: Genosse der Kohle-Bosse
Umweltminister Gabriel verschenkt zu viele Verschmutzungsrechte an dreckige Kohlekraftwerke, kritisieren Ökologen
VON HANNES KOCH UND HANNA GERSMANN
Wenn Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eines hasst, ist es der öffentlich geäußerte Verdacht der Kumpanei mit den Konzernen. In der breitbeinigen Art des politischen Handwerkers pflegt er den Gestus der Unabhängigkeit. An die Adresse der Wirtschaftslobby richtet er dann Sätze wie: „Ich will nicht nachgeben.“ Oder: „Jetzt muss mal gut sein.“
Weil er der erste sozialdemokratische Bundesumweltminister überhaupt ist, stellt die politische Glaubwürdigkeit als moderner Ökologe für Gabriel ein so hohes Gut dar. Gestern hatte er Gelegenheit, an seinem Image zu arbeiten: Das Bundeskabinett verabschiedete Gabriels Plan zum Emissionshandel für die Jahre 2008 bis 2012. Darin wird geregelt, wie viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) die deutsche Industrie und Energiewirtschaft ausstoßen darf (siehe Kasten) und welche Menge von Verschmutzungsrechten die einzelnen Fabriken zugeteilt bekommen. Das große Ziel heißt, den Ausstoß von CO2 zu reduzieren, um die weltweite Klimaerwärmung in Grenzen zu halten.
Gabriel selbst meint, seine Operation sei gelungen. „Deutschland bleibt internationaler Vorreiter beim Klimaschutz“, sagte er gestern. Sein stärkstes Argument: Die 800 größten Industrieanlagen und Kraftwerke sollen weniger CO2 ausstoßen als in der ersten Periode des Emissionshandels 2005 bis 2007 – künftig noch 482 Millionen Tonnen pro Jahr.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BdI) findet, das sei zu wenig. Schließlich bedeuten weniger zugeteilte Verschmutzungsrechte, dass Luftverpester Zertifikate hinzukaufen müssen – und zusätzliche Kosten sind schlecht für den Gewinn. Auf der anderen Seite sind sich die Umweltverbände mit den Grünen einig, dass Gabriel besonders der alten Kohle-Industrie im sozialdemokratischen Mutterland NRW zu viele Zugeständnisse gemacht habe.
So kritisiert der grüne Umweltpolitiker Reinhard Loske, dass die Wirtschaft mehr Verschmutzungsrechte erhalte, als sie eigentlich brauche. Im Jahr 2005 habe der tatsächliche Ausstoß von CO2 474 Millionen Tonnen betragen. Warum Gabriel den Industrieunternehmen und Energieproduzenten dann 482 Millionen Tonnen ab 2008 zubillige, fragen sich außer Loske auch diverse Umweltverbände. Diese Vorhaltungen mag der Umweltminister überhaupt nicht leiden. „Juristisch und inhaltlich falsch“ sei die Kritik, erklärt Gabriel. Erstens dürfe er sich bei seinen Berechnungen der künftigen CO2-Menge laut Europäischer Union nicht nur auf ein Jahr stützen, und zweitens habe die Wirtschaft 2005 außergewöhnlich wenig Abgase in die Atmosphäre geschickt. 2000 bis 2002 waren die Emissionen tatsächlich viel höher, für 2003 und 2004 allerdings fehlen die Daten – mangels Messungen. Die will der Umweltminister jetzt erst einmal nachholen – und dann die Verschmutzungsgrenze eventuell „nach unten drücken“.
Außerdem – das ist ein weiterer Kritikpunkt – will Gabriel die Emissionsrechte wie bisher verschenken. RWE, Eon, BASF, Bayer und andere Großverschmutzer sollen nichts zahlen, obwohl die EU erlaubt, zehn Prozent der Verschmutzungszertifikate zu versteigern. Das würde der Bundesregierung etwa 700 Millionen Euro pro Jahr einbringen und die Unternehmen durch den Kostenhebel veranlassen, saubere Anlagen zu bauen. Gabriel aber lehnt die Auktion ab, weil er sie für „Preistreiberei auf dem Rücken der Verbraucher“ hält. Angesichts der Monopolstrukturen in der Energiewirtschaft würden die Konzerne die Kosten der Versteigerung sofort auf die Strompreise umlegen, sagt Verbraucheranwalt Gabriel.
Am meisten freilich ärgert den ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, wenn man ihm eine Nähe zur Kohlelobby zuschreibt. Anders erklären kann es sich Greenpeace-Mitarbeiter Tobias Münchmeyer nicht, dass Gabriel Kohlekraftwerken doppelt so viele Verschmutzungsrechte zubilligt, wie den umweltfreundlicheren Gaskraftwerken. Wer schon eine Zukunft ohne Atomkraftwerke wolle, antwortet der Umweltminister dann, sollte nicht auch noch eine ohne Kohle anstreben. Irgendwo müsse der Strom ja schließlich herkommen. Plausibel oder nicht: In den Vorstandsetagen von RWE und Vattenfall dürfte gestern mancher Sekt getrunken worden sein.
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