: „Wir brauchen eine stadtweite Aufbruchstimmung“
STADTWERK Berlin soll seinen Kohlendioxid-Ausstoß drastisch reduzieren. Ein Stadtwerk, wie es beim Volksentscheid zur Abstimmung steht, könnte einen guten Teil dazu beitragen, sagt Wissenschaftler Bernd Hirschl, Mitautor der Studie „Klimaneutrales Berlin 2050“
■ leitet am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung Berlin das Forschungsfeld Nachhaltige Energiewirtschaft und Klimaschutz. Er gehört zu dem Team, das Ende 2013 die Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin“ im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt vorlegen wird.
INTERVIEW SEBASTIAN PUSCHNER
taz: Herr Hirschl, wird Berlin im Jahr 2050 eine klimaneutrale Stadt sein, wie vom Senat gewünscht?
Bernd Hirschl: Dafür müssten wir unsere Kohlendioxid-Emissionen gegenüber dem Jahr 1990 um 85 Prozent reduzieren. Die Möglichkeiten dazu hat Berlin. Aber ich bin kein Hellseher.
Worauf kommt es an?
Viele vergessen ja gern, dass eine CO2-Reduktion in diesem Umfang ein von der Bundesregierung gesetztes Ziel in Deutschland ist. Wenn man es ernst nimmt, dann können sich die Städte nicht ausnehmen und weiter fröhlich ihrem Energieverbrauch frönen, während sie sich auf das Umland und die dortigen Flächen für erneuerbare Produktionsanlagen verlassen. Wir sind noch mitten in der Arbeit an unserer Studie, aber für Berlin gibt es auf jeden Fall fünf zentrale Handlungsfelder.
Welche?
Die Gebäude, der Verkehr, die gesamte Wirtschaft, der Energiekonsum und die -erzeugung.
Aha.
Alle fünf müssen ihre Beiträge in Richtung Klimaneutralität leisten. Das ist schon jetzt eine unserer zentralen Erkenntnisse. Wir können zum Beispiel nicht sagen: „Das mit der energetischen Sanierung der Gebäude – das schaffen wir in Berlin aus verschiedenen Gründen nicht, das muss dann primär der Ausbau der grünen Energieerzeugung auffangen.“ Die Annahme, wenn wir grüne Energieversorgung haben, dann kann der Verbrauch so hoch sein, wie er will – die wird sicher nicht funktionieren.
Was für eine Rolle könnte ein Stadtwerk spielen?
Es braucht zum einen einen rechtlichen Rahmen und zum anderen eine stadtweite Aufbruchstimmung, um das Thema „klimaneutrales Berlin“ voranzubringen. Je weniger der rechtliche Rahmen hierzu etwas erzwingt, desto nötiger sind Akteure, die Prozesse in Gang bringen. Und Projekte anschieben, die erwünscht sind, möglicherweise derzeit aber noch etwas weniger Rendite abwerfen. Ein Stadtwerk, dessen Geschicke man selbst bestimmt, ist da natürlich ein wichtiger Player.
Welche Rolle spielt in diesem Fall das Mittel des Volksentscheids?
Er ist wichtig, gewissermaßen als Seismograph für die Bedeutung dieses Themas für die Berliner Bevölkerung – auch wenn man dies dadurch erschwert hat, dass die Abstimmung nicht gleichzeitig mit der Bundestagswahl stattfindet. In Hamburg gibt es nach dem erfolgreichen Entscheid Ende September nun einen starken Impuls auf die politischen Akteure. Und wenn in Berlin ein Stadtwerk neu gegründet wird, das in kommunaler Hand ist und eine Satzung hat, die ökologische, soziale und demokratische Elemente beinhaltet, dann hätte dieses Stadtwerk entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten.
Wie realistisch ist überhaupt die Umsetzung dieser ökologischen, sozialen und demokratischen Elemente, die beim Volksentscheid zur Abstimmung stehen?
Dessen Initiatoren kritisieren ja, dass das, was jetzt vonseiten der Koalition geplant wird, lediglich ein Ministadtwerk sei, ohne Stromhandel etwa. Ich glaube tatsächlich, dass man versuchen sollte, die kommunalen Kräfte aus bestehenden Landesunternehmen, die sich schon mit dem Thema Energie beschäftigen, zu bündeln. Und ein Stadtwerk macht eigentlich nur Sinn, wenn man anfangs auch mit Strom handelt und Strom zukauft – solange man nur wenige eigene Kapazitäten hat oder darin investieren kann.
Warum?
Auf diese Weise kann man sich etablieren. Das zeigt das Beispiel Hamburg sehr gut. Und so hat man die Möglichkeit, einen Kundenstamm, ein gewisses Kapital und eine kritische Größe zu erreichen.
Eine kritische Größe wofür genau?
Um nach und nach eigene Erzeugungskapazitäten aufzubauen. Und um so etwas wie Aktivitäten gegen Energiearmut überhaupt zu finanzieren. Mit einem kleinen Stadtwerk können Sie das kaum machen, da werden das lediglich Placebo-Effekte sein. Allerdings ist ein Stadtwerk nicht dazu da, Armut zu lindern. Wenn sich Energiekosten aus Gründen, die die Politik zu verantworten hat, erhöhen, dann muss man ebenso die Sozialtransfers erhöhen.
Die Initiatoren des Volksentscheids wollen sozial schwache Haushalte dabei unterstützen, ihren Energieverbrauch zu senken.
Das macht Sinn. Ein Stadtwerk soll nicht die Sozialpolitik machen, für die der Bund oder bestimmte Senatsverwaltungen zuständig sind. Aber Energieeffizienz anzusprechen, das ist richtig. Gleiches gilt beim Thema Stromsperren: Es sollte keinen Automatismus dazu geben, wenn jemand seine Stromrechnung nicht bezahlen kann. Man muss vielmehr nach anderen Lösungen suchen. Aber dafür braucht es ein Stadtwerk von entsprechender Größe.
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