: Alleinerziehend und schwul
GLEICHSTELLUNG Homosexuelle Pflegeeltern sind noch die Ausnahme: Zwei schwule alleinerziehende Männer gibt es in den insgesamt 422 Pflegefamilien in Bremen
Eine gemeinsame Adoption ist gleichgeschlechtlichen Paaren in Deutschland nicht erlaubt. Pflegschaften hingegen dürfen Lesben und Schwule seit 1996 übernehmen – gemeinsam oder allein.
■ Pflegschaften sind nach den Angaben von PiB bis zur Volljährigkeit angelegt. In 99 Prozent der Fälle kehren die Kinder nicht zu ihren leiblichen Familien zurück.
■ In Bremen leben laut PiB 550 Kinder in 422 Pflegefamilien. Darunter 84 Alleinerziehende, acht Frauenpaare und zwei alleinerziehende schwule Männer.
■ In Hamburg leben von 212 Pflegekindern, die der Verein „Pflegekinder in Familien“ betreut, elf bei lesbischen Paaren. Wie viele der insgesamt 1.394 Pflegekinder in Hamburg bei gleichgeschlechtlichen Paaren leben, wird laut Sozialbehörde nicht erfasst.
VON TERESA HAVLICEK
Schwul und alleinerziehend – das Familienmodell, das Simon Müller* lebt, liegt jenseits traditioneller Vorstellungen. Seit fast 20 Jahren nimmt der Bremer Pflegekinder auf. Vier Kinder leben momentan bei ihm – Kinder mit einer Vorgeschichte, Kinder, die meist aus zerrütteten Familien kommen. Sein „Hauptleben“ bestehe in der Rolle des Pflegevaters, sagt Müller. Das sei für ihn „Job und Familie zugleich“.
Mit Mitte Zwanzig hat der heute 43-Jährige begonnen, Kinder aufzunehmen. Zunächst gemeinsam mit seinem Bruder in einer WG, später allein. Heute leben zwei Pflegekinder dauerhaft bei ihm. Zwei weitere Kinder nimmt er in Übergangspflege: Kinder, die in Krisensituationen in Obhut genommen werden. Kurzfristig, manchmal innerhalb weniger Stunden, nimmt das Jugendamt sie aus ihren Familien. Sie bleiben bei Müller, bis geklärt ist, ob sie wieder bei ihren Herkunftsfamilien leben können – oder dauerhaft woanders untergebracht werden. Das dauere mal drei, mal sechs Monate, manchmal ein ganzes Jahr.
Mit „offenen Armen“ werde er empfangen als Mann, der Kinder in Pflege nimmt. „Es fehlen die männlichen Figuren und Vorbilder, besonders für Jungen“, sagt er. Dass er schwul ist, macht er dabei nicht gleich zum Thema. „Ich habe da viele Unsicherheiten“, sagt er. Er habe vor allem Sorge, dass Kinder, vor allem aber Jugendliche, ihn ablehnen könnten. Oder dass die leiblichen Eltern seine sexuelle Orientierung nutzen, um die Kinder gegen ihn aufzubringen. Im Kontakt mit Jugendamt und Behörden hingegen habe er nur gute Erfahrungen gemacht: „Dort hat man gerade das Ungewöhnliche begrüßt.“
Die beiden Jungen, die fest bei ihm leben, wissen, dass er schwul ist. Bei den Kindern, die kurzfristig zu ihm in Übergangspflege kommen, ist es ihm wichtig, dass sie nicht von vornherein Bescheid wissen. Es brauche Gespür, den richtigen Zeitpunkt zu finden, darüber zu sprechen. „Es ist besser, wenn die Kinder mich bereits kennen und Vertrauen aufgebaut haben, wenn sie davon erfahren.“
Monika Krumbholz, Leiterin von „PiB –Pflegekinder in Bremen“ sagt, dass sie Müllers Sorgen nachvollziehen kann. Ihren Erfahrungen nach gebe es gegenüber homosexuellen Pflegeeltern jedoch „nicht mehr Vorbehalte als gegenüber anderen auch“. Die Pflegekinder könnten von Konstellationen jenseits der klassischen Familie nur profitieren: „Sie erleben dadurch, dass Homosexualität in unserem Leben und Alltag normal ist.“
Pflegeeltern wie Simon Müller seien aber nach wie vor die Ausnahme. „Wir suchen Menschen, die quer denken können“, sagt Krumbholz. Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Paare oder Hausgemeinschaften, in denen sich mehrere Erwachsene die Verantwortung für ein Pflegekind teilen. Von ihnen verspricht sie sich „ein gutes Verständnis für das Paket, das die Pflegekinder mitbringen“. Denn die haben immer schon das Scheitern der leiblichen Familie erlebt – eine „Erfahrung, die ein Kind prägt“, so Krumbholz.
Ob das potentielle Pflegeeltern nicht auch abschreckt? „Nein“, sagt Simon Müller, „man sollte sich das zutrauen, vieles hört sich von außen schwieriger an, als es tatsächlich ist.“ Zwei Pflegesöhne, die bei ihm aufwuchsen, sind heute erwachsen. Der eine studiert, der andere macht eine Ausbildung zum Erzieher und tritt in seine „Fußstapfen“, wie Müller sagt.
Und eben darum gehe es ihm: Die Chance, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu begleiten. „Es macht unheimlich stolz, zu sehen, dass sie ihren Weg gut meistern und man ihnen dabei etwas mitgeben konnte“, sagt Müller.
* Name geändert
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