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Willkommen in der Wirklichkeit, Herr Zöllner!

Der neue Schul-, Wissenschafts- und Jugendsenator ist mit Vorschusslorbeeren überschüttet worden – nicht nur aus der SPD. Doch vor ihm stapeln sich die Probleme, die er schnell lösen muss. Was fordern die Betroffenen? Die taz fragte nach

Der ElternvertreterStärkere Schulen

André Schindler ist Vorsitzender des Landeselternausschusses (LEA):

„Der LEA erwartet von Herrn Zöllner, dass er die Grundschulen deutlich aufwertet. Hoffentlich hat er die Kraft, auf die Qualitätsdefizite im Grundschulbereich hinzuweisen, selbst wenn das Ärger in der Partei und der Koalition bedeuten sollte.

Der Senator muss sofort die ‚Element‘-Studie veröffentlichen. Ursprünglich war das für das Frühjahr 2006 vorgesehen. In der Studie wurden drei Jahre lang die 5. und 6. Berliner Grundschulklassen mit den 5. und 6. Gymnasialklassen verglichen, gemessen als Lernzuwachs in den Fächern Deutsch und Mathematik. Der Unterschied ist beträchtlich.

Ich glaube, Zöllner hat die politische Kraft und den Durchsetzungswillen, gegen Wowereit zu bestehen. Er ist eben ein Vollprofi mit guten Kontakten sowohl in die Bundes-SPD als auch zur Berliner SPD. Sein Vorgänger Böger hatte am Schluss ja überhaupt keinen Rückhalt mehr in den eigenen Reihen.“ Protokoll: DOS

Der SchülervertreterMehr Lehrer

Enrico Pecorelli ist Sprecher des Landesschülerausschusses:

„Die Reformen, die Jürgen Zöllner in Rheinland-Pfalz durchgesetzt hat, könnten auch in Berlin helfen. Wir brauchen vor allem mehr Lehrer, um die Qualität der Abschlüsse zu erhöhen. Die Lehrer müssten früher beginnen, in den Schulen zu unterrichten, statt jahrelang an der Uni zu sitzen. Auf die Einheitsschule sollte er verzichten – die Mehrheit der Schüler lehnt diese Schulform ab.

Außerdem muss sich der neue Senator darum kümmern, dass an Schulen in sozialen Brennpunkten mehr Psychologen und Sozialpädagogen eingestellt werden. An der Rütli-Schule hat dies die Situation beruhigt. Notfalls brauchen wir aber Sicherheitskräfte, um die Schüler vor sich selbst zu schützen. Schließlich muss der Landesschülerausschuss ein eigenes Budget bekommen. Insgesamt müsste Jürgen Zöllner 80 bis 100 Millionen Euro mehr in die Schulen investieren.“ Protokoll: slk

der SchulleiterMehr Erzieher

Erhard Laube ist Vorsitzender der Vereinigung der Berliner SchulleiterInnen:

„Sehr dringend brauchen wir eine bessere Ausstattung für die flexible Schulanfangsphase. Etwa zusätzliche Teilungsstunden zur Einrichtung kleinerer Lerngruppen und zusätzliche Erzieherstunden, um das individuelle Lernen in diesen heterogenen Lerngruppen zu ermöglichen. Außerdem muss Herr Zöllner eine Vertretungsreserve für Schulleiter anbieten, wie auch immer die letztlich aussehen mag. Wir glauben, dass der neue Senator die Kompetenz und den Willen hat, die unter Senator Böger begonnenen Reformen durchzusetzen. Die sollten jedoch immer wissenschaftlich begleitet werden – was Zöllner schon in Rheinland-Pfalz veranlasst hat.“ Protokoll: DOS

der UnipräsidentMehr Autonomie

Dieter Lenzen ist Präsident der Freien Universität:

„Jürgen Zöllner ist bundespolitisch sehr gut eingebunden und hat für seine Aufgaben als Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung eine hohe Fachkompetenz und politische Kompetenz. Von ihm erwarte ich, dass die zahlreichen, von Senator Klaus Böger begonnenen Reformen weiter umgesetzt werden. Für die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes im kommenden Jahr erwarte ich die Stärkung der Autonomie der Universitäten mit Berufungsrecht und der Verfügung über Liegenschaften.“

Protokoll: api

Der KoalitionspartnerRasche Reformen

Carola Bluhm ist Fraktionschefin der Linkspartei:

„Ich bin gespannt: Heute will sich Herr Zöllner unserer Fraktion vorstellen. Nach allem, was wir über ihn wissen, verspricht seine Berufung eine Bereicherung für Berlin.

Zöllner und der scheidende Wissenschaftssenator Thomas Flierl haben vieles gemein. Vor allem teilen der alte und der neue Ressortverantwortliche die Vision eines Hochschulfinanzausgleichs: Die Berliner Unis und Hochschulen bilden 35.000 junge Menschen mehr aus, als sie im Bundesdurchschnitt müssten. Wir wollen einen Weg finden, die Kosten dafür gerechter auf die Bundesländer zu verteilen.

Natürlich setzen wir auch darauf, dass Herr Zöllner persönliches Engagement für die Gemeinschaftsschule zeigt. Das gemeinsame Lernen bis zur 10. beziehungsweise bis zur 12. Klasse geht bereits mit Pilotprojekten an den Start. Wir wünschen uns einen Bildungssenator Jürgen Zöllner, der die Verbreitung dieser Schulform energisch weiter verfolgt.

Über einen Satz Herrn Zöllners habe ich mich sehr gefreut: Die Gemeinschaftsschule ‚ist ein Grundansatz, der viele Probleme lösen kann‘. Klüger kann man es nicht sagen.“ Protokoll: MLO

der JugendvertreterMehr Mittel

Tilmann Schröder, Geschäftsführer des Landesjugendringes:

Was wir von Herrn Zöllner wollen? Dass das Niveau der Förderung für die Jugendverbände wenigstens gleich bleibt. So steht es im Koalitionsvertrag. Sehr dringend ist auch, die Projekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus mit den benötigten finanziellen Mitteln und Kompetenzen auszustatten. Wie man an den Statistiken und der Berichterstattung sehen kann, ist rechte Gewalt wieder zu einem richtigen Problem geworden. Dem müssen wir etwas entgegensetzen können – wir als Landesjugendring verstehen uns hier als Partner der Landesregierung.

Auf der abstrakten Ebene kann Herr Zöllner auch etwas bewirken: Wenn in Berlin jemand von „der Jugend“ spricht, meint er oder sie meistens die „hippe Jugend aus Mitte“. Dass es noch anderswo Jugendliche gibt und dass es denen nicht so gut geht wie vielen in Mitte oder Prenzlauer Berg, wird dabei übersehen. „Die Jugend“ muss man als Gesamtheit, als politische Querschnittsaufgabe sehen. Um der mehr Chancen zu geben, brauchen wir beispielsweise mehr Geld für die Zusammenarbeit der Träger der Jugendarbeit mit den Schulen oder für Freiwilligendienste, bei denen Jugendliche Berufsqualifikationen erwerben. Außerdem hoffen wir, dass sich Herr Zöllner dafür einsetzt, dass ehrenamtliches Engagement in Jugendverbänden anerkannt wird, etwa bei der Bewerbung für eine Berufsausbildung.“ Protokoll: DOS

der AStA-ReferentGrößere Unis

Björn Kietzmann ist hochschulpolitischer Referent des AStA der Freien Universität:

„Wir teilen die Euphorie über den neuen Wissenschaftssenator nicht. Wenn Herr Zöllner tatsächlich so viele Visionen hat, wie er sagt, muss man ihn in die Schranken weisen. Der Senator muss sich vor allem darum kümmern, neue Studienplätze zu schaffen.

Der Hochschulpolitik, die Herr Zöllner in Rheinland-Pfalz gemacht hat, stehen wir skeptisch gegenüber. Sein Studienkontenmodell lehnen wir ab, weil es eine Form der Langzeit-Studiengebühr darstellt. Studierende, die kurz vor dem Abschluss stehen oder viel arbeiten müssen, werden dadurch benachteiligt. Auch die Hochschulfinanzierung nach Leistungskriterien zu finanzieren, halten wir für falsch. Eine solche Ellbogenmentalität wollen wir nicht.

Ein Finanzausgleich unter den Hochschulen, wie ihn der neue Senator vorschlägt, könnte allerdings ein Mittel gegen die zunehmende Kleinstaaterei in der Universitätslandschaft sein.

Wir glauben nicht, dass Jürgen Zöllner gelingen wird, woran Thomas Flierl gescheitert ist. Studiengebühren, egal in welcher Form, sind in Berlin nicht durchsetzbar.“ Protokoll: SKL

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