: Der Mann, den alle nur Ole nennen
ABGANG Er war amtsmüde – obwohl er das „schönste Amt der Welt“ innehatte: Der Hamburger Bürgermeister und CDU-Politiker Ole von Beust tritt zurück
■ Die Koalition: 2008 wurde in Hamburg die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene geschlossen. Bis dahin gab es nur kommunale Bündnisse, das erste von 1994 bis 1999 in Mülheim an der Ruhr. Die Spitzen der Hamburger schwarz-grünen Koalition waren seit Beginn der Zusammenarbeit CDU-Bürgermeister Ole von Beust, der zuvor mit der Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill und mit absoluter Mehrheit Hamburg regiert hatte, und seine grüne Stellvertreterin und Bildungssenatorin Christa Goetsch.
■ Die Inhalte: In der Wirtschafts- und Energiepolitik gab es Streit. Die CDU forderte eine Elbvertiefung für den Schiffsverkehr und unterstützte den Neubau des Kohlekraftwerks in Moorburg – die Grünen lehnten beides erfolglos ab. Einigkeit erzielten beide Koalitionspartner in der Schulpolitik. Von Beust und Goetsch kämpften bis zum Volksentscheid am gestrigen Sonntag für die Einführung einer Primarschule, mit der die Zeit des gemeinsamen Lernens von 4 auf 6 Jahre verlängert würde. (gor)
AUS HAMBURG MARCO CARINI
Hamburger Bürgermeister, das sei für ihn das „schönste Amt der Welt“. Ole von Beust (CDU), der nie bundespolitische Ambitionen hegte, hat das mehr als einmal betont. Und damit nur die halbe Wahrheit ausgesprochen. Die andere Hälfte war, dass der Mann, der fast neun Jahre den Hamburger Senat führte, die Zwänge des Amtes oft als unerträglich belastend empfand. Vollgepackter Terminkalender, ständig unter Beobachtung, immer funktionieren müssen. Zuletzt hatte der 55-Jährige, der in den vergangenen Wochen oft erschöpft und ausgebrannt wirkte, davon mehr als genug. Von Sonntag an gibt es den Bürgermeister, den Politiker Ole von Beust nur noch ein paar Wochen. Ab dem 25. August, wenn die Hamburgische Bürgerschaft Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) voraussichtlich zum neuen Bürgermeister wählt, ist für Ole von Beust die Zeit der Zwänge vorbei.
Volksnah und trotzdem hanseatisch distanziert, so präsentierte sich von Beust während seiner Amtszeit. Auf den Namen Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust getauft, von seiner Großmutter auf Plattdeutsch „Ole Pupp“ gerufen, ließ er den so entstandenen Rufnamen Ole standesamtlich eintragen und war seitdem im politischen Raum nur noch Ole, nicht mehr der Herr von Beust. Gleichzeitig widerstrebten von Beust die Verpflichtungen seines Amts. Auf Empfänge, auf denen seine Anwesenheit zum Pflichtprogramm gehörte, kam er früh, zog eine kurze Smalltalk-Runde und war stets grußlos entschwunden, bevor die Veranstaltung überhaupt Fahrt aufnahm. Auch Weggefährten beschreiben diese Ambivalenz Ole von Beusts. Locker, humorvoll, angenehm im Umgang, aber auch seltsam unnahbar, als würde er in jedem Moment eine Rolle spielen.
Funktionen in der Politik zu haben, das war das Leben des Ole von Beust. Der studierte Jurist und selbständige Rechtsanwalt ist ein Politiker mit klassischer Parteikarriere. 1971 trat er mit 16 Jahren in die CDU ein, zwei Jahre später war er bereits Assistent der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg. Die weiteren Stationen des Aufstiegs: Seit 1977 Landeschef der Jungen Union, 1978 jüngster Abgeordneter in Hamburg, seit 1992 Mitglied des CDU-Landesvorstandes, ein Jahr später Fraktionsvorsitzender im Hamburger Rathaus und 1997 schließlich Spitzenkandidat seiner Partei bei der Bürgerschaftswahl. 2001 dann Bürgermeister.
Eines war Ole von Beust nie: ein Politiker mit inhaltlich scharfem Profil, mit unverrückbaren Prinzipien und Positionen. Er war ein politisches Chamäleon, ein Mann mit einem ausgeprägten, eiskalten Machtinstinkt, der zu fast jedem Zeitpunkt intuitiv das Richtige tut. 2001 setzte er im Wahlkampf alles auf die Karte Ronald Schill, indem er dem Rechtspopulisten schon im Bürgerschaftswahlkampf das Amt des Innensenators im Falle eines Wahlerfolgs zusicherte. Derart aufgewertet, erreichte Schills „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ aus dem Stand 19,1 Prozent. Dass dieses Kalkül der CDU viele Stimmen kosten würde, nahm von Beust in Kauf. Denn mit Schills Hilfe stellte die CDU nach 44 Jahren im traditionell SPD-dominierten Hamburg wieder den Bürgermeister.
Zwei Jahre später entledigte sich von Beust seines Steigbügelhalters mit einem Geniestreich, indem er ihm vorwarf, von ihm erpresst worden zu sein. Schill habe ein von diesem erfundenes homosexuelles Verhältnis zwischen ihm und Justizsenator Roger Kusch öffentlich machen wollen. Für von Beust ein grandioser Befreiungsschlag: Den ungeliebten Schill war er los, wurde dafür in Hamburg gefeiert und hatte das offenste Geheimnis der Stadt thematisiert, ohne sich offiziell zu outen. Die Hamburger Wähler dankten es ihm, indem sie seiner CDU 2004 die absolute Mehrheit bescherten. Seine Berührungsängste zur schwulen Community wurde von Beust nie los. Acht Jahre Amtszeit mussten vergehen, bevor er 2009 auf Drängen des grünen Koalitionspartners erstmals die Lesben- und Schwulenparade am Christopher-Street-Day anführte.
So selbstverständlich wie er 2001 mit der Schill-Partei angebandelt hatte, führte von Beust seine Partei nach dem Verlust der absoluten Mehrheit 2008 in die erste landesweite schwarz-grüne Koalition. Es kam einer Metamorphose gleich, wie viele grüne Themen Ole von Beust plötzlich für sich entdeckte. Ohne zuvor jemals besonderes Interesse für schulpolitische Themen gezeigt zu haben, machte er die Einführung einer sechsjährigen Primarschule zur Chef- und seiner Herzenssache, weil er früh erkannte, dass von dieser Reform Erfolg oder Scheitern des schwarz-grünen Modells abhängen werde. Folgerichtig setzte er das Konzept des sechsjährigen, gemeinsamen Lernens auch gegen innerparteiliche Widerstände durch. Der Mann, der einst politische Hardliner wie Ronald Schill und Roger Kusch zu Senatoren gekürt hatte, erfand sich nun neu als Prototyp des modernen Großstadtpolitikers: entdeckte sein Herz für den Kampf gegen den Klimawandel und für soziale Gerechtigkeit, stritt für längeres gemeinsames Lernen und eine Reichensteuer.
Seine Macht in der CDU sicherte sich Ole von Beust auch durch geschicktes innerparteiliches Taktieren, mehr aber noch durch seine hervorragenden Umfrageergebnisse, die immer um einige Prozentpunkte besser waren als die seiner Partei. Die CDU an der Hamburger Regierung – das schien für viele Christdemokraten ohne ihren Ole lange nicht denkbar, und mancher von ihnen kann sich das auch heute nicht vorstellen.
Doch in den vergangenen Monaten wurde das Klima rauer. Zerrüttete Staatsfinanzen, eine Initiative gegen die Schulreform, die vor allem auch von CDU-Anhängern getragen wurde, erste Risse im schwarz-grünen Bündnis und sinkende Umfragewerte prägten die letzten Wochen der Amtszeit Ole von Beusts. Immer mehr Christdemokraten waren nicht mehr bereit, dem Modernisierungskurs ihres Bürgermeisterszu folgen. Dass er die nächste Wahl gegen eine unter ihrem neuen Parteichef Olaf Scholz wiedererstarkte SPD noch gewinnen werde, galt als fraglich.
Noch mal richtig anpacken, um den Karren rumzureißen oder Rückzug in die Privatsphäre, raus aus den Mühlen des politischen Systems – das waren bis zum Sonntag die Alternativen für den zunehmend amtsmüde wirkenden Vollblutpolitiker. Er hat sich entschieden.
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