: Strippenzieher Iran
Dem Regime in Teheran kommt der Karikaturenstreit sehr gelegen. Intellektuelle mahnen
VON BAHMAN NIRUMAND
Die Welle gewaltsamer Proteste gegen Mohammed-Karikaturen hat inzwischen auch Iran erreicht. Am Montag schon zogen mehrere tausend Demonstranten zunächst zur österreichischen Botschaft, demolierten dort Fenster und bewarfen das Botschaftsgebäude mit Steinen. Danach zogen sie zu der dänischen Botschaft und setzten dort das Gebäude in Brand. Auch der Ton friedlicher Empörungsbekundungen wird immer schärfer. Mehr als 200 Parlamentsabgeordnete äußerten ihr „Entsetzen“ über die „Beleidigung islamischer Heiligtümer“ und erklärten sich in einem offenen Brief mit den Protesten in der islamischen Welt solidarisch. Sollten sich die Beleidigungen wiederholen, werde man den Anweisungen von Ajatollah Chomeini befolgen, der gesagt hatte: „Wenn der Westen den Islam angreift, werden wir einen Gegenangriff gegen die gesamte westliche Welt starten.“ Man habe anscheinend aus dem „erbärmlichen Leben, das der Autor der ‚Satanischen Verse‘ (Salman Rushdi) führen musste, nicht die richtigen Lehren gezogen“, drohen die Abgeordneten.
Dass die Proteste in islamischen Ländern vom Iran aus gesteuert werden, vermutet der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD). Im NDR stellte er gestern einen Zusammenhang mit den Entscheidungen der internationalen Gemeinschaft gegen das iranische Atomprogramm her.
Am kommenden Samstag, dem Jahrestag der iranischen Revolution, werden mehrere Millionen Menschen zur Teilnahme an den in der Hauptstadt Teheran und anderen Großstädten geplanten Demonstrationen erwartet. Dazu hat Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad in einem Appell an „das großartige und tapfere Volk Irans“ aufgerufen. In klassischer Manier der Populisten bezeichnet er das Volk als „Fahnenträger des Friedens“, ein Volk, das seit 27 Jahren gegen Anfeindungen des Westens Widerstand geleistet habe. Iran befinde sich an der Schwelle zu einem vorbildlichen, islamischen Staat, in dem Wohlstand, Fortschritt und soziale Gerechtigkeit herrschen werde. Diese Entwicklung solle verhindert werden. „Die Dreisten (die Aggressoren) sprechen uns sogar das Recht ab, zur friedlichen Nutzung der Atomenergie Forschung zu treiben“, schreibt Ahmadinedschad.
Der Aufforderung des Staatschefs haben sich nun auch die Armee, die Organisation der Revolutionswächter und die Milizenorganisation Bassidschi angeschlossen. „Wir werden Schulter an Schulter mit dem tapferen Volk Irans unsere Treue zu der islamischen Revolution bekunden“, heißt es in einer Erklärung der Armee. Ähnlich lautende Erklärungen haben die anderen Organisationen veröffentlicht.
Zu der Diskussion um den Holocaust und die Karikaturen hat sich die in Teheran erscheinende Tageszeitung Hamschahri Originelles einfallen lassen. Sie hat zu einem Karikaturen-Wettbewerb über den Holocaust aufgerufen. „Die westlichen Zeitungen haben diese gotteslästerlichen Bilder unter dem Vorwand der Pressefreiheit veröffentlicht. Lasst uns sehen, ob sie wirklich meinen, was sie sagen, und auch Bilder über den Holocaust drucken“, sagte Farid Mortazwi von Hamschahri. Die wichtigste Frage für die Muslime laute, ob die Meinungsfreiheit des Westens nur Beleidigungen gegen den Islam erlaube oder auch die Beschäftigung mit Fragen wie die Verbrechen Amerikas und Israels oder Ereignisse wie den Holocaust.
Doch während die Radikalen im Iran die Stimmung immer weiter anheizen, gibt es zugleich Stimmen, die den Mut aufbringen, öffentlich zur Besonnenheit aufzurufen. Eine Gruppe von Kulturschaffenden, Professoren und Politikwissenschaftlern hat in einem gestern in der Tageszeitung Schargh veröffentlichten offenen Brief geschrieben, seit Jahren werde zwischen westlichen und islamischen Intellektuellen und Wissenschaftlern ein Dialog geführt, wobei die Muslime bereit gewesen seien, auf die Kritik ihrer westlichen Kollegen einzugehen und mit ihnen über anstehenden Fragen zu diskutieren. Doch bei dem aktuellen Konflikt gehe es nicht um religiöse Inhalte, sondern um politische Provokationen. Manche Kräfte seien dabei, die gewaltsamen Ausschreitungen zum Vorwand zu nehmen, um daraus einen Kampf der Kulturen und Religionen hervorzuzaubern. „Sie sollten aber wissen, dass die Zeit solcher Kämpfe längst vorbei ist“, heißt es in der Erklärung. „Unsere Zeit braucht den friedlichen Dialog.“
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