: Gucken statt arbeiten
WM Viele Schulen und Betriebe zeigen sich kreativ, damit Schüler und Mitarbeiter das Spiel der deutschen Mannschaft sehen können
VON EBRU TASDEMIR
„Özil und Cacau sind hier die beliebtesten Spieler“, sagt Salim fachmännisch. Der Achtjährige tauscht Paninibilder auf dem Pausenhof der Adolf-Glassbrenner-Grundschule in Kreuzberg. Salim hat Glück. Denn nicht nur seine Mitschüler, auch die Lehrer teilen seine Fußballbegeisterung. Und deshalb kann er am Freitag ab 13.30 Uhr, wenn Deutschland bei der WM gegen Serbien antritt, das übliche Programm gegen Fernsehgucken tauschen. „Wir sitzen zusammen in der Aula und werden das gemeinsam genießen“, sagt Rosa Strobl-Zinner. Sie ist eine der ganz wenigen Schulleiterinnen Berlins, die offiziell zum Public Viewing laden.
An Grundschulen ist das recht unkompliziert. An Oberschulen aber läuft nachmittags noch Unterricht. Und die Vorgabe der Schulverwaltung ist klar. „Die Priorität liegt in der Wissensweitergabe“, sagt der Sprecher von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). Doch es gibt Schulen, die gehen damit spielerisch um. An drei Steglitzer Oberschulen können die Jugendlichen pünktlich zum Anpfiff nach Hause. Hier haben die Schulleiter kurzerhand Unterrichtsstunden und Pausen verkürzt.
Die Carl-von-Ossietzky-Oberschule sieht im gemeinsamen Anfeuern sogar eine Stärkung der Gemeinschaftsgefühls. „Auch wenn wir an unserer Schule viele Schüler aus Einwandererfamilien haben, so sind es doch Berliner Kinder, die das Deutschlandspiel gern mitverfolgen“, sagt der stellvertretende Schulleiter Matthias Specht. Er überlässt es den einzelnen Lehrern, ob sie mit den Schülern das Spiel der „International-Elf“ schauen.
Wer hingegen nicht das Glück hat, Fußballgucken als pädagogisches Konzept zu definieren, wird es schwer haben, die Vorgesetzten vom Arbeiten vor dem Fernseher zu überzeugen. Bei der Deutschen Bahn, Berlins größtem Arbeitgeber, läuft alles strikt nach Plan. „Wir verzichten auf Sonderregelungen“, erklärt ein Unternehmenssprecher. Anders gesagt: Die Mitarbeiter müssen auf die WM verzichten. Ähnlich sieht es bei Vattenfall aus. „Auch fürs Public Viewing braucht man Strom“, sagt eine Vattenfallsprecherin. Deshalb seien einige Mitarbeiter unabkömmlich.
Andere Firmen sind kreativer. So definieren Händler von Mercedes und BMW ihre Verkaufsräume kurzerhand zum Public-Viewing-Ort – für Kunden und Mitarbeiter. Auch kleinere Unternehmen zeigen sich kulant. Der Versandhändler „mytoys“ setzt etwa auf gutes Betriebsklima und lässt einen Beamer in die oberste Etage hieven. Allerdings werden die Mitarbeiter dazu angehalten, leise zu jubeln. Das Callcenter des Unternehmens sei nämlich in Hörweite.
Wer auf Beistand von oben setzt, kann als Katholik beispielsweise in der St.-Otto-Kirche in Zehlendorf vor einer Leinwand um Tore beten. Für Protestanten stehen 17 Kirchen offen, darunter gar der Berliner Dom. In den Moscheen gibt es offiziell kein Public Viewing, schon weil beim Anpfiff noch das Mittagsgebet läuft. Das beginnt nach muslimischen Ritus derzeit um 13.15 Uhr. Danach wolle man sich in der Teestube zusammensetzen, sagt Bilal Terzi von der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm.
Trost gibt es auch für die Bus- und Bahnfahrer. „Die Spielergebnisse werden für die Mitarbeiter und Passagiere durchgesagt“, so ein BVG-Sprecher.
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