: Läuft wie gezuckert
VON GERHARD DILGER UND STEPHAN KOSCH
Saftig grünes Zuckerrohr, so weit das Auge reicht. Dunkelrot leuchtet die fruchtbare Erde der Feldwege hervor. In einer Mulde dampfende Kamine hinter Bäumen: die Fabrik von Cícero Junqueira. Vor 41 Jahren hat der weißhaarige Partriarch die Firma Vale do Rosário mitgegründet. Seitdem wird hier das Zuckerrohr aus der Umgebung zerkleinert, gekocht und zu Rohrzucker verarbeitet. Die Geschäfte laufen so gut, dass die Fabrik in Morro Agudo, knapp 400 Kilometer nordwestlich von São Paulo, rund um die Uhr in Betrieb ist. Das liegt nicht nur an der weltweit steigenden Nachfrage nach Zucker als Süßstoff. Das Rohr von den Feldern rund um die Fabrik ist Grundlage für Bioethanol, den Sprit vom Acker, den Vale do Rosário hier produziert.
In Zeiten steigender Ölpreise spielt Bioethanol in der Treibstoffstrategie vieler Staaten eine zentrale Rolle. Brasilien ist nicht nur der größte Zuckerproduzent der Welt, sondern kann auch billig Bioethanol produzieren. Deshalb ist Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zuversichtlich, dass sich sein Land innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte zur weltgrößten Energiemacht aufschwingen wird. Bis 2013 werde Brasilien seine Ethanolproduktion von derzeit fast 17 Milliarden Liter jährlich mehr als verdoppeln, sagt auch Analyst Plinio Nastari von der Consultingfirma Datagro in São Paulo voraus. Die Zuckerproduktion dürfte bis dahin bei rund 40 Millionen Tonnen jährlich liegen. Davon würden wie heute gut zwei Drittel exportiert.
470 Millionen Tonnen Zuckerrohr werden heute in Brasilien angebaut, fast fünfmal so viel wie vor 30 Jahren. Von diesem rasanten Wachstum hat Fabrikdirektor Junqueira nicht nur profitiert, weil seine Familie zu den einflussreichsten Großgrundbesitzern des Bundesstaats São Paulo gehört. Er hat mit für diesen Boom gesorgt. Denn Cícero Junqueira war einer der Väter des aufsehenerregenden Proálcool-Programms. Damit wollten Brasiliens Militärs das Land nach dem ersten Erdölschock Anfang der Siebzigerjahre energiepolitisch autark machen. Milliardensubventionen flossen in die Zucker- und Automobilbranche, zunächst mit Erfolg. 1985 waren bereits 9 von 10 Neuwagen mit Alkoholmotoren ausgestattet. Dann sank der Ölpreis aber wieder, gleichzeitig stieg der Zuckerpreis. Und weil der liberaleren Wirtschaftspolitik damals die hohen Subventionen nicht mehr zeitgemäß schienen, stand die Biospritbranche in den Neunzigerjahren wieder vor dem Aus.
Mehr Rübensaft in Europa
Doch seit 2001 stieg der Ölpreis erneut, und die Zeit war gekommen für eine Ethanol-Renaissance: Mittlerweile haben drei Viertel der neu zugelassenen Autos in Brasilien sogenannte Flex-Fuel-Motoren, die mit Benzin oder Alkohol betrieben werden können – oder einer beliebigen Mischung von beidem. Auch für normales Benzin gilt bereits seit 1975 ein Beimischungszwang von 20 bis 25 Prozent Alkohol. Dadurch konnte Brasilien seine Ölimporte erheblich drosseln. „Die Biokraftstoffe sind die Rettung der Landwirtschaft“, jubelt der Consultant Ronaldo Knack vom Internetdienst Brasilagro. „Bei der Kosten-Nutzen-Rechnung ist Brasilien Weltmeister.“ In der Tat: Die Produktionskosten für einen Liter Bioethanol liegen in Brasilien zwischen 14 und 17 Cent. Inklusive Transportkosten können brasilianische Produzenten einen Liter Bioethanol für rund 20 Cent bis nach Europa schicken, wo die Kosten dreimal so hoch sind.
Dennoch sind auch Europas Zuckerkonzerne in die Bioethanolherstellung eingestiegen. Ab einem Ölpreis von 60 bis 70 US-Dollar pro Barrel lohnt sich auch hier die Produktion. Ein nagelneues Werk des Südzucker-Konzerns steht zum Beispiel im ostdeutschen Zeitz. Jeden Tag produziert die größte Bioethanolfabrik Europas 760 Kubikmeter Alkohol, zurzeit noch aus Getreide. Doch die Fabrik wird erweitert, bald wird auch Rübensaft aus der gegenüberliegenden Zuckerfabrik in den haushohen Tanks, Gärungs- und Destillieranlagen zu Alkohol werden. Der wird dann an die Mineralölindustrie geliefert, die ihn ihrem Super- und Normalbenzin beimischt. Die Rübe wird so zum Kraftstoff für Autos. Insgesamt 500 Millionen Euro will Südzucker in den kommenden Jahren für den Ausbau bestehender Bioethanolfabriken oder den Bau ganz neuer Werke in Österreich, Belgien und Ungarn ausgeben.
Neben dem gestiegenen Ölpreis gibt es noch zwei politische Faktoren, die Bioethanol für hiesige Zuckerproduzenten zu einem attraktiven Geschäftszweig machen. Die neue Zuckermarktordnung, seit Juli in Kraft, verfolgt das Ziel, durch sinkende Preise die Überproduktion von Zucker in der EU abzubauen. Subventionierte Zuckerexporte, die die Welthandelsorganisation nach einer Klage von Brasilien, Thailand und Australien untersagt hat, sollen verhindert werden. Für die über 300.000 Rübenbauern in Europa fällt so in Zukunft ein Teil der Einnahmen weg. Die Bioethanolproduktion soll das ausgleichen.
