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„Ich würde keinen Meter Mauer mehr hergeben“

GEDENKFORMEN Der Berliner Landschaftsarchitekt A. W. Faust hat sich auf Gedenkstätten spezialisiert. Einfach irgendwo ein Denkmal hinzustellen findet er überholt. An der Bernauer Straße hat er die räumliche Gewalt der Mauer wieder sichtbar gemacht

Adolf Walter Faust

■ 49, ist ausgebildeter Baumschulgärtner und studierter Landschaftsarchitekt. 2001 gründete er das Büro „Sinai“ in Berlin, das er seit acht Jahren zusammen mit Bernhard Schwarz und Klaus Schroll leitet. Zu ihren Projekten gehören neben Mauerfall-Gedenkstätten unter anderem Erinnerungsorte für die KZs Bergen-Belsen und Flossenbürg.

INTERVIEW ANNE HAEMING

taz: Herr Faust, welches Wort gefällt Ihnen besser: Mahnmal oder Gedenkstätte – oder keins von beiden?

Adolf Walter Faust: Wir arbeiten nie an Mahnmalen. Ich würde unsere Arbeiten als Erinnerungslandschaften bezeichnen. Reine Symbolgestaltungen liegen uns nicht. Wir arbeiten dokumentarisch, nicht zuerst emotional.

Sie sind Architekt und entwerfen Gedenkkonzepte für Konzentrationslager oder die Berliner Mauer. Was ist der Unterschied zwischen Konzepten für die Wende, den Ersten oder den Zweiten Weltkrieg?

Der Erzählanlass ist anders. Es ist schon allein etwas anderes, ob das Ereignis positiv besetzt ist – wie etwa die Wende – oder nicht, wie im Falle der KZs. Je weiter die Geschichtsschreibung voranschreitet, desto mehr verfestigt sich natürlich diese Perspektive. Unsere Arbeiten hängen auch immer davon ab, wie endgültig das ist, was man über ein Ereignis berichten kann. Nehmen Sie unsere Arbeit für den Friedhof der Märzgefallenen: Wir haben den Ort ausdrücklich mittels eines Containers als Baustelle und Stoffsammlung inszeniert, weil der Stand des Wissens darüber nur vorläufig ist und die Märzrevolution in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich rezipiert wurde.

Auch die Mauer und die Wende wurden in Ost und West unterschiedlich erlebt. Wie haben Sie diese Perspektiven in Ihre Arbeit für die Bernauer Straße eingearbeitet, wo Sie eine 1,5 Kilometer lange Gedenkarchitektur entworfen haben?

Die Ost- und die Westsicht auf die Mauer beschäftigte uns sehr beim Entwurf für die Bernauer Straße. Viele warfen uns anfangs eine starke Westsicht vor. Das kann ich leider nicht leugnen. Darum haben wir auch nachgebessert: Wir hatten Bodenplatten geplant für den Standort der Wachtürme. Aber das wäre der damaligen Bedrohungsatmosphäre aus Sicht der Ostberliner nicht angemessen gewesen: Sie blickten immer auf die stumpfen Enden der Straßen und die Türme. Deswegen steht da jetzt ein Stahlturm, der nicht im Entwurf vorgesehen war. Wir hätten den Entwurf übrigens fast nicht abgegeben.

Wieso das?

Weil wir bis kurz vor Schluss keine Lösung fanden, die der Komplexität dieses Orts gerecht wird. Es ist schließlich auch ein nichtgegenständlicher Ereignisraum, der auf mehrere hundert Vorfälle verweist. Wir haben dann entschieden, die verschiedenen Momente unterschiedlich stark zu kennzeichnen, damit keine Kakophonie entsteht: von der sehr lauten und präzisen Nachzeichnung der Vorderlandmauer bis zu leisen, etwas versteckten Erinnerungspunkten im Boden, die etwa auf Fluchtversuche und Maueransprachen verweisen. Deswegen auch der Rasen: Wir wollten keine Wege hinzufügen. Das hätte wieder für Verwirrung darüber gesorgt, welcher nun alt, welcher neu ist. Die Wiese ist nun der Bewegungsraum – und Teil des Alltags der Anwohner, die sich da mit ihrer Decke hinlegen.

Entlang der Mauer war eine schnurgerade Reihe Bäume gewachsen, einen Teil haben Sie stehen lassen. Wie lange haben Sie darüber nachgedacht?

Lange. Wir wollten sie erst komplett entfernen, aber sie hatten mittlerweile Denkmalstatus erreicht. Wir erkannten dann, dass es nicht kohärent wäre, die Mauerreste mit den Graffiti unten am Nordbahnhof stehen zu lassen, aber oben die Bäume zu fällen. Sie sind ein Zeugnis dieser Zeit.

Sind diese realen Spuren wichtig für Ihre Arbeit?

Mit der Idee, Gedenkstätten an einem beliebigen Ort zu errichten, kann ich mich nicht identifizieren. So nach dem Motto: Wir stellen da mal eine große Skulptur hin. Unsere Aufgabe ist stets, eine verlorene Topografie wieder freizulegen, sodass die Besucher in ihrer Imagination den Ort vor sich sehen können.

Die Idee der Spur, des Indizes ist symptomatisch für Erinnerungskulturtheorien. Ich habe mir Ihr gut sortiertes Bücherregal angeschaut: Da steht gar nichts zum Thema. Wie kommt’s?

Es ist die Bibliothek eines Landschaftsarchitekturbüros. Da steht nur, was wir täglich brauchen. Aber diese Lücke spiegelt, wie wir Ausschreibungen angehen: Wir stellen alles bewusst auf null. Ohne Vorkenntnisse. So sind wir übrigens auch in die Gedenkarchitektur eingestiegen: Der erste solche Wettbewerb, an dem wir uns beteiligten, war für die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Und ich hatte zuvor noch nie ein Konzentrationslager besucht.

„Der erste Wettbewerb dieser Art, an dem wir uns beteiligten, war für die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Und ich hatte zuvor noch nie ein Konzentrationslager besucht“

Wie haben Sie sich dem Thema genähert?

Übers Landschaftliche – und eben nicht über einen künstlerischen Zugang. Einige Vertreter der Opferverbände wollten das Gelände komplett schwarz schottern. Aber emotionale Überwältigungsarchitektur liegt uns fern und versagt angesichts der erschütternden Zeugenberichte. Das Verstörendste an Bergen-Belsen ist diese idyllische Heidelandschaft, die einen sofort an die Heimatideologie der Nationalsozialisten denken lässt. Alles war zugewachsen, ein dichter Wald, auf dem 80 Hektar großen Gelände herrschte völlige Orientierungslosigkeit. Wir haben das Lager wieder sichtbar gemacht, indem wir es quasi aus dem Wald herausgeschnitten haben.

Die Spuren an der Bernauer Straße waren ein Stück Maueranlage samt Todesstreifen. Reichte das?

Die Relikte waren so sparsam, die räumliche Gewalt der Mauer war nicht mehr erkennbar. Darum fügten wir Elemente wie Prothesen hinzu, um die Spuren wieder sichtbar zu machen.

Ist es nicht problematisch, etwas Neues hinzuzubauen?

Man muss aufpassen. Natürlich stört jeder Eingriff diese Zeugnishaftigkeit. Aber das Schlimmste wäre, Elemente zu rekonstruieren – das würde das Zeugnis verfälschen, keiner wüsste mehr, was ist echt, was ist neu. Wenn etwa auch nur ein Meter Mauer nachgebaut wird, kann später doch keiner beweisen, dass nicht alles Fake ist.

Aber Ihnen wurde doch vorgeworfen, Sie wollten die Mauer wiederaufbauen. Störte Sie das nicht?

