piwik no script img

Rüttgers‘ Knockout für die Opposition

Landtagsdebatte verdeutlicht die Konzeptlosigkeit von Sozialdemokraten und Grünen: CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers beklagt fehlende soziale Gerechtigkeit, SPD-Oppositionsführerin Hannelore Kraft verteidigt Kanzlerin Merkel

DÜSSELDORF taz ■ Kurz vor dem Schlussgong setzte Jürgen Rüttgers den entscheidenden Schlag in Richtung sozialdemokratische Opposition: „Machen Sie nicht eine parteipolitische Schlacht aus dieser Sache, sondern denken Sie an die Arbeitnehmer und die Arbeitslosen in diesem Land.“ Der Knockout.

Eigentlich hatte es in der Aktuellen Stunde im Landtag nur um Rüttgers‘ vieldiskutierte Forderung gehen sollen, die Zahlung des Arbeitslosengelds I stärker an die Dauer der Beitragszahlungen zu orientieren. Doch es wurde eine Demonstration: Wenn es eines Beweises dafür bedurft hätte, dass die SPD immer noch nicht verstanden hat, warum sie in ihrem einstigen Stammland den Boden unter den Füßen verloren hat – gestern wurde er geliefert.

Während Rüttgers die fehlende soziale Gerechtigkeit bei Hartz IV beklagte, die Korrekturen unter anderem beim Arbeitslosengeld notwendig mache, verteidigte SPD-Fraktionschefin Hannelore Kraft die zwischen der damaligen rot-grünen Bundesregierung und der Union vereinbarten Arbeitsmarktreformen. „Wie Sie hier Politik machen, zeigt, dass Sie noch immer nicht in der Regierung angekommen sind.“ Die Oppositionsführerin präsentierte sich sogar als Verteidigerin der CDU-Bundeskanzlerin: „Sie betreiben ein Merkel schädigendes Verhalten“, hielt Kraft dem CDU-Ministerpräsidenten vor. „Das finde ich schäbig.“

Wer nur deshalb etwas nicht ändern wolle, weil es einmal beschlossen worden sei, sei ein „Apparatschik“, konterte Rüttgers. Wenn 75 Prozent der Menschen sagten, die jetzige Regelung sei ungerecht, müsse es eben darum gehen, sie gerechter zu machen: „Dafür bin ich gewählt worden.“ Dann zitierte er aus einem Beschluss des Bundesvorstands der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA) vom September 2004, der sich ebenfalls für eine Stärkung des Äquivalenzprinzips bei der Arbeitslosenversicherung ausgesprochen hatte: „Lange Beitragszeiten führen dann zu einer längeren Bezugszeit beim Arbeitslosengeld“, heißt es darin – ganz so, als hätte es Rüttgers selbst formuliert.

Allerdings ist von einer kostenneutralen Neuregelung in dem besagten AfA-Beschluss aus gutem Grund nichts zu lesen. Doch genau das schwebt Rüttgers vor: „Es trifft diejenigen, die kürzer eingezahlt haben und es nützt denjenigen, die länger eingezahlt haben.“ Das bedeutet: Leistungserhöhungen für wenige, Leistungskürzungen für viele. Er habe Sankt Martin falsch verstanden, bemerkte die grüne Fraktionschefin Sylvia Löhrmann. Denn der habe seinen eigenen Mantel geteilt. „Sie hingegen nehmen die Lumpen der Armen und wollen die noch teilen.“

SPD-Landesgeneralsekretär Michael Groschek sprach von einer „gigantischen Mogelpackung“. Der NRW-Regierungschef betreibe „politischen Sozialmissbrauch“. Aber alle Rhetorik konnte nicht das große Dilemma der Opposition verdecken: Eigene, sozialere Alternativen hatten weder SPD noch Grüne zu bieten. Über eine solche Opposition kann sich jede Regierung nur freuen. PASCAL BEUCKER

inland SEITE 6

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen