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Hochburg der brotlosen Arbeit

ARMUT In Hamburg sind fast 19.000 sozialversichert Beschäftigte auf zusätzliche Hartz-IV-Leistungen angewiesen – weit mehr als im Bundesschnitt

„Die finanzielle Not von Beschäftigten ist ein Armutszeugnis für Hamburg“

KATJA KARGER, DGB-CHEFIN

Armut trotz Arbeit – das ist für fast 19.000 Hamburger die bittere Realität. Fast drei Prozent der sozialversichert Beschäftigten in der Stadt müssen ihren Lohn mit Leistungen nach Hartz IV aufstocken. Das sind deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt von zwei Prozent, haben Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) auf der Basis von Statistiken der Bundesagentur für Arbeit ergeben. „Im Vergleich mit dem westdeutschen Durchschnitt von 1,6 Prozent ist das Verarmungsrisiko im reichen Hamburg sogar fast doppelt so hoch“, sagt die DGB-Vorsitzende Katja Karger.

Im Sommer 2013 waren laut Statistik 18.385 der insgesamt 643.842 Beschäftigten in Hamburg gezwungen, trotz sozialversicherter Jobs ergänzend Hartz-IV-Leistungen zu beziehen, weil sie von ihrer eigenen Arbeit nicht leben konnten. In diesem Jahr hat sich die Zahl laut DGB sogar noch einmal um 257 Beschäftigte erhöht. „Nicht berücksichtigt ist dabei die unbekannte Zahl erwerbstätiger Armer, die aus Scham oder Unwissenheit auf ihnen zustehende Hartz-IV-Leistungen verzichten“, sagt Karger.

Nach den DGB-Berechnungen entfallen mehr als die Hälfte der 142 Millionen Euro Leistungen nach Hartz IV auf Mietzahlungen für Geringverdiener. Dieser Anteil – fast 90 Millionen Euro pro Jahr – wird größtenteils von der Stadt finanziert, der Rest aus Bundesmitteln.

Die Kombination von hohen Mieten und Wohnnebenkosten mit Niedriglöhnen, insbesondere bei der Leiharbeit sowie im Reinigungs und Gastgewerbe, sind aus Gewerkschaftssicht die wesentliche Ursache dafür, dass Beschäftigte in der Stadt der Millionäre häufig auf das Arbeitslosengeld II angewiesen seien.

„Die finanzielle Not von Beschäftigten ist ein Armutszeugnis für Hamburg“, findet DGB Chefin Karger. „Sie ist nicht nur bitter für die Betroffenen“, sagt sie, „sondern verzerrt den Arbeitsmarkt, weil die Allgemeinheit die Folgen knauseriger Löhne ausbaden muss.“ Daher müsse laut DGB die „indirekte Subventionierung der Arbeitgeber ein Ende haben“, indem der Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ausnahmslos eingeführt werde. Damit würde dann mittelbar auch das Hartz-IV-Risiko vermindert.

Der geplante Mindeststundenlohn von 8,50 Euro werde nicht nur vielen Geringverdienern zu Gute kommen, sondern zugleich direkt den Haushalt in Hamburg sowie den des Bundes entlasten, so Karger. Zudem seien deutliche Mehreinnahmen für die Stadt bei der Einkommensteuer sowie bei den Sozialbeiträgen zu erwarten.  KAI VON APPEN

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