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„Ich weiß, was Macht ist“

Meine Devise lautet immer: So viel Staat wie notwendig, so viel Markt wie möglich Als Linker will ich regieren, wenn ich etwas verändern kann. Wenn nicht, dann nicht

INTERVIEW JENS KÖNIG

taz: Herr Lafontaine, an Ihrem „Gründungsmanifest“ für die neue Linke gibt es massive Kritik aus den Reihen der PDS. Sind Sie jetzt sauer, dass der große Oskar Lafontaine angepinkelt wird?

Oskar Lafontaine: Wieso sollte ich? Erstens ist es nicht mein „Manifest“, das Papier trägt die Unterschriften von sechs führenden Politikern aus Linkspartei.PDS und WASG. Und zweitens begrüßen wir die inhaltliche Debatte, sie ist ausdrücklich gewollt. Wir stellen uns jeder demokratischen Diskussion.

Es gibt drei zentrale Kritikpunkte. Der erste lautet: Die neue Linke definiert sich nur in Abgrenzung zu anderen, so nach dem Motto „Wir sind die einzigen Antineoliberalen, alle anderen sind böse und neoliberal“. Trifft Sie dieser Vorwurf?

Überhaupt nicht. Der Vorwurf ist ja nicht falsch. Er erfasst genau das Politikkonzept, das im „Manifest“ entwickelt worden ist. Der Neoliberalismus mit seinen Geboten von Deregulierung, Privatisierung und radikalem Abbau des Staates ist gescheitert. Die Linke hat deswegen ein Gegenkonzept entwickelt, das auf Regeln setzt, denen die Marktwirtschaft unterworfen werden muss.

Wie sehen diese Regeln aus?

Wir wollen unter anderem einen starken Staat, der die Schwächeren vor der Willkür der Stärkeren schützt. Wir setzen auf eine gerechtere Verteilung der Erwerbsarbeit durch Arbeitszeitverkürzung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen in gesellschaftlich sinnvollen Bereichen, vor allem im öffentlichen Dienst und in einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Das ist in der Tat antineoliberal.

Genau auf dieses Programm bezieht sich der zweite Vorwurf. Lafontaine glaube an die Allmacht des Staates, sagen Ihre Kritiker. Sind Sie ein Träumer?

Überhaupt nicht. Meine Devise lautet immer: So viel Staat wie notwendig, so viel Markt wie möglich. Aber es wird ja wohl keiner bestreiten wollen, dass Länder wie Schweden und Dänemark, die einen hohen Beschäftigungsstand mit einem dicht geknüpften sozialen Netz verbinden, eine erfolgreichere Politik betreiben als beispielsweise die Bundesrepublik.

Sie fordern im „Manifest“ die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. Viele ostdeutsche Genossen fühlen sich da an die DDR erinnert. Wo die Staatsindustrie unter Erich Honecker und Günter Mittag hingeführt hat, haben alle gesehen: in den Untergang.

Diese Befindlichkeit kann ich verstehen. Aber die jetzige Gesellschaft ist in keiner Weise mit der DDR vergleichbar. Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch dient dem Allgemeinwohl. Also müssen Gesetze und Regeln sicherstellen, dass die Kapitalverwertung diesem Gemeinwohl auch verpflichtet ist. Das ist eine Frage von Eigentum und von Macht. Auf dem Energiemarkt beispielsweise gibt es Monopole, die mit überzogenen Preisen die Bevölkerung ausplündern. Hier fordert die Linke nicht nur einen Eigentumswechsel, sondern auch die Unterwerfung dieser Unternehmen unter bestimmte Regeln. Die Energiepreise müssen, wie in früheren Zeiten, in Gesamteuropa kontrolliert werden. Der schwedische Unternehmerverband, der genau diese Forderung erhebt, ist da weiter als einige Genossen in unseren Reihen.

Sie sprechen generalisierend vom „Raubtierkapitalismus“. Ist es nicht eigenartig, dass Sie diesen „Raubtierkapitalismus“, wenn er in seiner skandinavischen Ausprägung daherkommt, plötzlich ganz toll finden?

Die Volkswirtschaften in Schweden oder Dänemark können Sie nun wirklich nicht mit „Raubtierkapitalismus“ in Verbindung bringen – ganz im Gegensatz zu den USA. Dass der US-Kapitalismus imperialistische Kriege führt, sollte innerhalb der Linken unstrittig sein. Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt vom „Raubtierkapitalismus“ spricht. Da sollten sich Mitglieder der Linkspartei und der WASG nicht scheuen, diesen Begriff zu verwenden.

Der dritte Kritikpunkt bezieht sich auf die Lieblingsfrage aller Linken: Regieren oder opponieren? Sie haben im „Gründungsmanifest“ Bedingungen für Regierungsbeteiligungen festgeschrieben. Und jetzt heißt es: Der Lafontaine will verhindern, dass die neue Linke irgendwann mitregiert.

Ein absurder Vorwurf, gerade in Bezug auf mich. Ich saß länger in Regierungen als fast jeder andere Politiker in diesem Land.

Das ist kein Argument.

Doch. Als Linker will ich regieren, wenn ich etwas verändern kann. Wenn nicht, dann nicht. Die Linke muss vor allem glaubwürdig bleiben. Die mangelnde Glaubwürdigkeit ist das Hauptproblem aller Politik. Das sehen Sie gerade wieder an der großen Koalition und ihrem Kompromiss zur Gesundheitsreform. Er enthält nichts von dem, was Union und SPD vor der Wahl gesagt haben.

Das würde die Linkspartei natürlich niemals machen.

Die Linke muss vor einer Wahl Bedingungen formulieren, die nach der Wahl nicht verhandelbar sind. Dazu gehört für mich auf Bundesebene die Nichtbeteiligung an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen sowie der Abbau sozialer Leistungen. Auf Landesebene betrifft das die Privatisierung von Gütern der öffentlichen Daseinsfürsorge, wie etwa Wohnungen, öffentlicher Nahverkehr sowie Wasser- und Energieversorgung.

In der PDS fürchten viele, dass Lafontaine zu mächtig wird. Sie glauben, dass Sie neben der Fraktion jetzt auch noch die neue Linkspartei als Vorsitzender übernehmen wollen. Wollen Sie?

Ich war Vorsitzender einer großen Partei, ich strebe nicht nach neuen Ämtern. Ich weiß, was Macht ist und wie nahe Macht und Ohnmacht beieinander liegen. Der Vorsitzende der neuen Linkspartei hat eine wichtige politische Aufgabe – aber „Macht“ hat er nicht.

Noch mal: Würden Sie gern Vorsitzender der neuen Linken werden?

Wir sind uns einig darin, dass es einen Vorsitzenden aus dem Osten und einen aus dem Westen geben soll. Aber die Personalfrage wird erst dann geklärt, wenn der Parteibildungsprozess abgeschlossen ist.

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