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Das Kreuz mit der Deadline

„Wir machen jetzt erst mal eine supergute Schlagzeile“ Die Flasche Rotwein steht schon früh am Nachmittag auf dem Tisch

VON GERRIT BARTELS

Es ist 15 Uhr an diesem regnerischen Gründonnerstag, und im Büro der Chefs vom Dienst in der zweiten Etage des taz-Gebäudes muss langsam entschieden werden, was auf die Seite eins der Verleger-taz kommt. Gina Kehayoff kämpft engagiert für die von ihr organisierte Zeichnung von Toni Ungerer, ein an einem schwarzen Kreuz hängendes rosa Schweinchen, auch die taz-CvDs sind der Zeichnung nicht abgeneigt. Nur haben sie keine Entscheidungsbefugnis. Kehayoffs Kampf bleibt ein einsamer.

Susanne Schüssler von Wagenbach, gewandet in eine knallblaue Jacke und einen knallorange Pullover, bezeichnet das Schwein am Kreuz schlichtweg als zu „platt“. Der junge Tom Kraushaar vom Tropen Verlag moniert die „altbackene Achtzigerjahre-Ästhetik“, und für die gütige, aber entschlossene Antje Kunstmann ist Ungerers Zeichnung lediglich eine „Verdoppelung des Titelthemas“, das Kreuz mit den Deutschen. Allerdings überzeugt die Alternative, zwei Zeichnungen von Funny van Dannen, auch niemand. Schließlich ruft Wolfgang Ferchl vom Piper Verlag: „Wir machen erst mal eine supergute Schlagzeile, damit die taz eine supergute Zeitung am Kiosk hängen hat.“

Plötzlich ist der Titel die Party. „Schöner auferstehen“? Oder „Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein“? Vielleicht „Schöner aussterben“? Als die Wahl übereinstimmend getroffen ist, hat Ungerer keine Chance mehr: „Wir suchen jetzt jemand, der das plakativ illustriert.“ Andere Zeichner werden kontaktiert, die Fotoredaktion wird befragt. Es dauert eine weitere Stunde, bis man sich auf den bunten Jesus einigt. Ob dieser jedoch die Forderung von Georg Stein vom Palmyra Verlag erfüllt, die Seite eins brauche einen Inhalt, „der uns als Verleger kenntlich macht“?

Business as usual in der taz-Redaktion also. Die obligat kontrovers diskutierte Seite eins, das schlagendste Verkaufsargument am Kiosk – da unterscheiden sich 31 Verleger und Verlegerinnen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nicht von Zeitungsredakteuren. Pünktlich um halb zehn hatte taz-Chefredakteurin Bascha Mika die große Konferenz im ersten Stock eröffnet und nach einer kurzen Ansprache die Verantwortung an die Verleger abgegeben. Unter der Leitung von Christoph Links als Chef vom Dienst und Antje Kunstmann als Chefredakteurin oblag es nun diesen, die Ostersamstagausgabe der taz bis 18 Uhr auf den Weg zu bringen, unter den üblichen Produktionsbedingungen, die taz-Redakteure lediglich als Produktionsassistenten an ihrer Seite.

Natürlich hatte man sich schon Tage zuvor in einer Vorbereitungsgruppe und per E-Mail überlegt, welche Struktur man der Zeitung geben wollte, wie die Ressorts verteilt und welche Autoren und Autorinnen zum vorgegebenen Thema „Das Kreuz mit den Deutschen“ angesprochen werden sollten. Dabei dokumentierte insbesondere der „E-Mail-Tsunami“ (Thedel von Wallmoden vom Wallstein Verlag), mit wie viel Ernst, Engagement und Leidenschaft sich die Verleger und Verlegerinnen an die Zeitungsproduktion machen würden. Da betrieb man zwar auch viel Werbung in eigener Verlagssache, da wogte es aber gleichfalls diskursiv hin und her.

Ulrike Helmer etwa wünschte sich die taz für diesen Tag „locker ‚gegendert‘ “, weil ihr bei den vorgeschlagenen Autoren und Autorinnen schon „wieder 95 Prozent Männer ins Auge“ stachen; die Wahrheitsseite stand zur Disposition, was für erregte Diskussionen sorgte; nicht alle empfanden den Zeitungsaufhänger als catchy, so wie Georg Stein: „Die bundesdeutsche Nabelschau unter dem Motto ‚Das Kreuz mit den Deutschen‘ finde ich etwas uninspiriert, vor allem auch im Kontext dessen, was die Welt vor der deutschen Haustür momentan sonst so bewegt“; und der Spiritus Rector der Verlegertaz, Nicolaus Hansen von Mare (der dann wegen eines Fahrradsturzes nicht bei der Produktion dabei sein konnte), musste die Kollegen bisweilen richtiggehend zur Ordnung rufen. Als es um Kürzungen an Matthias Polityckis Artikel über Kuba ging, befand Wolfgang Farkas von Blumenbar, der sei um 100 Prozent kürzbar. Das brachte ihm postwendend eine Rüge von Hansen ein: „Wir sind alle nicht solche Idioten und Arschlöcher, dass wir das von anderen Beigebrachte mit unqualifizierten Kommentaren in die Tonne treten können. Ich jedenfalls weigere mich, diese Wortmeldungen zur Kenntnis zu nehmen.“

Sieht man von der Seite-1-Kontroverse ab, geht es am Tag der Produktion einträchtiger zu, als das E-Mailing vermuten ließ. Nachdem die Texte verteilt und die ersten Seiten layoutet sind, wird konzentriert und unaufgeregt produziert. Im ungewohnt ruhigen Inlandsressort sitzen Wolfgang Ferchl und Ludger Claßen von Klartext und produzieren aktuell eine Seite zum Ehrenmord-Urteil und eine zu der abgesetzten MTV-Show „Popetown“. In der Ruhe liegt hier die Produktionskraft. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig ist es, als der Vermischtes-Redakteur Tom Kraushaar hereinspaziert und anbietet: „Wir hätten noch Platz für kurze Texte.“ Oder dass die Abgesandten des Berlin Verlags ausgerechnet die Sportseiten als Erstes fertig haben.

In der Kultur wiederum, sonst in der taz das Ressort mit der frühesten Deadline, ist schnell klar, dass bis in den Abend gearbeitet werden muss. Im zeitweise mit elf, zwölf Menschen übervollen Büro der Kulturredaktion sitzt Bernd Lunkewitz vom Aufbau-Verlag und starrt gebannt auf seinen Bildschirm. Es wirkt, als liege er im Clinch mit Text und Computer. Die drei Verantwortlichen für die Literaturseiten dagegen, Jochen Jung, Manfred Metzner vom Verlag Das Wunderhorn und Lucien Leitess vom Union Verlag, lassen es gemächlich angehen, sie sind kaum aus der Ruhe zu bringen. Die Flasche Rotwein aber, die schon früh am Nachmittag auf dem Tisch steht, hat Lunkewitz besorgt. „Hoffentlich taugt der was“, knurrt er. Derweil feilt Helge Malchow von Kiwi im zweiten Stock am Editorial. Das von Nicolaus Hansen gesandte erscheint ihm als zu betulich, er will für mehr Feuer sorgen und schreibt es um.

Erstaunlich ist, wie sich alle bemühen, den Regeln des Zeitungsmachens zu entsprechen. Vergessen der Gedanke, eine völlig andere Zeitung zu machen, das ruhigere Handwerk des Verlegens über das kurzlebige Tagesgeschäft einer Zeitung zu stellen. Zeitabläufe und Produktionsbedingungen geben den Rhythmus vor, der Apparat siegt, und am Ende bekunden viele, das es Spaß gemacht habe, der Job aber nichts für sie sei: diese Brutalität im Umgang mit Texten, diese höchste Konzentration auf den Punkt.

Kurz nach 18 Uhr ist fast alles fertig: Hier fehlt noch eine Kurzbiografie zu Stefano Benni, dort muss Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag den Grund für seine Berufswahl präzisieren. Was es an Ungereimtheiten gab, an versteckten Unzufriedenheiten, das klären schließlich alle wie auf einem Verlagsempfang in Frankfurt bei Bier und Wein im taz-Café. Doch viel zu klären ist nicht. „Es ist überraschend“, sagt Antje Kunstmann in ihrem Schlusswort, „wie gut wir uns doch heute verstanden haben.“

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