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Serben streiten über Srebrenica-Resolution

GENOZID Staatschef Boris Tadic will im Parlament eine Erklärung verabschieden lassen, die das Massaker an 8.000 bosnischen Muslimen im Juli 1995 als Völkermord verurteilt. Das Vorhaben stößt auf massive Kritik

Massaker von Srebrenica

■  Im April 1993 erklärt die UNO die schwer umkämpfte und von bosnisch-serbischen Truppen umzingelte Stadt Srebrenica zu einer Schutzzone. In der Stadt befanden sich rund 40.000 muslimische Flüchtlinge, jedoch nur etwa 450 holländische Soldaten der internationalen Friedenstruppe Unprofor. Trotz alarmierender Berichte der Unprofor-Offiziere über massive Bewegungen bosnisch-serbischer Truppen bekommen sie keine Verstärkung. Unter der Führung des Armeegenerals General Ratko Mladic greifen serbisch-bosnische Truppen und Paramilitärs am 6. Juli Srebrenica an. Fünf Tage später fällt die Stadt. Zwischen dem 11. und 16. Juli wurden rund 8.000 muslimische Jungen und Männer ermordet. Die Täter vergraben tausende Leichen in Massengräbern. Die Verbrechen vom Juli 1995, die systematisch geplant und durchgeführt werden, gelten als das schlimmste Massaker in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

BELGRAD taz | Srebrenica ist derzeit in Serbien wieder in aller Munde. Über das totgeschwiegene Abschlachten von über 8.000 Muslimen in dem bosnischen Städtchen am 11. Juli 1995 wird heftig diskutiert, debattiert und gestritten.

Der Anlass war eine Initiative von Staatschef Boris Tadić, in den kommenden Monaten eine parlamentarische Resolution verabschieden zu lassen, die die Verbrechen in Srebrenica verurteilt. Zudem schlug Tadić vor, auch noch über eine zweite Resolution abzustimmen, die „alle“ Verbrechen beziehungsweise die an Serben begangenen Gräueltaten verurteilt. Nach dem Motto: Wenn wir uns schon selbst schlechtmachen müssen, dann wollen wir zeigen, dass wir nicht schlechter sind als alle anderen, wie Kritiker anmerkten.

Andere sind jedoch der Meinung, dass Tadić sich von politischem Pragmatismus leiten ließ, denn eine eigene Resolution über Srebrenica hätte auch heute keine Chance auf eine parlamentarische Mehrheit in Serbien.

Die Regierungskoalition ist in der Srebrenica-Frage genauso zerstritten, wie die Gesellschaft. Daran hat sich seit 2005 nichts geändert, als ein erster Versuch, eine Srebrenica-Resolution zu verabschieden, scheiterte.

Für Nenad Prokić von der „Liberal demokratischen Partei“ (LDP) ist Serbien das erste Land, das der EU mit der Bürde eines unaufgearbeiteten Genozids beitreten wolle. Deshalb sei Belgrad verpflichtet, den Völkermord beim Namen zu nennen und ihn als solchen auch in Geschichtsbüchern zu bezeichnen. Andrija Mladenović von der konservativen „Demokratischen Partei Serbiens“ (DSS) hält es für unerhört, sich selbst als ein „Volk von Völkermördern zu brandmarken“ – wegen eines „angeblichen“ Verbrechens. DSS-Chef und Expremier Vojislav Koštunica hält eine Resolution über Srebrenica für „eine Erniedrigung des eigenen Volkes“.

Im Februar 2007 bezeichnete der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) das von den Truppen der bosnischen Serbenrepublik Republika Srpska (RS) verübte Massaker in Srebrenica in seinem Urteilsspruch als „Völkermord“. Das Gericht hob die Mitverantwortung Serbiens hervor. Sowohl das Europaparlament als auch der US-Kongress verabschiedeten Srebrenica-Resolutionen, die den Genozid verurteilten. Der 11. Juli wurde in der EU zum Gedenktag für die Opfer aus Srebrenica erklärt.

Der Versuch des Präsidenten, eine Srebrenica-Resolution durchzuboxen, habe wenig mit Vergangenheitsbewältigung zu tun, meinen Analytiker. Er sei außenpolitisch motiviert. Belgrad hat im Dezember 2009 in Brüssel die EU-Mitgliedschaft beantragt und hofft bis Jahresende, den Kandidatenstatus zu bekommen. Zudem ist vor dem IGH auf Initiative Serbiens ein Prozess über die Legalität der Unabhängigkeit des Kosovo anhängig.

„Was soll Serbien von dem IGH im Kosovo-Prozess erwarten, wenn es dessen Urteil über den Genozid in Srebrenica ignoriert?“, fragt der Völkerrechtler Vojin Dimitrijević. Eine Srebrenica-Resolution habe niemand von Serbien explizit gefordert, doch sie würde die außenpolitische Position des Landes stärken.

Doch die Initiative von Tadić könnte zu einem Fiasko werden und dem internationalen Ruf Serbiens großen Schaden zufügen. Eine Einigung im Parlament, ob in Srebrenica ein „Genozid“ oder ein „Verbrechen“ geschehen ist, was überhaupt in der Resolution stehen soll und ob es eine oder zwei werden, ist nicht in Sicht.

Eine verwässerte, mit knapper Mehrheit verabschiedete Resolution hätte wenig Sinn. Ein schwacher Trost ist, dass wieder über Srebrenica geredet wird. Der mutmaßliche Hauptverantwortliche für den einzigen rechtskräftigen Genozid nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa, der vom UN-Tribunal gesuchte bosnisch-serbische Exgeneral Ratko Mladić, befindet sich weiter auf der Flucht. ANDREJ IVANJI

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