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Ein großer kleiner Fisch

Der Bundesnachrichtendienst hat bis 2004 den Journalisten Wilhelm Dietl ausspioniert. Gleichzeitig kursiert das Gerücht, dass Dietl selbst Spion war – doch dafür gibt es keine Beweise. Ein Zufall?

„Diesen Menschen bezeichne ich nicht mehr als Kollegen“

VON SUSANNE HÄRPFER

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat bis in die jüngste Zeit Journalisten ausforschen lassen. Bislang gab der Dienst nur zu, bis 2003 das Altpapier des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom gestohlen und ausgewertet zu haben. Doch wie jetzt bekannt wurde, setzten die Geheimen bis 2004 einen Spitzel auf den Journalisten Wilhelm Dietl an. Das geht aus einem internen Schreiben des Dienstes hervor, das dem Frankfurter RTL-Büro und dem betroffenen Autor vorliegt.

So erfuhr der BND etwa, dass Dietls Buch „Bedingt dienstbereit“, das er zusammen mit dem Ex-BNDler Norbert Juretzko schrieb, in die zweite Auflage geht. Die Nachricht ist von BND-Referatsleiterin Dr. Melanie Rengstorf per Intranet an fünf Beschäftigte des Untersuchungsreferats 80 B gegangen sowie an Michaela Heber, ehemalige Sprecherin und direkte Mitarbeiterin des früheren Präsidenten des BND August Hanning. Der Spitzel nennt darin weitere Details der Planung der Buchautoren. Der BND wollte auf Anfrage den Sachverhalt weder bestätigen noch kommentieren; in den USA gilt eine solche Reaktion als Bestätigung.

Erstmals bekannt wurde Dietl Ende der 70er-Jahre durch seine Berichterstattung über den Nahen und Mittleren Osten. Sein Buch „Heiliger Krieg für Allah“ aus dem Jahr 1982 analysiert den islamischen Untergrund so profund und prophetisch, das es mehr über die Hintergründe aktueller Terrornetzwerke sagt als so mancher heutiger Artikel. Seitdem schrieb der heute 50-Jährige Bücher über Afghanistan, den Terroristen Carlos, über eine Agentin des Mossad oder die Operation Eichmann.

Zurzeit arbeitet der stellvertretende Leiter des Essener Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik mit Juretzko an einem zweiten Buch, in dem es weitere Enthüllungen über den BND geben soll. Deshalb kommt es dem BND nicht ungelegen, dass nun plötzlich das Gerücht kursiert, Dietl selbst sei in Wahrheit Agent. Zeitgleich entließ Focus seinen langjährigen Mitarbeiter Dietl, das Arbeitsgerichtsverfahren läuft im Augenblick. Sein früherer Chef Helmut Markwort äußerte sich in der NDR-Sendung „Zapp“ dezidiert: „Diesen Menschen bezeichne ich nicht mehr als Kollegen und erst recht nicht als Journalisten.“ Er begründet dies u. a. damit, Dietl habe während des Arbeitsgerichtsprozesses selbst zugegeben, als BND-Agent gearbeitet zu haben. Doch das Gegenteil ist richtig. Vor dem Landgericht München I sagte Dietl vielmehr: „Ich habe nie irgendjemand bespitzelt noch Informationen weitergegeben.“

Auf Nachfrage bestreitet der Autor vehement, nachrichtendienstlich tätig gewesen zu sein, und weist die Unterstellung entschieden zurück. Wegen Verleumdung hat Wilhelm Dietl Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Zumal zu Beginn des Arbeitsgerichtsprozesses Papiere auftauchten, die den Nahostexperten der Arbeit für Saddam Husseins Geheimdienst beschuldigen. Und das, obwohl die Generalbundesanwaltschaft (GBA) die Ermittlungen eingestellt bzw. gar nicht erst aufgenommen hat, weil die Vorwürfe unbegründet waren.

Dietls ehemaliger Focus-Kollege Josef Hufelschulte weiß, wie schnell ein Spionageverdacht aus dem Nichts geschaffen werden kann: Will ein Kripo-Beamter, der etwa im Bereich der organisierten Kriminalität fahndet, jemanden observieren, bekommt dafür aber keine Genehmigung, dann erfindet er einfach ein Szenario à la „Im Urlaub stand der Verdächtige am Skilift neben einem Russen“. Aufgrund solch dünner Beweislage kann gegen jeden ermittelt werden – auch gegen Journalisten.

Ausgerechnet manche der eigenen Berufskollegen glauben offenbar der Gerüchteküche lieber, als auch nur den allerersten Schritt zu tun und direkt beim Betroffenen nachzufragen. „Mit mir haben nur Spiegel, Stern, RTL und Sie gesprochen“, konstatiert Dietl. Dabei gilt er noch nicht einmal als ausgemachter Insider. In seinem Buch „Meinungsmache undercover“ bescheinigt Schmidt-Eenboom ihm beispielsweise: „Wilhelm Dietl ist, was die nachrichtendienstlichen Kontakte betrifft, ein kleiner Fisch im Hause Markwort.“ Wohlgemerkt „Kontakte“. Nicht Agententätigkeit.

In der taz vom 9. 12. 2005 warf Schmidt-Eenboom allerdings Dietl vor, als Agent gearbeitet zu haben: „Der hat von Anfang der 80er-Jahre bis mindestens 1993 als operativer Beschaffer für den BND gearbeitet. Anschließend hat er wohl bis 1997 der BND-Sicherheitsabteilung zugearbeitet und für diese seine Kolleginnen und Kollegen ausspioniert“ – und beruft sich seinerseits auf mündliche Aussagen aus dem Dienst. Bislang liegen niemandem Akten vor, die eine solche Unterstellung belegen – weder Schmidt-Eenboom noch dem Focus, die sich beide auf ihn berufen. Die zweite mündliche Quelle ist ein weiterer journalistischer Konkurrent. Und so beziehen sich die vermeintlichen „Kronzeugen“ der Anklage reihum aufeinander. Die Ehrfurcht vor den Namen und mangelnde Zeit in Redaktionen führt dazu, dass die Beleglage nicht hinterfragt wird. Und so wird aus geglaubter Wahrheit eine, die massiven Schaden anrichtet.

Selbst falls in Zukunft solche Papiere auftauchen sollten, wäre journalistische Umsicht geboten: Im Geheimdienstmilieu gelten die wenigsten Erkenntnisse als gesichert. Umso weniger sollte man auf Vorverurteilungen geben. Wie soll jemand beweisen, dass er etwas nicht getan hat? So mancher Kollege, der heute für Print- oder TV-Magazine über dieselben Themen wie Dietl berichtet, wird vielleicht in zehn Jahren auch als Agent beschuldigt. Vielleicht wird ihm dann ja bewusst, wie wichtig es ist, wenn für die Beschuldigten erst einmal die Unschuldsvermutung gilt.

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