: Umweltschutz nur noch bei Gelegenheit
Durch die geplante Föderalismusreform verliert der Bund Kompetenzen zum Beispiel im Naturschutz und im Wasserrecht. Darüber sollen künftig die Länder bestimmen dürfen. Das führt zu weniger Ökologie und mehr Bürokratie, mahnen Experten
AUS BERLIN HANNA GERSMANN
Deutschland ist ökologisch, trennt Müll, rettet Obstbäume – von wegen. Vor „Ökodumping“ hierzulande warnten gestern die Umweltverbände. Darunter der BUND, der Deutsche Naturschutzring (DNR) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Sie kritisierten die Föderalismusreform der Regierungskoalition, die der Umwelt schade.
Aber von vorn: Gestern ging es bei einer Anhörung im Bundestag darum, wer künftig beim Umweltschutz bestimmt – die Länder oder der Bund. Insgesamt debattieren 100 Experten sieben Tage lang den großen Plan der Regierung, die Kompetenzen für die Gesetzgebung zu entflechten. So soll der Blockade-Mechanismus von Bundestag und Bundesrat aufgehoben werden. Rund 40 Änderungen des Grundgesetzes sind vorgesehen. Bis zur Sommerpause sollen sie geklärt sein.
Die Korrekturen beim Umweltschutz aber sind besonders umstritten. In seltener Einigkeit fürchten Umweltschützer und Wirtschaftsleute ein großes Durcheinander. So soll die Zentralgewalt in Berlin die gesetzgebende Hoheit etwa bei der Atomkraft oder der Luftreinhaltung behalten. Beim Naturschutz, der Raumordnung oder dem Wasserrecht soll der Bund de facto aber seine Zuständigkeiten an die Länder abgeben. Der Bund regiert nur noch selten durch.
Noch ist das anders. Fabriken müssen zum Beispiel bundesweit einen bestimmten Abstand halten zu den nächsten Wohnhäusern. Investoren müssen in der ganzen Republik für neuen Asphalt Bäume pflanzen. „Künftig wird sich das ändern“, mahnt Helmut Röscheisen vom DNR.
Der Bund verliert nämlich die so genannte Rahmengesetzgebung, mit der er bislang Standards vorgibt. Der Bundestag hat dann offiziell zwar auch noch etwas zu sagen. Er kann ein Grundsatzgesetz machen und wäre dabei noch nicht einmal auf die Zustimmung des Bundesrats angewiesen. Aber die Länder müssen sich daran nicht halten. Ihnen wird eine „Abweichgesetzgebung“ ermöglicht. Röscheisen: „Sie bekommen einen enormen Gestaltungsspielraum.“
Selbst die Wirtschaft ist damit unzufrieden. Im Extremfall sähen sich Investoren in den 16 Bundesländern mit jeweils unterschiedlichen Vorschriften konfrontiert, warnten bereits die Industrieverbände.
Die Umweltschützer allerdings sorgt nicht die Bürokratie. Sie fürchten „weniger Ökologie“. Jürgen Resch von der DUH prophezeit: „Die Bundesländer werden Firmen mit geringen Umweltstandards locken.“ Es gebe einen Wettbewerb nach unten – soweit die EU ihn zulasse. Mittlerweile kommen viele Naturschutzvorschriften aus Brüssel.
Gedacht war das alles mal anders: Die Bundesregierung wollte das Umweltrecht übersichtlicher machen. Dafür hat sich CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel schon eingesetzt, als sie noch Umweltministerin unter Kohl war. Ihr Projekt hieß: Umweltgesetzbuch. Darin sollte der Schutz von Boden, Luft und Wasser in einem Aufwasch geregelt werden. Die Chance ist dahin.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Regierung berät, fürchtet gar, dass die „umweltpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik beeinträchtigt wird“. Die Fraktionsspitzen halten aber an der Reform fest. Volker Kauder (CDU) sieht „keinen Anlass, Änderungen vorzunehmen“. BUND-Chef Gerhard Timm resümiert: „Umweltschutz gibt es nur noch bei Gelegenheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen