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Die eine oder keine

Mit dem Slogan „Nix Aldi, Picaldi“ und Karottenjeans trifft ein Berliner Billiglabel den Geschmack junger Migranten, Hartz-IV-Empfänger – und Rapper

Picaldi macht Mode für Halbstarke, die sich „Opfer“ nennen oder „Spast“ und gerade Hosen hassenReduziert kosten manche Jeans bei Picaldi gerade mal so viel wie eine CD

AUS BERLIN JOHANNES GERNERT

Sie müssen größer werden, wachsen. Nedim Güner sitzt hinter der Spiegeltür auf einem dieser weißen Plastikgartenstühle. „Du musst expandieren, um zu existieren“, sagt er. Ein Ledersofa steht hier noch, schwarz, mit zerschlissenen Armlehnen. An der Wand hängt ein Fußballposter, Galatasaray Istanbul. „Wir beobachten ständig den Markt.“ Güner trägt blaue Jeans, gerader Schnitt. „Wir erschließen neue Märkte.“ Er sieht müde aus, es ist spät. „National“, sagt er, „erst mal national“.

Dies ist nicht die Picaldi-Zentrale, nicht der Sitz des kleinen Migrantenmode-Imperiums, es ist das Hinterzimmer einer Picaldi-Filiale – der ersten. Nedim Güner, der Vertriebschef, hatte noch zu tun hier. Er stellt alle Kassen um. Picaldi eröffnet gerade die achte Filiale. Da können sie nicht mehr mit Quittungsblöcken arbeiten. Güner schläft nicht viel zurzeit, wegen des Wachstums. Es ist eine Erfolgsstory, dieser Karottenjeanshandel.

Sie machen Migrantenmode. Picaldi-Jeans. Oben weit, nach unten hin immer enger. Manchmal enden sie in den Socken, aber das ist eigentlich schon wieder vorbei. 472 heißt der Schnitt. Jungsmode, für Halbstarke, die sich gegenseitig „Opfer“ nennen, „Spast“ und gerade Hosen hassen, wie Güner sie trägt, „schwul“ nennen sie die. Die Rapper bewundern, in deren Texten viel gefickt wird: Väter, Mütter, Muschis, Steaks. Rapper wie Bushido oder Eko Fresh. Auf dessen neuestem Album zeigt ihn ein Foto im Picaldi-Pullover. Das Album heißt „Hartz IV“. Reduziert kosten manche Picaldi-Jeans so viel wie die CD. Sie haben viel Werbung gemacht, um zu expandieren, zu existieren. Ein Slogan heißt: „Nix Aldi, Picaldi“. Es ist nicht nur Migrantenmode, es ist auch Hartz-IV- Mode. Man kann sich ja die Konsumeigenschaften der Berliner Bezirke ansehen, sagt Güner. Wo der Arbeitslosenanteil hoch ist, „Hartz IV oder so was“, da verkauft Picaldi gut. „Es geht viel über den Preis“, sagt er, „selbst 2, 3 Euro machen einiges aus.“ Am meisten kommen, wenn es Angebote gibt, Hartz-IV-Opfermode.

Sezer sieht aus wie einer dieser Halbstarken, die sich gegenseitig als „Opfer“ anreden und es tatsächlich ein bisschen sind, weil ihr Hauptschulabschluss sie nicht weit bringen wird. Die manchmal auch zu Tätern werden, zu Straftätern, prügeln oder klauen, Sachen abziehen. Manche enden im Knast, manche auf der Bühne, manche erst im Knast und dann auf der Bühne. Sezer trägt ein schwarzes Shirt, Sneakers – und die 472. Seine Haare sind an den Seiten rasiert, oben hat er sie mit Gel aufgestellt.

Tatsächlich hat Sezer früher Unsinn gemacht, so ähnlich wie die türkischen Jungs in Filmen wie „Knallhart“. Kein Respekt vor den Lehrern, Schule scheißegal.

Es war wirklich einiger Unsinn dabei, er redet nicht gern drüber. Die Sache hat sich nämlich grundlegend geändert, er hat sich geändert. „Jetzt bin ich Einzelhandelskaufmann“, sagt Sezer.

Er arbeitet bei Picaldi. Es ist eine Maßnahme, das Arbeitsamt zahlt. Aber vielleicht übernimmt Nedim Güner ihn nach der Lehre. Es gibt eine Chance, anders als bei vielen Kumpels, die gerade so eine Stelle bekommen haben, als Automechatroniker etwa, aber wissen, dass sie danach rausfliegen. Und dann? „Hartz IV“, sagen sie.

Als Nedim Güner arbeitslos wurde, gab es noch kein Hartz IV. Gut zehn Jahre ist das her. Er war gelernter Elektroinstallateur. Sein Schwager Seki hatte eine Bäckerei. Zusammen haben sie eine Boutique aufgemacht und Jeans verkauft, zweite Wahl. Es lief nicht. Da haben sie sich den Schnitt der „Saddler“ von Diesel angeschaut und bei einer Istanbuler Hosenfabrik etwas Ähnliches in Auftrag gegeben. Das lief.

Die Leute kamen aus ganz Berlin, um die Hosen zu kaufen. Es kamen immer mehr. Anfangs verkauften sie zu dritt: Güner, seine Schwester, der Schwager. Jetzt sind sie um die dreißig. Es gibt acht Läden. Und Franchise-Shops.

Güner macht die Spiegeltür auf und läuft durch diese erste Filiale, in der jetzt auch Sezer arbeitet, ein Kreuzberger Kellerladen. „Die ganzen Regale, die sind alle durch meine Hände gegangen. Selbst gebeizt, selbst geschliffen.“ Jeans, Pullis, T-Shirts. Er zeigt auf einen Stapel babyblauer Pullover: „Kommt auch gut an.“ An der Kasse haben sie die Hartz-IV-CD von Eko Fresh aufgestellt. Güner schlägt das Booklet auf. „Dank an Hamit von Picaldi“ steht da.

Hamit ist Filialleiter, Sezers Chef. Eko Fresh ist sein Kunde, sein Kumpel. Manchmal fragt er ihn um Rat, so wie neulich. Er möchte sich den Namen seines Vaters auf den Arm tätowieren lassen: Ali. Fresh hat ihm einen Tätowierer empfohlen, der kennt sich aus mit so was. Hamit hat in Antalya am Meer gearbeitet: Surfen, Jetski, Wasserski. Die Arbeit hat ihn braun gemacht und seinen Oberkörper breit. Er ist wegen seiner deutschen Freundin nach Deutschland gekommen, nach Kreuzberg. „Kreuzberg ist wie Türkei“, sagt Hamit. Alle sprechen türkisch. Seine Schwester kannte Seki, zu dem soll er in Berlin gehen, hat sie gesagt, der hat einen Jeansladen, der hat Arbeit.

Eko Fresh wohnt in Köln, aber wenn er in Berlin ist, kommt er jedes Mal vorbei. Sie sitzen dann hinter der Spiegeltür auf den weißen Stühlen, auf dem schwarzen Sofa und reden ein bisschen. Manchmal ruft Eko Fresh an und fragt: „Hamit, hast du neue Hosen?“

Auch Bushido kauft hier ein. Er hat sie einmal auf die Gästeliste gesetzt, für ein Konzert in der Columbiahalle: Picaldi plus zehn. Hamit stand ganz hinten. Es ist nicht unbedingt seine Musik, das ganze Geficke immer. Manchmal läuft es im Laden. Wenn Ältere kommen, machen sie aber sofort aus. „Die sagen: Was für ’ne perverse Musik.“ Sie haben schon Recht irgendwie, findet Hamit. Aber Bushido, Eko, die sind in Ordnung. „Ersguterjunge“, sagt Hamit und lacht ein bisschen. So heißt Bushidos Label: Ersguterjunge.

Sezer, ersauchguterjunge, Hamit mag ihn. Sie werden spätestens gute Jungs, wenn sie Einzelhandelskaufmänner sind, wenn sie Jobs haben. Sezer arbeitet von elf bis acht, Montag bis Samstag, dann hängt er mit den anderen Jungs ab, sie gehen zu Burger King, zu McFit, spielen Fußball im Park, schauen nach „Medschn“. Man sieht, dass sie zusammengehören, sie tragen alle die gleichen Hosen, denselben Schnitt. Sascha hat erst gar keine Stelle gekriegt, der beschäftigt sich vor allem damit, immer die neueste Musik zu haben, die neuesten Spiele, die neuesten Handys. Die neuesten Picaldi-Jeans. Er sucht im Internet danach, fotografiert sie vom Bildschirm ab und zeigt sie Sezer: „Die will ich.“ Wie er das alles bezahlt? „Hartz IV“, sagen sie.

Sascha hat alle Alben von Bushido und die Jacke, das Produkt mit der Nummer 1259. Bushido hat sie getragen, deshalb heißt sie bei Picaldi nur die „Bushido-Jacke“: College-Style, Lederärmel und die Aufschrift „Picaldi Sport“. Als sich Sascha seine gekauft hatte, hat er sie anfangs draußen auf der Straße nicht getragen – zu wertvoll. Sezer hat noch keine, aber er überlegt. Es wäre ein halbes Lehrlingsgehalt, an die 150 Euro.

In Hamits Filiale rufen Leute aus ganz Deutschland an und sagen: „Ich will die Bushido-Jacke bestellen.“ Bushido lässt ausrichten, er möchte nicht über die Jacke reden. Als er anfing, sie zu tragen, stand auf dem Rücken nicht Picaldi, sondern Cordon Sport. Das Produkt mit der Nummer 1259 zeigt nicht nur, bei wem Picaldi so erfolgreich ist, sondern auch wie.

Was heißt schon abschauen, sagt Vertriebschef Nedim Güner. Bei den Autos ist es doch genauso, mal sind sie runder, mal eckiger, aber meist sind sie sich sehr ähnlich.

„Alle Autos haben vier Räder, ja, aber alle Wagen sehen nicht genau gleich aus“, sagt Kurtulus Aksu, Cordon-Chefdesigner und Erfinder der Vorlage „Bronx“. „Und VW würde auf seine Autos nie einen Mercedes-Stern machen.“ Das Picaldi-Produkt 1259 und die „Bronx“ sind gewissermaßen baugleich, sogar die Type des Schriftzugs ist dieselbe. Nur steht auf der einen Jacke „Cordon Sport“ und auf der anderen „Picaldi Sport“. Die eine kostet 300 Euro und die andere die Hälfte. Während Cordon vor zwanzig Jahren mit einer eigenen College-Jacke anfing, begann Picaldi vor knapp zehn Jahren mit einer Karottenhose, die ein bisschen sehr von Diesel abgeschaut war. Aksu war einer der drei Cordon-Gründer, auch ein Einwandererkind, auch aus Kreuzberg. Cordon sitzt heute im Ullsteinhaus – wie viele Modeunternehmen und Textilfirmen, auch Picaldi.

„Selbst wir werden jetzt kopiert“, sagt Nedim Güner, „unsere Strategie wird kopiert.“ Schauen, was sich durchsetzt auf dem Markt, und dann genau das herstellen, nur etwas billiger.

Irgendwie ist das Kurtulus Aksu auch egal. „Während die unsere Teile nachbauen, entwerfen wir zehn andere“, sagt er. Und: „Bei großer Sättigung durch Plagiate steigt der Wert des Originals.“ Cordon will eine wertvolle Marke sein, eine nicht ganz billige. Es ist kein wirklicher Label-Streit, spielerisch wie ein Freestyle-Battle zwischen Rappern. Es geht eigentlich um nichts. Beide Labels machen ganz ordentlich Geld und wachsen weiter. Picaldi, die Marke junger Hartz-Halbstarker, Cordon das Label älterer Starker, der Bodybuilder, der Boxer. U 20 die einen, Ü 20 die anderen.

Eko Fresh trägt übrigens auch Cordon, nur ist das auf seinem neuen Album nicht zu sehen. Cordon passt nicht so gut zu Hartz IV wie Picaldi.

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