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Kalte Öko-Krieger

In Russland sorgt eine seltsame Allianz aus Nationalpatrioten und Umweltschützern dafür, dass der Anbau von Genfood großflächig verhindert wird. Fast alle Russen lehnen genmanipulierte Waren ab. Dahinter steckt auch Furcht vor dem Westen

„Ich bin froh, dass ich mich hier unter Gesinnungs-genossen befinde“

VON BARBARA KERNECK

Kurz vor dem Sankt Petersburger G-8-Gipfel fand Anfang Juli in Moskau unter dem Namen „Civil G 8“ ein Forum russischer und ausländischer NGOs statt. Präsident Putin selbst beehrte die Versammlung. Als die Rede dort auf genmanipulierte Organismen kam, sagte Putin: „Ich bin froh, dass ich mich hier unter Gesinnungsgenossen befinde.“ Im Rahmen der internationalen Gespräche über eine WTO-Mitgliedschaft, so Putin, „sehen wir uns gezwungen, unser Recht darauf zu verteidigen, unsere Bürger über genetisch modifizierte Lebensmittel zu informieren. Aber wir werden auf denselben Standards bestehen wie die NGO.“

Putin schlug mit seinem Auftritt drei Fliegen mit einer Klappe. Erstens untermauerte er seine Lieblingsthese, der zufolge westliche Regierungen, genau wie die russische, die Presse- und Informationsfreiheit nur dann realisieren, wenn es ihnen in den Kram passt. Zweitens hielt er hier ein Trostpflaster für die Öko-Bewegung im eigenen Lande bereit. Die war wegen einer angekündigten Großinitiative der russischen Atomlobby auf dem G-8-Gipfel erbost. Drittens bestätigte er indirekt eine Theorie aller Nationalpatrioten im Lande, der zufolge vor allem die USA einen ferngesteuerten „Genozid“ am russischen Volk betreiben. Unter anderem, indem sie es mit giftigen Lebensmitteln beliefern.

Natürlich mischen sich die USA, Kanada und Japan nicht in die russische Informationspolitik ein. Aber sie üben auf Russland, genau wie auf die EU, Druck aus, mehr Gentech-Pflanzen zuzulassen. Das erste genmanipulierte Saatgut tauchte in der Russischen Föderation Ende der 90er-Jahre auf. Bald darauf wurden per Gesetz und dank einer Expertise des Instituts für Ernährung der Akademie der Wissenschaften 13 Sorten als „unbedenklich“ eingestuft. Diese Mais-, Soja- und Kartoffelsorten fanden schnell ihren Weg zu den russischen Kunden, vor allem als Bestandteil von Wurstwaren, Fertig-, Tiefkühl- und Kindernahrung.

Eine Verbraucherbroschüre der russischen Greenpeace-Sektion nennt etwa 100 derart verunreinigte Lebensmittel, vor allem einheimische, aber auch ausländische. Im Jahre 2005 verabschiedete die Duma einen Zusatzparagrafen zum Verbraucherschutzgesetz, wonach alle Lebensmittel speziell gekennzeichnet werden müssen, sobald sie mehr als 0,9 Prozent genmanipulierte Komponenten enthalten. Die Ausführungsbestimmungen dafür fehlen allerdings bis heute.

In der Zwischenzeit, fordern Russlands Umweltschützer, sollte wenigstens die Beschriftung der Packungen auf den Missstand hinweisen. Von Zeit zu Zeit führen sie in Supermärkten „Markierungsaktionen“ durch. „Wir helfen diesen Handelsketten, das Gesetz zu befolgen“, sagt Natalia Olefirenko, Sprecherin für die Gen-Kampagne der russischen Greenpeace-Sektion. Hier, ebenso wie bei ihren Mahnwachen vor verschiedenen Ministerien oder bei ihren Aktionen in Apotheken gegen genmanipulierte Kindernahrung, erfreuen sich Russlands Genfood-Gegner eines lebhaften Medienechos. Häufig begleiten sie vier bis fünf Fernsehteams.