Zudem hat die EU in ihrer Treibstoffrichtline bereits 2003 das Ziel festgelegt, dass Biokraftstoffe wie Bioethanol und Biodiesel im Jahr 2005 einen Marktanteil von 2 Prozent haben sollen. Diese Quote soll bis 2010 auf 5,5 Prozent steigen. So will die EU ihren Verpflichtungen zum Klimaschutz nach dem Kioto-Protokoll nachkommen.
In Deutschland werden die Hersteller voraussichtlich ab 2007 dem Benzin etwa 3 Prozent Bioalkohol zumischen müssen. Dieser Anteil soll in den Folgejahren steigen. Bei 5 Prozent – so viel ist bei Ottomotoren technisch problemlos machbar und mit der geltenden Kraftstoffnorm vereinbar – liegt das Marktpotenzial allein in Deutschland.
Den steigenden Bedarf an Bioethanol wird die EU nicht allein aus eigener Produktion decken können. „Wir gehen davon aus, dass von den 2010 in Europa benötigten 12 Millionen Tonnen etwa 5,5 Millionen Tonnen importiert werden müssen. Bis 2020 kann man mit einem Defizit von 15 Millionen Tonnen rechnen, das durch Importe ausgeglichen werden muss“, sagt Tobias Lewe von der Unternehmensberatung A. T. Kearney.
Diese Lücke könnte künftig von den Ländern des Südens gefüllt werden. Insofern scheint die Förderung der Bioethanolproduktion eine sinnvolle Lösung. Die durch die neue Zuckermarktordung geschädigten Landwirte in Europa und anderswo bekommen einen neuen Markt. Und der hilft theoretisch nicht nur der Armutsbekämpfung, sondern auch noch dem Weltklima.
Allerdings gefährdet der Boom auch eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Anders als in Europa, wo Prämien für die Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen bezahlt werden, ist der fruchtbare Boden in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern begrenzt. Die Energiepflanzen stehen in Konkurrenz zu Nahrungspflanzen. Im Zweifel kann dies eine bestehende Nahrungsmittelknappheit verschärfen und dazu führen, dass ein Land seine Exporterlöse aus dem Bioethanolgeschäft zum Teil für Nahrungsmittelimporte ausgeben muss.
Gefahren der Monokultur
Auch die Verringerung der Armut durch die neuen Rohstoffe ist fraglich. In Brasilien profitieren vor allem die Zuckerunternehmer von dem Bioethanol-Boom und ausländische Investoren wie die multinationalen Agrotech-Konzerne Cargill, Bunge oder ADM, die bereits große Teile der brasilianischen Exporte abwickeln.
So hat die Erfolgsgeschichte des Bioethanols einen bitteren Beigeschmack. Schon während der Hoch-Zeiten von Proálcool warnte Umweltschützer José Lutzenberger vor den Gefahren der Monokultur, die die Waldvernichtung beschleunigt und die Artenvielfalt zerstört. Die Rückstände von Pflanzengiften verseuchen das Grundwasser. Bevor die Zuckerrohrschneider die drei Meter hohen Stauden ernten, werden die Felder in Brand gesteckt, um die Blätter abzubrennen. Während der Ernteperioden nehmen Bronchialerkrankungen deutlich zu, vor allem bei Kindern und alten Menschen. In den letzten Wochen verhängte das Umweltministerium von São Paulo mehrmals ein Verbot solcher Feuer, doch strengere Gesetze scheitern an der Zuckerlobby.
„Wir sind nicht das brasilianische Kalifornien, wie es immer heißt“, sagt Staatsanwalt Marcelo Goulart aus Ribeirão Preto. „In Wirklichkeit haben wir es mit einem Wirtschaftsmodell zu tun, das Landbesitz, Reichtum und politische Macht konzentriert.“ Immerhin haben engagierte Beamte wie Goulart zusammen mit Gewerkschaftern und Umweltschützern manchen Achtungserfolg erzielt: „Die Kinderarbeit ist abgeschafft, es wird weniger abgebrannt, die Arbeiter werden nun mit Bussen statt mit Lastwagen auf die Felder gefahren.“
Aber ist die Arbeit zugleich härter geworden, betont Schwester Inês Facioli von der Wanderarbeiter-Seelsorge, die in der Kleinstadt Guariba Arbeitsnomaden betreut. 200.000 von ihnen ziehen Jahr für Jahr in den Bundesstaat São Paulo, die meisten von ihnen aus Nordostbrasilien. Für einen Monatslohn von umgerechnet 250 bis 300 Euro arbeiten die Zuckerrohrschneider im Akkord. Die Ernteperiode dauert von April bis Dezember. 12 Tonnen Zuckerrohr erntet ein Arbeiter durchschnittlich pro Tag, doppelt so viel wie in den Achtzigerjahren. In dem Maße, wie das Arbeitspensum erhöht wurde, sanken die Reallöhne.
„Unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten ist das Wirtschaftsmodell in unserer Region eine Katastrophe“, lautet das Fazit von Staatsanwalt Goulart. „Langfristig ist die einzig vernünftige Perspektive eine Agrarreform, die den Biolandbau ausweitet.“ Doch dieses Szenario liegt in weiter Ferne.
Von Stephan Kosch erscheint im Oktober im Berliner Parthas Verlag das Buch „Zoff um Zucker – Ein süßer Stoff und die Globalisierung“
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