Mich hat viel stärker überrascht, wie massiv gefordert wurde, die Mauer zu rekonstruieren. Ich habe gedacht: Ihr spinnt doch! Ich konnte erst nicht glauben, dass das ernst gemeint war. Alles kulminierte in dem für mich verblüffenden Mauerlückenstreit über die fehlenden 20 Meter …

die als Mauereinzelteile gestaffelt und überwuchert neben dem Todesstreifen stehen.

Die Lücke ist ja kein Zufall, sondern steht beispielhaft für die Debatte der Nachwendezeit und den Ost-West-Konflikt. Das gehört zur Geschichte der Mauer genauso dazu wie die Spuren der Mauerspechte. Sie hört nicht 1989 auf.

Das Gedenkprogramm

■ Bunt: Am 25. Jahrestag des Mauerfalls werden Tausende leuchtende Ballons in den Abendhimmel aufsteigen. Zuvor können Berliner und Berlin-Besucher anhand einer Lichtinstallation den Verlauf der Mauer auf einer Länge von rund 12 Kilometern nacherleben. Die „Lichtgrenze“ wird die innerstädtische Mauer von der Bornholmer Brücke über Mauerpark, Gedenkstätte Bernauer Straße, Brandenburger Tor, Checkpoint Charlie, East Side Gallery bis zur Oberbaumbrücke nachzeichnen.

■ Ernst: Am 9. November ist zudem ein Festakt mit den politischen Spitzen im Konzerthaus am Gendarmenmarkt geplant. Außerdem eröffnet die Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße ihre umgebaute und neu konzipierte Dauerausstellung.

Seit ein paar Monaten köchelt die Debatte über die East Side Gallery, weil für ein Apartmenthaus ein Stück Mauer entfernt wurde. Was halten Sie davon?

Wenn Sie mich 1992 gefragt hätten, hätte ich gesagt, es ist zulässig, die Mauer zu entfernen und so in den Alltag zu integrieren. Die Planungen in den 90ern für dieses Areal sahen das schon vor, aber es hat damals bei mir kein Entsetzen ausgelöst. Heute habe ich null Verständnis dafür. Ich würde keinen Meter Mauer mehr hergeben. Es gibt ja nicht mehr so viel, das zeigt, wie es mal war.

An der Bernauer haben Sie mit Corten-Stahl gearbeitet. Der ist unbehandelt und rostet vor sich hin. Eignet sich dieses Material daher besonders, um Erinnerung sichtbar zu machen?

Es gibt nichts, was besser oder schlechter wäre. Wir taten uns schwer, uns für diese Art Stahl zu entscheiden, weil er im Gedenkbereich oft benutzt wurde. Er hat sich verselbstständigt – wer es sieht, denkt: Ah, eine Gedenkstätte! Aber er eignet sich ideal für den Außenbereich: Das Material ist robust und altert gut. Es kann von filigran bis flächenhaft alles sein. Und an der Bernauer war es schon da [in Form der hohen Stahlwände des Architektenduos Kohlhoff; Anm. d. Red.].

Sie haben den Stahl auch am Platz des 9. November in Prenzlauer Berg verarbeitet, wo an eine einzige Nacht erinnert wird: den Mauerfall am DDR-Grenzübergang Bornholmer Straße. Ihre Arbeit dort am Straßenrand kann allerdings leicht übersehen werden. Wieso so zurückhaltend?

Sie haben recht, es ist nicht dominant. Mehr war auch wegen des Supermarkts, der dort hingebaut wurde, nicht möglich. Es ist auch skizzenhaft, weil wir es als vorläufige Lösung sehen. Aus städtebaulicher Perspektive ermuntere ich, gelassen zu sein. Wir denken in unserer Arbeit in Dimensionen von 30 bis 50 Jahren. Der Lidl steht da sicher nicht für immer.

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