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Schnäppchenjagd im Strafraum

Der Handel mit WM-Tickets treibt immer seltsamere Blüten. Der Schwarzmarkt hat sich komplett ins Internet verlagert, wo sich Zocker, Bietspanner und Gewissenstäter tummeln. Wer bereit ist, für eine Karte das Doppelte des ursprünglichen Preises hinzublättern, der kann sich sogar noch Hoffnungen auf das Finale am 9. Juli machen

VON BERND MÜLLENDER

„Pumpenjoe1“ hatte ein wirklich faszinierendes Angebot: einen „Prestige VIP Gold Gold Sitzplatz“ für das große Finale der Fußball-WM am 9. Juli in Berlin mit allem Dran und Drum. Der eBay-Anbieter pries inkludierte Annehmlichkeiten wie „Champagner und 4 verschieden Kursen von French to Italien Cousine“, zudem sei der Platz „in der besten Geraden sehr nahe zum Spiel Feld und zu den Top VIPS.“ Auch adäquater Transport sei geregelt, denn es wartet „ein Limo oder Shuttle die Sie vom Auto zum Stadion bringt.“ Pech trotz aller Rundumversorgung: „Pumpenjoe1“ hatte den Startpreis mit 5.450 Euro arg hoch angesetzt. Niemand griff zu.

Es tummeln sich Spinner und Hasardeure im Netz, seriöse Geschäftemacher und clevere Schwarzmarktprofis. Kauf und Verkauf von WM-Karten sind längst Routine. Allein bei eBay gehen wöchentlich an die 250 WM-Tickets über den virtuellen Ladentisch. Wer leidend gern den Olli fliegen und Huuuuth gräääätschen sehen will, kann ein Deutschland-Vorrundenspiel derzeit pro Karte schon für 300 bis 600 Euro erstehen. Argentinien–Niederlande, der vermeintliche Hit der Vorrunden, geht kaum unter 700 Euro das Stück weg. Sparfüchse kamen bislang am besten bei Costa Rica–Ecuador zum Zuge: zwei Karten für zusammen 171 Euro. Für Endspielkarten wollen jetzt schon an die 1.500 Euro angelegt sein, bei der besten Kategorie (Originalpreis: 600 Euro) auch mehr.

Offiziell ist solcher Schwarzhandel nicht erlaubt. Das WM-Organisationskomitee (OK) hat auch alles dagegen versucht. Maximal vier Karten konnte jeder bei den Verlosungen erwerben (bei der letzten Runde im Januar gingen 300.000 Tickets an 6 Millionen Antragsteller). Vor allem: Die Karten sind personalisiert. Aber gegen Marktmacht und Bauernschläue scheint wenig zu helfen. Nirgends greifen die Mechanismen von Angebot und Nachfrage so gnadenlos wie bei Versteigerungen, zudem handelt es sich bei der Ware Fußball um ein hoch emotionalisiertes Produkt jenseits üblicher Vernunft.

Und: Eine WM vor der Haustür wird mindestens die Hälfte der Deutschen nicht ein zweites Mal erleben. Also ran an die Karten.

Der DFB und sein WM-OK untersagen die Geschäfte in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB): Wenn „Anhaltspunkte bestehen“ für Dealereien, kann eine Umschreibung auf den Namen des Käufers untersagt werden. Doch in der Szene hat sich längst ein Trick durchgesetzt: Der Verkäufer erklärt sich für verhindert (Auslandsreise) oder krank (notfalls per Attest). Dann, so der feste Glaube, lassen sich die Karten im Frühjahr problemlos umschreiben. OK-Sprecher Gerd Graus sagt: „Wir sehen sehr genau, was da passiert. Unsere Geschäftsbedingungen verbieten jede Weiterveräußerung. Und wir können nur warnen.“ Er muss aber zugeben: „Ganz ausschließen kann man den Schwarzmarkthandel nie, höchstens eindämmen.“ Und dann kommt doch der angebliche Neffe ins Stadion.

Auf dem Markt sind nicht nur banale Karten für irgendein banales Spiel. „Zwilling0309“ versteigerte gerade das Viertelfinale in Berlin, inklusive Anreise mit Privatchauffeur für 72 Stunden „in einem klimatisiertem Volkswagen“. Erzielter Preis: 1.322 Euro. Ein McDonalds-Gewinnticket ging für 200 Euro weg. Um welches Spiel es geht wird erst noch ausgelost – vielleicht ist es ein Endrundenmatch, vielleicht hat auch ein Ostfriese Iran–Angola in Leipzig gewonnen.

Selbst Fernsehgucken wird vermarktet. Tickets für die Waldbühne Berlin, um Deutschland–Ecuador großbildzugucken, kosten 44,44 Euro pro Stück – das entspricht der GEZ-Gebühr fast für ein Quartal. Unter der Schmuddel-Website www.lovebuy.de hatte Anfang Februar eine spärlich bekleidete Blondine (Deckname „Liebe321meins“) ein ganz besonderes Paket geschnürt: eine Finalkarte in Berlin, dazu sich als Stadionbegleitung und den zweideutigen Hinweis: „Je nach Stimmung entscheide ich spontan nach dem Spiel, ob wir noch etwas unternehmen oder der Auktionsumfang hier endet.“ Das Endspiel mit Nachspielfantasie ging für 2.651 Euro weg.

Der klassische Fall eines Professionellen ist Martin Korn (Name geändert), Inhaber einer Fußball-Reiseagentur. Korn hat „eigentlich kein gutes Gefühl viel zu sagen, schon gar nicht, dass mein Name fällt“. Der Profi weiß, wie „relativ umstritten die ganze Geschichte ist“.

Und wie nervig manchmal auch für Händler wie ihn. Korn hat „bezahlte Sponsorenkarten, ein paar, nicht so viele“. Herkunft: kein Kommentar. Zwei Karten waren für die gesamte Deutschland-Serie „TST 7“. Hinter dem Kürzel verbirgt sich die Serie der drei deutschen Vorrundenspiele, dazu Achtel-, Viertel-, Halbfinale und Endspiel. Das Angebot hatte am Ende 9.800 Zugriffe von Neugierigen. Bei über 15.000 Euro lag das Schlussgebot. Pech dabei: „Der Käufer hat wie irre geboten. Und jetzt will er nichts mehr davon wissen.“ Und ist untergetaucht. Korn hat Strafanzeige wegen Betrugs erstattet, die Tickets bei eBay erneut eingestellt und fast den gleichen Preis noch einmal erzielt. „Eine große norddeutsche Firma“, sagt er, „seriös.“ Ja, das sei „immer noch ein gutes Geschäft“. Zudem: „Ich muss das ja alles versteuern.“

Korn sieht den Handel als normalen Deal zwischen Bieter und Anbieter. Aus eigenem Erleben erzählt er von Tokio, WM 2002: „Afrikanische Botschaften waren damals mit Karten zugeschüttet. Wie und warum auch immer. Und da saßen dann die Händler mit hoch gehäufelten Tickets, manche mit bestimmt tausend Stück.“ Ein Dorado für den Schwarzmarkt. Daher hat Korn auch „viel Verständnis für das OK“, dass man mit der Kontingentierung ähnliche Auswüchse verhindern wollte.

Wegen der großen Summen wickelt Profi Korn eBay-Verkäufe „nur über Treuhandkonto ab“. Viele Nuller seien unterwegs, sagt er. Nuller sind Leute ohne bisherige Wertung, die sich neu auf der Auktionsplattform anmelden – „nur weil sie zufällig eine Karte haben oder sogar nur so tun“. Als abschreckendes Beispiel empfiehlt er ebay.co.uk, das britische Portal: „Unglaublich, lauter Nuller, Wahnsinn was die anbieten: Endspieltickets, sofort überweisen … da kriegen Sie nie ne Karte.“

Ungewöhnlich ist die Aktion von Moritz Printzen (Name geändert) aus Ulm, einer der wenigen, die auf den Kontaktwunsch des Reporters reagierten. Er hatte bei der Verlosung 2005 „zwei Karten zugeteilt bekommen für München“ und freute sich: Es sollte seine Premiere sein „in diesem tollen neuen Stadion“. Die Auslosung ergab zudem: Australien–Brasilien, ein Knüller. Printzen freute sich noch mehr, sah aber bald, wie viel für das Spiel geboten wurde. Das fand er „faszinierend und unanständig, so viel Geld, das geht am Sinn vorbei, da wird das Event abgewertet“.

Printzen verkaufte seine Karten bei eBay. Er warb damit, dass das Geld, inklusive Kaufpreis, gespendet wird. „Das geht an ein Schulprojekt in Burkina Faso“, sagt er, „die Freundin meiner Frau macht da mit.“ Mit 500 Euro hatte er gerechnet, es wurden über 1.100.

Gewissensmensch Printzen weiß, dass er wegen der Umschreibung lügen muss. „Aber in diesem Fall ist meine Hemmschwelle gering. Rechtlich mag das eine Grauzone sein, aber ich fühle mich nicht als Täter mit irgendeinem Unrechtsbewusstsein.“ Er will sich „was einfallen lassen“ – etwa den Schwippschwager 3. Grades angeben. OK-Sprecher Graus, auf diesen Sonderfall angesprochen, muss zugeben, dass das „wohl eine hehre und schöne Aktion ist“. Sollte man das nicht erlauben? Nein, sagt er streng, „selbst das kann man nicht offizialisieren. Auch mit Spende bleibt das Schwarzmarkthandel.“ Dem Betrug wäre ein neues Türchen geöffnet. Graus weiß: „Der Kartenverkauf ist eine unendlich komplizierte Angelegenheit.“

Mittlerweile liegt der erste Fall dem Amtsgericht Frankfurt vor. Ein Fußballfreund aus Essen hatte bei eBay zwei Karten für das Gelsenkirchener Viertelfinale erworben (880 Euro) und offen die Umschreibung beantragt. DFB und OK lehnten ab. Der Rechtsanwalt des Esseners, Jörg Dittrich, hält „die AGB in diesem Punkt für unwirksam“. Im Gegenteil, sagt er, „gerade das gängige Täuschen“ sei doch „glatter Betrug“. Sein Mandant dagegen habe nicht gewerblich gehandelt, auch der Verkäufer keine Steuern hinterzogen. „Ein Verbot in einer Marktwirtschaft leuchtet mir nicht ein. Preisbindung kenne ich bislang nur bei Büchern.“ Am 20. Februar wird der Fall verhandelt.

Das beste Schnäppchen sind VIP-Logen-Serien. Niemand weiß genau, wie diese Edelkarten womöglich aus den Safes der großen Konzerne auf den freien Markt kommen. Gerd Graus staunt auch: „Keine Ahnung. Wenn wir das wüssten!“ Es können aber auch, sagt er, Karten sein aus Verlosungen oder Hospitality-Kauftickets. Neulich erwarb jemand für 14.700 Euro zwei VIP-Karten „TST7-Deutschland“. 14 Tickets also inklusive Logenluxus, ähnlich wie bei Pumpenjoe beschrieben. Weiterer Vorteil: Solche Edeltickets sind blanko, müssen also nicht umgeschrieben werden, sondern nur mit Namen gemeldet.

Es bedarf keiner Fantasie, um sich sich bei der WM sehr gemischte Logenbelegungen vorstellen: In Hamburg sitzt neben wichtigen Fürsten aus Verwaltung und Regierung ein Luden-Duo von der Reeperbahn, das sein Schwarzgeld sinnvoll untergebracht weiß: „Geiles Spiel, was Ole!?“

In Stuttgarts edler Daimler-Suite taucht ein Lotto-Millionär wie Erwin Lindemann samt Schwiegermutter aus Wuppertal-Oberbarmen auf.

Und am Palisander-Tisch des Herrn Ackermann von der Deutschen Bank nimmt unser Freund Pumpenjoe Platz, der seine Karte einfach nicht los geworden ist: „Prost Jupp!“

Wenn Deutschland (oder Ackermanns Schweiz) das 1:0 schießt, wird man sich mit dem Victory-Zeichen wie unter Brüdern zujubeln. Das werden herrliche Partys.

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