Volltreffer durch Symbolpolitik: KOMMENTAR VON KARIM EL-GAWHARY
Werden die Geschichtsbücher später einmal das Attentat auf den schiitischen Askarija-Schrein in Samarra als Auslöser eines blutigen irakischen Bürgerkriegs verzeichnen – oder ist es doch noch nicht so weit? Sicher ist: Diejenigen, die ein Interesse daran haben, die ethnischen und religiösen Spannungen voranzutreiben, bis im Irak ganze Bevölkerungsgruppen mit Waffen aufeinander losgehen, wissen nun, wie man das macht. Nicht Menschen, sondern Symbole müssen angegriffen werden. Tausende tote Schiiten infolge brutaler Anschläge hatten nicht den gleichen Effekt wie die in die Luft gesprengte goldene Kuppel eines wichtigen Heiligtums.
Entstanden ist nun eine klassische Situation, wie sie Bürgerkriegen oft voranzugehen pflegt. Alle fühlen sich als Opfer. Die Schiiten interpretieren den Anschlag auf den Schrein als einen Angriff auf den Kern ihres Glaubens. Und die Sunniten sehen sich nach der Detonation in Samarra als Leidtragende eines schiitischen Rachefeldzugs.
Opfer ist auch der politische Prozess. Ging es bisher noch darum, die Sunniten statt in die Guerilla in die Regierung einzubinden, ist es nun mit der Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit erst einmal vorbei. Jetzt geht es wieder ganz unverhohlen um die Verteilung von Macht und Ressourcen. Die letzten beiden Tage gaben den Schiiten sicherlich auch eine Möglichkeit, zu demonstrieren, dass sie ihre Macht auf der Straße auch in politische Macht umgesetzt haben wollen.
Auch innerhalb der Schiiten ist ein offener Machtkampf ausgebrochen. Gewinnt ihn der besonnene Großajatollah Ali al-Sistani oder der mit dem Feuer spielende Schiitenführer Muktada al-Sadr? Der Ausgang ist ungewiss, auch die Frage, wie sich der Iran verhält. Der ist sicher an einer schiitischen Machtdemonstration im Irak interessiert, nicht aber notwendigerweise an einem destabilisierenden Bürgerkrieg in unmittelbarer Nachbarschaft.
Und die Amerikaner? Sie haben letztlich mit ihrem Krieg die Situation zu verantworten, fungieren aber heute nur noch als Zuschauer. Wenn die US-Armee endgültig zur Seite tritt und den irakischen Brandstiftern das Feld überlässt – dann hat der Bürgerkrieg auf jeden Fall begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen