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Urlaub im Asylbewerberheim

Dasein Im Grandhotel Cosmopolis, mitten in Augsburg, leben seit Ende Oktober 2013 Flüchtlinge, Künstler und Hotelgäste zusammen. Das Projekt zeigt: Asylsuchende gehören dazu, wenn man nur will

AUS AUGSBURG LENA SCHNABL

Die schlechte Nachricht kommt per E-Mail ins Grandhotel Cosmopolis. Der 60er-Jahre-Bau im Augsburger Domviertel, der mal Altersheim war, ist jetzt Kunstprojekt, Flüchtlingsheim und hippes Vintage-Designhotel mit bester Aussicht auf die Stadt. In der E-Mail schreibt die Flüchtlingsanwältin, dass eine tschetschenische Familie, die hier wohnt, abgeschoben wird.

Wolfgang, Status Haustechniker, hat keine Zeit, sich mit der schlechten Nachricht aufzuhalten, er muss erst mal Getränke holen im Keller. Er hat auch den ollen Plattenspieler für heute Abend fit gemacht. Gäste sollen wie jeden Mittwochabend ihre eigenen Scheiben mitbringen.

Jutta, Status Kommunikationsdesignerin mit Atelier im Haus, fällt auch erst einmal nichts ein. Sie steht hinter dem geschwungenen Tresen im Café und schenkt einem Gast Rotwein ein, der „einfach so reingestolpert“ ist. Sie hat auch die Schilder entworfen, die über der Theke hängen: „Pay as much as you can“ – zahl so viel du kannst. „Hoffe, die Schilder bringen was. 1 Euro 50 für ’n Wein ist einfach zu wenig“, sagt sie.

Das ehemalige Seniorenheim der Diakonie stand gut drei Jahre leer, Flüchtlingsunterkünfte aber waren knapp und Augsburger Künstler hatten eine Idee: Einen Ort schaffen, an dem alle eine Heimat auf Zeit finden können. Hotelgäste, Kulturschaffende, Asylsuchende. „Es geht hier um Menschlichkeit. Darum, zu beweisen, dass ein anderer Umgang mit dem Flüchtlingen möglich ist“, sagt ein Mitbegründer des Projekts. „Integration!“, sagt ein anderer.

Ein Jahr Konzept erarbeiten, ein Jahr Baustelle. Ende Juli dann die Genehmigung vom Ordnungsamt, drei Tage später der erste Bus mit Flüchtlingen, eine Woche später der erste Abschiebebescheid.

Seit Oktober sind auch die zwölf Grandhotelzimmer in den oberen Stockwerken bezugsfertig. In den Dutzend Ateliers im Haus arbeiten die Künstler. Regelmäßig finden Veranstaltungen statt, jeden Mittwoch „Bring your own vinyl“ mit Wolfgang und Jutta. „Damit sich hier Flüchtlinge wohlfühlen, mussten wir es hinkriegen, dass auch Leute gerne kommen, die nicht dazu verpflichtet sind.“

Gleich geht die Feier los.

Hier sein

Wie in anderen Hotellobbys hängen über der Theke Uhren aus verschiedenen Zeitzonen, unter ihnen die Namen der Orte: Statt Tokio steht hier jedoch Gaza, statt Sydney Lampedusa. Nur die Uhr, unter der „Manila“ steht, tickt. Die Zeiger von Lampedusa und Gaza stehen still, auf fünf vor zwölf. Hier ist die Kunst immer auch politisch. „Das ist Zufall“, sagt Wolfgang, grinst, „aber passt ja ganz gut.“

„Hi Andrea“, unterbricht ihn Jutta, „how are you?“

Andrea, Status spanischer Wirtschaftsflüchtling und Hostelgast. Sie sucht seit zwei Monaten in Deutschland die Arbeit, die es in Spanien nicht gibt. Sie ist auch so reingestolpert auf der Suche nach einer Unterkunft und geblieben, hilft mit im Haus, putzt die Klos. Das Café füllt sich, Leute setzten sich aufs goldene Sofa, über dem rote Pagenuniformen hängen, auf Flohmarktstühle und auf gespendete Schulbänke. Die Möbel sind aus dem Sozialkaufhaus, die Stimmung bewegt sich zwischen Studentenheimparty und Antifaabendessen. Ikeaesque Duzkultur.

In seinem Zimmer im ersten Stock isst Oliver, Status Flüchtling aus Mazedonien, mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern zu Abend. Es läuft das Champions-League-Achtelfinale, Marseille gegen Dortmund, die Stadt, in der sie vor sechs Monaten in Deutschland ankamen. In der Heimat hatte jemand Oliver zuerst bewusstlos und dann zum Invaliden geschlagen. „Mafia.“ Mehr will er dazu nicht sagen. Knapp zwei Jahre ist das her, seit August wohnen sie im Grandhotel. Das Knie ist kaputt, Krücken stehen in der Ecke. „Hier ist es so schön. Die Leute sind so gut und ich kann helfen im Haus.“

Er hat mitgemacht bei einer Performance im Theater Augsburg. Von einem Bauzaun umgeben aß er zusammen mit anderen Flüchtlingen und den Künstlern in der Pause der Oper „Intoleranza“. Vor dem Zaun akademische Theaterbesucher mit Aperol Spritz. Die Oper hat er auch gesehen, allerdings in zwei Anläufen. „Ich habe Angst gekriegt, zu viele Erinnerungen sind hochgekommen.“

Im Zimmer hängen Bilder, die seine Frau zusammen mit den Künstlern gemalt hat: kräftige Farben, Maria mit Jesus im Arm, „Mazedonien“ in kyrillischer Schrift. Dortmund gewinnt, die Kinder müssen ins Bett, schließlich ist morgen Schule.

Gut sechzig Flüchtlinge wohnen im ersten bis dritten Stock; auf jeder Etage arbeiten auch die Künstler in ihren Werkstätten. Die Gemeinde zahlt die Miete für die Asylsuchenden an die Diakonie und liefert ihnen Essenspakete, aber oft kochen und essen sie auch mit den Künstlern und Künstlerinnen. Im vierten und fünften Stock sind die Hotelzimmer; im Erdgeschoss vier Mehrbettzimmer und die Lobby.

Als auch die Manila-Uhr dort fünf vor zwölf anzeigt, verabschieden sich die Gäste. Jutta und Wolfgang putzen die Kaffeemaschine.

Die zwei arbeiten, ohne dafür Geld zu bekommen. Wie alle hier. „Wir müssen aufpassen, dass sich die Freiwilligen nicht überarbeiten“, sagt ein Initiator. Viele sind täglich da. „Wir müssen von der Ehrenamtlichkeit weg, wir können unser Leben sonst nicht mehr finanzieren.“ Die Realität. Das ist auch: Miete zahlen, Essen kaufen.

Nächster Tag. Im Café läuft „Love me or leave me“ von Billie Holiday. Sascha, Status jugendliche Utopistin mit Russischkenntnissen, sitzt auf dem Schanktisch im Hinterzimmer, die Hände vor das Mädchengesicht geschlagen. Sie hat gerade von der Abschiebung der Familie nächste Woche erfahren. Sie übersetzt für sie und ist ihre Freundin geworden.

Die Familie unterliegt dem Dublin-II-Abkommen: Das Asylverfahren muss in dem Land stattfinden, in dem sie die EU betreten haben. Bei den Tschetschenen ist das meist Polen. „Da kommen sie in Abschiebegefängnisse! Kein Zutritt von außen, Stacheldraht, Wachen. Polen ist kein sicheres Drittland für die!“ Sascha wird diejenige sein, die der Familie die Nachricht überbringen muss.

Im Vorderzimmer checkt währenddessen Hotelgast Regina ein. Sie ist evangelische Pfarrerin in Nürnberg und macht eine Fortbildung in Augsburg. Sie hat im Internet von dem Hotel gelesen: Blick über den Dom, stylih, vor allem: sozial.

Die Zimmer sind eigenwillig gestaltet. „Leuchtturm“ heißt eines im fünften Stock. Eine Lichtkünstlerin hat es entworfen. Verwaschenes Blaugrau, die Deckenleuchte wirft Formen an die Wand. Der Notrufknopf neben dem Lichtschalter erinnert an die Alten, die hier früher gepflegt wurden und eine runde Lampe an ein Bullauge auf See. Von der Decke baumeln Kleiderbügel. Jedes Zimmer hat ein Waschbecken, Klo und Dusche gibt es auf dem Gang.

Am Anfang gab es keine festen Preise für die Zimmer. „Zahl soviel du kannst“, hieß es wie bei den Getränken im Café. Mittlerweile mussten die Verantwortlichen einen Mindestpreis einführen. 40 Euro für ein Einzelzimmer, 16 Euro für ein Hostelbett. Es sei der „minimale Richtpreis“, damit das Projekt überhaupt funktionieren könne.

Während Regina eincheckt, skizziert Adi im Café einen Frauenkörper. Der Kopf zurückgeworfen, Brüste in den Himmel gereckt. Adi, Status Vorzeige-Flüchtling, sagt: „Das wäre in Afghanistan nicht möglich.“ Es sei kompliziert mit Aktmodellen in einem muslimischen Land. Er hat mittlerweile eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr bekommen. „Ich will mal eine Familie und dazu brauche ich Sicherheit.“ Er zieht die Wörter wie weiches Karamell, das an den Zähnen haftet.

Dort sein

Adi kam als Flüchtling und ist nun Künstler, er hatte im letzten Jahr drei Ausstellungen in Deutschland. Seine Holzschnitzerei und die afghanische Kalligrafie kommen an. „Aber hier hat keiner eine feste Rolle, wir sind alle: Menschen. Ich kann genauso Toiletten putzen.“

Adi gestaltet derzeit eines der Hostelzimmer. Statt Stockwerkbetten gibt es hier Orientteppiche zum Schlafen. Die eine Wand ist rau und roh, darüber befindet sich goldene Kalligrafie. „Ich wünsche mir“, sagt er, „dass irgendwann die ganze Welt so ist wie das Grandhotel Cosmopolis.“ Es ist der Satz, den er allen Reportern sagt, die kommen, um etwas über diese gelebte Zukunftsfantasie in der bayerischen Provinz zu erfahren.

Das Interesse ist groß, auch in anderen Städten gibt es Leerstand und Flüchtlinge, die eine Heimat auf Zeit suchen. In der Lobby bringt eine Nachbarin mit grauer Dauerwelle gerade Lebkuchen vorbei, ein anderer Nachbar kommt mit Chips. Um Adi herum tollen die Kinder der Flüchtlinge, trommeln auf einem Schellenkranz, schalten die Stehlampe im Takt an und aus. „Und die Utopie funktioniert“, sagt eine Künstlerin. „Aber mit der anderen Realität müssen wir jetzt auch fertig werden.“

Die tschetschenische Familie hat zusammen mit ihrer Anwältin eine „freiwillige“ Rückreise durchgesetzt, ihre Abschiebung nach Polen wurde verhindert. Wohin die Reise gehen soll, ist jedoch ungewiss.

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