Kategorisch gegen genmanipulierte Nahrungsmittel sind 95 Prozent aller russischen Verbraucher, die sich unter diesem Begriff etwas vorstellen können. Und dies sind offenbar viele. Zum Beispiel boykottieren sie gentechnisch verunreinigte Kindernahrung, so dass deren Anteil am Gesamtsortiment in Moskau seit 2004 von 38 auf 12 Prozent gesunken ist. Landesweit unterzeichneten 65 landwirtschaftliche Großunternehmen eine Selbstverpflichtung zum Verzicht auf Genpflanzen. Der russische Soja-Verband lieferte dafür schon vor einigen Jahren das Vorbild und hat von dieser Rolle nicht schlecht profitiert. In ganz Russland entwickelt sich eine bisher fehlende, auf einheimischen Sojaernten basierende Lebensmittelindustrie. Drei Fabriken wurden während der vergangenen drei Jahre eröffnet, fünf weitere befinden sich im Bau.

Greenpeace-Aktivistin Natalia Olefirenko, selbst Mutter zweier Kinder, bezeichnet hohe Beamte im Gesundheitsministerium als „Haupt-Genfood-Lobby“ und schreibt es ihnen zu, wenn die Duma bis heute mit den Gesetzen gegen genmanipulierte Lebensmittel nicht weiterkommt. Dafür gibt es Fortschritte auf lokaler Ebene. „Gentechfreie Zonen“ bei sich zu Hause schaffen wollen zum Beispiel Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow und die Gouverneure der Regionen Primorje (um Wladiwostok, an der Pazifikküste), Wolgograd und Krasnodar (in Südrussland).

In diesen Provinzen liegen schon lokale Gesetzespakete bereit. Ihre Verabschiedung im Primorje und an der Wolga wird bereits im Herbst erwartet. Das gemeinsame Territorium der drei zukünftigen provinziellen „Inseln“ ist größer als Deutschland.

Manche dieser Erfolge lassen allerdings den Verdacht aufkommen, dass dabei äußerst patriotische, um nicht zu sagen nationalchauvinistische Kreise nachhelfen. So gibt es im von Kosaken dominierten Kuban-Gebiet um Krasnodar ohne eine gewisse Fremdenfeindlichkeit kaum eine Chance, Gouverneur zu werden.

„Direkt Faschisten oder Rassisten haben wir unter unseren Unterstützern nicht“, sagt Natalia Olefirenko, „aber ausgesprochen konservative Patrioten schon. Wir haben sie nicht eingeladen, aber es kommt uns zustatten, wenn sie strenge Forderungen an die Qualität russischer Lebensmittel stellen.“ Eine Parallele lässt sich demnach zwischen der Russischen Föderation und Polen ziehen, wo die anti-internationalistische Regierung Kaczyński im Mai dieses Jahres kurzerhand jegliches Gensaatgut verbot und damit einen großen Schritt hin zur gentechnikfreien Landwirtschaft getan hat.

Russische Umweltschützer hegen auch an der Unschädlichkeit der bisher im Lande zugelassenen 13 genmanipulierten Pflanzen Zweifel. Mitte März sind ihnen Moskauer Richter entgegengekommen. Sie verurteilten das Institut für Ernährung – Hauptgutachter für deren Zulassung –, die Details der Versuchsreihen öffentlich zu machen.

Darüber freut sich besonders die Biologin Irina Jermakowa vom Institut für Neurophysiologie der Akademie. Sie verfütterte den in Russland weit verbreiteten und dort vor allem in Kindernahrung vorhandenen Gentech-Mais MON 863 an schwangere Ratten. Im Gegensatz zur Nachkommenschaft einer Kontrollgruppe starben von deren Jungen über die Hälfte innerhalb weniger Tage nach der Geburt. Die übrigen hatten Untergewicht.

In ihrem Artikel „Die Größe als Russlands Vorbestimmung“ schreibt Jermakowa: „Gerade unser Land kann eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der ökologischen wie auch der sozialen Situation auf dem Planeten spielen. Dank seines gewaltigen Territoriums (etwa ein Achtel des Planeten) verfügt es über ein riesiges ökologisches Potenzial (etwa 11 Millionen Quadratkilometer sind wirtschaftlich praktisch unerschlossen). Auf diese Weise stellen wir das größte Gebiet zur Wiedergutmachung globaler ökologischer Verfehlungen bereit.“

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