piwik no script img

Etwas Balsam für die Arbeitnehmerseele

In Köln beehrte Angela Merkel die christlichen Arbeitnehmer zum 60. Geburtstag in Köln: Auf der einen Rheinseite feiernde Kollegen, auf der anderen demonstrierende Gewerkschafter, auf der Bühne der Alterszorn von Norbert Blüm

KÖLN taz ■ Bundeskanzlerin Angela Merkel sah verdrießlich aus, als sie am Samstag beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) in Köln eintraf. Mit Trillerpfeifen wurde sie von Gewerkschaftern begrüßt und von Polizisten abgeschirmt. Die Bundeskanzlerin huschte rasch in das Festzelt hinter dem Kölner Sportmuseum – doch dort ging es kaum leiser zu. Vom anderen Rheinufer schallte es „Tarifvertrag jetzt!“ herüber – der DGB hielt dort eine Kundgebung ab. Doch die CDA-Festtagsstimmung konnten weder Merkels Laune noch die DGB-Proteste vermiesen.

Nur CDA-Bundesvorsitzender Karl-Josef Laumann hätte die Feierlaune fast verdorben: Als Landesarbeitsminister hatte er das Kombilohn-Modell für NRW propagiert. Am Freitag vor dem Kölner Auftritt setzte es dann einen lauten Rüffel von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD). Und so fragte sich die Festgesellschaft: Wird sich die Kanzlerin wiederum Müntefering anschließen? Ihr Statement – der Kombilohn sei ein „sinnvolles Instrument“ – war für die Unionisten erlösend. Weil Merkel die Unternehmen zudem aufforderte, mehr sozialversicherungspflichtige Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen, erfreuten sich die CDA-Mitglieder an der fast neosozialen Kanzlerin.

Links überholt wurde Merkel freilich von Ex-Bundesarbeitsminister und CDA-ler Norbert Blüm. Das schlechte CDU-Ergebnis bei der Bundestagswahl in NRW war Anlass für Blüms Festvortrag: „Da sieht man, wohin man mit einem neoliberalen Programm kommt“, giftete Ex-Bundesarbeitsminister Blüm, „Beifall des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeberverbände ist nicht der Beifall des Volkes!“ Blüms Rede hatte nur einen Schönheitsfehler: Merkel war gar nicht mehr im Raum. Mit geschickter Fest-Regie hatten CDA-Funktionäre dafür gesorgt, dass Merkel und der Journalistentross Blüms Worte gar nicht mehr hörten. Sie verpassten etwas.

„Diejenigen, die dieses Schreckgespenst einer Sozialdemokratisierung der CDU an die Wand gemalt haben, müssen zur Strafe jetzt mit der SPD regieren“, rief der grinsende Blüm: „Da hat der Liebe Gott offenbar mehr Einfallsreichtum Nachhilfe zu leisten, als ich es hatte!“ Der soziale Nachhelfer geißelte Unternehmen, die nicht mehr von verantwortungsvollen Eigentümern, sondern von „Funktionären im Auftrag der Börse“ geleitet würden. Bei Opel habe es in 15 Jahren 20 Vorstandsvorsitzende gegeben: „Die ritten durch den Betrieb wie Cowboys über die Ranch.“ Das Soziale habe es derzeit schwer, so Blüm – auch in der CDU: „Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus glauben manche, sie hätten jetzt nicht mehr notwendig, soziale Rücksichten zu nehmen.“ Blüm Worte waren Balsam auf Arbeitnehmerseelen. Einen tröstenden Applaus gab es auch für ihren über eine RWE-Gehaltsaffäre gestolperten Ex-Vorsitzenden Hermann-Josef Arentz. Zustimmung sicherte sich auch Ministerpräsident Jürgen Rüttgers – im Einklang mit seinem Arbeitsminister Laumann betonte er das Soziale.

Nur Merkel gelang es nicht so gut, ihre Mundwinkel oben zu halten. Lieber forderte sie eine „internationale Dimension der sozialen Marktwirtschaft“, mahnte energisch mehr Zusammenhalt in der Großen Koalition an. Kurz bevor sie sich auf den Weg machte, kamen auch noch DGB-Chef Sommer und Verdi-Vorsitzender Bsirske ins Festzelt. Nach ihrer Stör-Kundgebung für einen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst suchten auch sie vergeblich nach dem Lächeln der Kanzlerin. FRANK ÜBERALL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen