: Superstars der Evolution
TIEFSEE Für eine chinesische Suppe werden jährlich Abermillionen Haien die Flossen abgeschnitten. Ein sanfter Tauchtourismus wie im Inselstaat Palau könnte die Topräuber retten
■ Zum Schutz der Haie: Sharkproject kämpft an vorderster Front gegen die Zerstörung der Meere und die Ausrottung der Haie www.sharkproject.org
■ Shark Conservation Act (USA): www.govtrack.us/congress/bills/111/hr81
■ Anreise: Flug ab Frankfurt am Main über Taipeh zum Beispiel mit China Airlines. Für einen Aufpreis dürfen zehn Kilo mehr mit ins Gepäck – etwa für die Tauchausrüstung (30 Kilogramm insgesamt). www.chinaairlines.de
■ Ein- und Ausreise: Es reicht der Reisepass, der allerdings sechs Monate über das Ausreisedatum hinaus gültig sein muss. Notwendig ist auch ein Visum, das Touristen nach Vorlage eines Rück- oder Weiterflugticket erhalten. Vor dem Heimflug wird am Flughafen eine Steuerabgabe kassiert.
■ Touren und Tauchausflüge: www.samstours.com
■ Währung: Landesweit wird mit US-Dollar (USD) bezahlt. Eine Landeswährung gibt es nicht. Euro kann gegen sehr hohe Gebühren bei Banken getauscht werden. Travellerschecks und gängige Kreditkarten werden akzeptiert. In Koror gibt es Geldautomaten.
■ Gesundheit: Bei Einreise aus Deutschland sind keine besonderen Impfungen vorgeschrieben. Zur Vorbeugung gegen Denguefieber sollten insbesondere auch tagsüber Mückenschutzmittel aufgetragen werden. Malaria kommt auf Palau nicht vor.
VON STEFAN WEISSENBORN
Der Computer am Handgelenk zeigt 35 Meter Tiefe und 31 Grad an. Schwerelos gleiten die Taucher nach oben, an der mit Korallen überwucherten Riffwand entlang. Die Sichtweite liegt bei über zwanzig Metern. Allein die Begleitumstände lassen jedes Taucherherz höher schlagen, ganz zu schweigen von den vielen Schwärmen bunter Aquariumfische. Aber der Höhepunkt kommt noch für die Pressluft atmenden Unterwasserenthusiasten: Je näher die glitzernde Wasseroberfläche rückt, desto deutlicher werden sie, die kreisenden Silhouetten derer, die die Tauchtouristen hier an der Blue Corner, einem der bekanntesten Tauchreviere im pazifischen Ozean, ins Wasser gelockt haben. Haie.
Ohne den Kopf zu drehen, haben die Taucher acht, zehn, manchmal zwölf der grauen Meeresräuber im Blick. An der oberen Riffkante verankern die menschlichen Eindringlinge ihre Metallhaken an Leinen. Dann ein bisschen Luft ins Jacket, die Leinen spannen sich, zwanzig Minuten großes Unterwasserkino. Die Strömung drückt die Taucher hin und her. Riffhaie patrouillieren in Achten, die Mäuler spaltweit geöffnet. Einige versinken in blauer Tiefe, andere wagen sich bis auf drei, vier Meter an die Taucher heran. Blicke gegenseitiger Ehrfurcht treffen sich.
Haie – die am meisten verfolgten Tiere
Das Naturschauspiel ist erhaben – zu feiern gibt es indes nichts. Das fast schwarmartige Vorkommen in den Gewässern des Inselstaates Palau, in denen rund 100 Haiarten heimisch sind, übt eine magische Faszination aus. Doch Haie gehören zu den am meisten verfolgten Tieren, seit Jahrhunderten. Die Schätzungen variieren. Gerhard Wegner, Präsident der Schutzorganisation Shark Project International in Offenbach, geht von jährlich bis zu 100 bis 150 Millionen getöteter Tiere aus, gut die Hälfte für den Bedarf an Haifischflossensuppe. Die IUCN, die Internationale Union für die Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen, die die Rote Liste international gefährdeter Arten erstellt, führt über 20 Prozent der weit über 500 bekannten Haiarten als vom Aussterben bedroht. Geschützt durch das Washingtoner Artenschutz-Übereinkommen sind indes nur wenige, darunter der Weiße Hai sowie Wal-, Riesen- und Heringshai. 2013 kamen Weißspitzen-Hochseehai und drei Hammerhaiarten dazu. Für eine Art werden wohl alle Bemühungen zu spät kommen: „Der Weiße Hai ist nach Expertenmeinung bereits biologisch ausgestorben.“ Zwar gebe es noch Tiere, erklärt Wegner, aber ihre Reproduktionsrate reiche nicht mehr aus, die Population lange aufrechtzuerhalten. Als die Gruppe der Taucher wieder an der Oberfläche treibt, die Augen das nahende Begleitboot suchen und Mundstücke herausgenommen werden, kann die Begeisterung endgültig artikuliert werden: „Das war die absolute Erfüllung“, sagt eine. Andere schweigen und lassen sich noch einen Moment treiben. Vielleicht mit dem Bewusstsein um die Bedrohung der faszinierenden Ozeanbewohner.
Haie gibt es schon seit circa 400 Millionen Jahren, damit sind sie eigentlich die Superstars der Evolution. Es gab sie vor den Dinosauriern schon. Und jetzt? „Wir sind auf dem schnellsten Wege, die Gattung Hai in den kommenden 20 bis 30 Jahren auszurotten“, befürchtet Wegner. Denn Haie, früher auf der Wunschliste der Fangflotten eher abgeschlagen, rücken mit dem Rückgang der Bestände von Thun- oder Schwertfisch zunehmend in den Fokus der industriellen Jagd. Und weil die Nachfrage im boomenden China nach Haifischflossensuppe steigt.
Langleinen-Schiffe lassen ihre manchmal fast einhundert Kilometer langen Leinen mit unzähligen Haken aus. Den erbeuteten Haien werden beim „Finning“ die Flossen für die auch in anderen Ländern als Delikatesse geschätzte Suppe abgeschnitten, um danach die Karkassen der noch lebenden Tiere über Bord zu werfen. „Der Handel mit Haifischflossen hat Gewinnspannen wie der von Rauschgift“, sagt Wegner. 30 bis 50 Dollar je Kilo bekomme der Fischer vom Händler, später im Restaurant koste ein Teller Haifischflossensuppe mit 100 Gramm vom Tier letztlich 90 bis 120 Dollar.
Der Markt für Haiprodukte floriert
Aber es geht nicht nur um jene altchinesische Suppe, der manche eine potenzsteigernde Wirkung nachsagen. „Der Markt für Haiprodukte floriert insgesamt“, hat Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack beobachtet. Die Bauchlappen des Dornhais landen als Schillerlocke in den Auslagen der Fischhändler; als Seeaal wird sein Rückenfilet inkognito feilgeboten. Das Steak vom Heringshai wird verhüllend Kalbsfisch oder Seestör genannt. Die Pharmaindustrie versorgt sich laut Greenpeace zur Gewinnung des Kollagens für Schönheitscremes mit Haiknorpel, das in Costa Rica – getrocknet – als Knabberei beliebt ist. Auch als Beifang in den riesigen Netzen der sogenannten Fish Aggregating Devices („Fischsammler“) verenden die Knorpelfische in Massen – neben Meeresschildkröten, Delfinen, Seevögeln.
Wissenschaftlern der Dalhousie University im kanadischen Halifax zufolge sind die Folgen dramatisch: Zwischen 1986 und 2001 sind die Bestände großer Haiarten im Nordwestatlantik um mehr als 75 Prozent geschrumpft. Einzelne Arten sind so gut wie ausgerottet, so die Hammerhaiarten an der US-Ostküste, und die Population des Weißspitzen-Hochseehais im Golf von Mexiko reduzierte sich zwischen 1950 und 1990 um 99 Prozent. Auch beim Vorkommen großer Haiarten im Mittelmeer schlagen die Wissenschaftler seit Jahren Alarm.
Das Boot mit den Neopren-Touristen hat wieder angelegt am Steg der Tauchbasis Sam’s Tours auf Palau. „Die Haie von Blue Corner gingen mir nicht mehr aus dem Kopf“, sagt Geschäftsführer Dermot Kean. Der 52-jährige Ire kam 1995 erstmals nach Palau. Als Tourist. Er erlebte ein ähnliches Schauspiel wie seine heutigen Kunden, die ihre Ausrüstung gerade von Bord hieven. Doch er erlebte auch etwas Verstörendes: „Damals lagen vierzig, fünfzig Langleinenboote in der Bucht.“ Kean steht auf dem Steg und zeigt aufs Wasser. „Und es stank ganz fürchterlich nach Verwesung.“ Ein Meeresbiologe erklärte ihm die Auswirkungen der Fischerei auf die Haipopulation. Damit waren die Würfel gefallen, er musste wiederkommen. Seine Karriere als Haischützer begann. „Es gab ja keine Gesetze damals“, sagt Kean.
Weltweit erstes Haischutzgebiet
Heute zieht der Ire die Fäden für eines der wichtigsten umweltpolitischen Anliegen des Inselstaates und korrespondierte persönlich mit dem Staatspräsidenten. Schon 2003 gilt auf Palau ein absolutes Haifangverbot. Doch für internationales Aufsehen sorgten letztlich Keans Mühen: Im September 2009 trat der inzwischen abgelöste Präsident Johnson Toribiong vor die UNO-Vollversammlung und erklärte die Gewässer Palaus zum „weltweit ersten Haischutzgebiet“. „Damit hatte sich für mich ein Traum erfüllt“, sagt Kean. Nur eine einzige Flosse an Bord eines Schiffes führt zu drakonischen Strafen. Zudem bekommt eine Lizenz zum Fischen nur, wer ein VMS (Vessel Monitoring System) an Bord hat. Über Satellit können die Schiffe damit jederzeit geortet werden. Doch zur Überwachung des Schutzgebietes von der ungefähren Größe Frankreichs liegt bislang nur ein Schiff vor Anker.
