte des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg, sei nicht eindeutig klar, woran genau eigentlich die Ebola-Kranken stürben.
28. Dezember 2013: Im Dorf Meliandou (Guinea) stirbt der zweijährige Émile Ouamouno, der in einem Hohlbaum voller Flughunde gespielt hatte, an einer schweren Durchfallkrankheit.
März 2014: Guinea bestätigt am 22. 3. Ausbruch von Ebola mit mindestens 59 Toten. Liberia kurz darauf ebenfalls. Ärzte ohne Grenzen (MSF) richtet in Guéckédou (Guinea) erstes Ebola-Behandlungszentrum ein. Zum Monatsende: 70 Tote.
Mai 2014: Die Weltgesundheitsorganisation WHO meldet am 26. 5. erste Ebola-Fälle in Sierra Leone. Zum Monatsende: 211 Tote.
Juni 2014: MSF sagt, die Lage sei „außer Kontrolle“. Zum Monatsende: 481 Tote.
Juli 2014: Nigeria meldet am 25. 7. ersten Ebola-Toten. WHO sagt, die Lage sei „ernst“. Zum Monatsende: 887 Tote.
August 2014: Erster US-Helfer in Liberia erkrankt, Panik in den USA. WHO erklärt am 7. 8. „internationalen Gesundheitsnotstand“. Zum Monatsende: 1.808 Tote.
September 2014: WHO spricht vom „akutesten Gesundheitsnotstand der Neuzeit“. UNO gründet Ebola-Mission UNMEER. Zum Monatsende: 3.439 Tote.
Oktober 2014: Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf verlangt unter anderem in der taz massive Hilfe. Deutschland beschließt Entsendung von Bundeswehrhelfern und Freiwilligen. Die USA und Großbritannien schicken Truppen. Nigeria wieder Ebola-frei. Zum Monatsende: 4.941 Tote.
Januar 2015: Zum Jahresanfang: 8.000 Tote. Infektionsraten gehen stark zurück.
Bilanz bis zum 20. April 2015: 10.702 Tote (Liberia: 4.486, Sierra Leone: 3.865 Guinea: 2.351). Liberia: Keine Neuinfektion seit März. Sierra Leone: rund eine Neuinfektion pro Tag. Guinea: rund zwei Neuinfektionen pro Woche. (d.j.)
Meinie Nicolai, Präsidentin des Operationalen Zentrums von Ärzte ohne Grenzen in Brüssel wiederum beklagte, dass das System der Überwachung und Nachverfolgung von Erkrankungen vor Ort trotz vieler Bemühungen nur unzureichend funktioniere: „Bei der Hälfte der Neuinfektionen wissen wir leider nicht, wo sie stattfinden“, sagte Nicolai, „und das ist Stand April 2015.“
Als Konsequenz aus der Tragödie forderten die Konferenzteilnehmer, die Forschung zu Ebola und anderen vernachlässigten Krankheiten zu verstärken. „Man kann natürlich nicht innerhalb kürzester Zeit die jahrzehntelangen Versäumnisse aufholen“, räumte Philipp Frisch ein, Koordinator der Medikamentenkampagne bei Ärzte ohne Grenzen. Umso erfreulicher sei es, dass es die vernachlässigten Krankheiten nun immerhin auf die Agenda der sieben wichtigsten Industrienationen geschafft hätten, die ihr Gipfeltreffen im Juni auf Schloss Elmau abhalten werden. Es seien mehr öffentliche Forschungsmittel nötig, um Medikamente und Impfstoffe für derlei Krankheiten zu entwickeln. Die Industrie forsche vor allem profitorientiert.
Unterstützung in Höhe von 200 Millionen Euro
Der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte bereits vergangene Woche nach seiner Rückkehr von einer Dienstreise in die Ebola-Gebiete angekündigt, der Aufbau der Gesundheitsversorgung sei eines der Ziele nach Ebola. Deutschland werde Afrika mit einem Sonderprogramm in Höhe von 200 Millionen Euro unterstützen, allein Liberia erhalte 12 Millionen Soforthilfe für Ausrüstung, Aufklärung und Ausbildung. „Die Gesundheitssysteme vor Ort müssen so gestärkt werden, dass sie für künftige Epidemien besser gerüstet sind“, sagte Gröhe. Das helfe nicht nur den betroffenen Menschen, „sondern ist auch der beste Schutz vor grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren“.
Reumütig hat sich inzwischen auch die WHO gezeigt. Für einen „derart schweren Ausbruch“ sei ihre Organisation „nicht vorbereitet gewesen“, räumte die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan am Montag in Genf ein. Es habe Mängel bei der Koordinierung und Pannen in der Kommunikation gegeben. Kulturelle und soziale Besonderheiten in Westafrika – etwa die Beerdigungsrituale, bei denen sich Tausende infizierten – seien falsch eingeschätzt worden.
Als Konsequenz kündigte Chan straffere interne Strukturen an. Der „Konsensstil“ in der WHO sei für Krisenzeiten „nicht geeignet“. Als weitere Reformen versprach sie einen Pool von Ärzten, Pflegern und anderen Experten, der in künftigen Krisen flexibel eingesetzt werden könne. Dank eines neuen Spezialfonds könne Geld künftig schneller mobilisiert werden.
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