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Wahrheit und Anstand

Richter will das Kopftuch nicht

VON ALKE WIERTH

Richterinnen und Richter dürfen in ihren Verhandlungen die Einhaltung bestimmter Regeln anordnen, die sie für deren ordentliche Durchführung notwendig finden. Dazu gehört etwa die angemessene Bekleidung von Zeugen. Klare Regeln gibt es dafür aber nicht, und die Zeiten ändern auch die Ansprüche: War früher häufig die Krawatte unerlässlich, ist heute vielen Richtern schon ein sauberes T-Shirt genug.

Dass dabei auch persönliche Wertvorstellungen eine Rolle spielen, wie es der Pressesprecher der Berliner Strafgerichte ausdrückt, liegt auf der Hand. Ebenso, dass es deshalb auch zu Konflikten kommen kann, etwa wenn es um die angemessene Länge von Röcken geht. Dass ein Richter eine Zeugin allerdings zu kürzeren Röcken zwingen wollte, ist dabei kaum vorstellbar.

Doch genau das passiert, wenn ein Richter einer Zeugin verbieten will, bei der Vernehmung Kopftuch zu tragen. Es geht dabei nicht um Modefragen. Es geht um Vorstellungen von Anstand und letztlich um Zugang zum Recht. Denn für viele muslimische Frauen gehört das Kopftuch zu angemessener Bekleidung. Das ist nicht unbedingt eine Frage des Grades von Religiosität: Haare zeigen die Frauen im Privaten, in der Öffentlichkeit nicht. Das ist ihre Vorstellung von Anstand.

Zugang zum Recht

Sie zu anderem zu zwingen wäre nicht nur unanständig. Es würde in einer Stadt wie Berlin, wo Zeuginnen mit Kopftüchern beileibe keine Seltenheit sind, einer ganzen Bevölkerungsgruppe den Zugang zum Recht erschweren. Sie müssten sich demütigen lassen, um vor Gericht zu erscheinen. Die absurde Begründung des Richters, er müsse zur Wahrheitsfindung die Ohren der Frau sehen, lässt fürchten, dass es genau darum ging.

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