Warum ist der Schutz der Haie überhaupt so wichtig? „Das liegt an ihrer Topräuberposition“, erläutert Kean. „Sie sind an der Spitze der Nahrungskette und dadurch erhalten sie gewissermaßen die Population aller Meeresbewohner.“ Sie fressen kranke und schwache Tiere und sorgen dafür, dass andere Räuber nicht Überhand nehmen. Und damit ihr Bestand selbst im Gleichgewicht bleibt, haben sie eine „natürliche Vermehrungsbremse eingebaut“, wie Haiexperte Wegener den Mechanismus nennt: Sie werden erst sehr spät geschlechtsreif und bekommen nur wenige Nachkommen. Dezimierte Bestände können sich deshalb nur langsam erholen. Gäbe es keine Haie mehr, hätte das verheerende Auswirkungen auf das Leben in den Ozeanen. Wegner sagt: „Ohne Regulation der Topräuber bricht das marine Ökosystem zusammen.“
Eine Ahnung, was das bedeutet, keimt bei einem Experiment eines mexikanisch/spanischen Forschungsteams auf. Per Simulation wiesen die Wissenschaftler nach, dass mit dem Hai auch Riffe sterben – in der Versuchsanordnung binnen eines Jahres. „Das Meer stirbt ohne Haie“, konstatiert Wegner. „Nur die wenigsten Menschen wissen, dass die Meere den Sauerstoff für jeden zweiten unserer Atemzüge produzieren. Wir können uns nicht einfach die Lebensgrundlage entziehen.“
Mittlerweile haben neben Palau auch andere Staaten wie Honduras, die Malediven, die Bahamas oder Kolumbien und Mexiko in ihren Gewässern das kommerzielle Fischen von Haien untersagt. Auch im US-Staat Hawaii ist seit Juli 2011 das Fischen von Haien sowie der Besitz, Handel und Verkauf von Haiflossen generell verboten. Maßgeblich dafür eingesetzt hat sich die deutschstämmige Stefanie Brendl. „Das Gesetz wird wohl keine Auswirkung auf die weltweiten Haipopulationen haben“, sagt Brendl in einem Dokumentarfilm. „Aber wir senden eine Botschaft aus, und andere können uns zum Vorbild nehmen.“ In den USA haben die neuen Aktionen der Haischützer den seit Jahren halbherzigen Bemühungen tatsächlich neuen Schwung verliehen. Widerstand einiger US-Staaten gab es, aber im Januar 2011 konnte Präsident Obama seine Unterschrift unter den Shark Conservation Act setzen, womit das Gesetz in Kraft trat. Es verbietet Finning von Haien vor der US-Atlantikküste und im Golf von Mexiko, nicht aber vor der US-Pazifikküste. Das Gesetz verbietet es nun auch generell, Haiflossen anzulanden. Das war zuvor nur Fischerbooten untersagt.
Förderung des Tauchtourismus
In der EU verbietet eine Verordnung das Finning bereits seit 2003, nicht aber den Fang von Haien. Kritiker monieren die mangelnde Umsetzung. Solange der Handel mit Haiflossen hoch lukrativ bleibt, bleibt auch der Anreiz zu groß, weiterzumachen mit der massenhaften Tötung von Haien. Zu den eigentlichen Vorbildern taugen Scuba-Taucher wie die Gruppe an der Blue Corner, die die pure Faszination ins Wasser lockt. Tatsächlich könnte der Hai als Touristenmagnet weitaus mehr Geld generieren denn als Suppenopfer. „Ein lebender Hai bringt zum Beispiel auf den Bahamas während seiner Lebenszeit als Unterwasserattraktion rund 50.000 Dollar ein und ein totes Tier einmalig 150 Dollar“, rechnet Haischützer Wegner vor.
Auf Palau sind immerhin die heimischen Fischer kein Problem. „Traditionell jagen und essen Palauer keine Haie“, sagt Dermot Kean. So ist dort der Haitourismus bereits weit entwickelt. Tauchtouren machen einer Studie des Australischen Instituts für Meereswissenschaften zufolge fast ein Zehntel des Bruttoinlandsproduktes des kleinen Inselstaates aus. Die Daten zeigten, dass die Tiere als Tourismusressource viel mehr denn als Fangziel einbringen könnten, hebt auch Mark Meekan, Hauptautor der Studie, hervor. Expräsident Toribiong weiß das schon längst: „Haie sind sehr wichtig für uns – sie sind die Attraktion.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen