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Steinbrück will nicht rechnen

Berlin verweigert sich der Frage, ob Staatsgeld gerecht auf Mann und Frau verteilt ist

BERLIN taz ■ Ein Staat, der beide Geschlechter demokratisch behandeln will, tut gut daran, seinen Haushalt daraufhin zu prüfen, wie er das Geld an Männer und Frauen verteilt. Das fanden die EU-Finanzminister logisch und beschlossen 2001, das sogenannte Gender Budgeting bis 2015 einzuführen. Doch die schwarz-rote Koalition möchte an diese Pläne nicht mehr so gerne erinnert werden.

Eine umfangreiche Machbarkeitsstudie liegt seit März dieses Jahres im Familienministerium unter Verschluss. Und Finanzminister Peer Steinbrück verkündete am Montag auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu diesem Thema, er wolle seine Verwaltung nicht mit „bürokratischem Berichtsaufwand überziehen“. Gender Budgeting sei ohnehin ein „irritierender Begriff“, fand der Minister. Und er sei im Prinzip auch nicht zuständig: „Der Finanzminister kann Ergebnisorientierung nicht per ordre de mufti durchpeitschen. Die Fachressorts selbst müssen sich in dieser Logik bewegen.“

Die Autorin der Studie, die Hamburger Politikprofessorin Christine Färber, sah das etwas anders: „Ohne Daten geht es nicht“, erklärte sie kurz und trocken. Selbstverständlich müsse man wissen, wie sich die Staatsgelder auf Männer und Frauen verteilten. „Erst dann kann man entscheiden: Ist das gut so oder wollen wir etwas ändern?“ Sie erinnerte daran, dass die Ergebnisse ihrer Studie in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden sollten. Dies hatte allerdings noch Rot-Grün beschlossen.

Was Gender Budgeting bringen kann, zeigten einzelne Beispiele aus Ministerien, die sich schon einmal Pilotprojekte überlegt haben. So untermauerte etwa das Bildungsministerium seine Förderprogramme für weibliche Wissenschaftlerinnen mit dem Argument, man könne doch einen Teil des Bildungsetats auch mal für Frauen ausgeben. Im Auswärtigen Amt wurde nachgeschaut, wer eigentlich mit den Geldern für „Public Diplomacy“ finanziert wird. Das sind vor allem Programme, mit denen Personen des öffentlichen Lebens aus dem Ausland eingeladen werden. Dieses Geld soll auch Frauen zugute kommen, also achtete man stärker darauf, dass sie auch eingeladen werden.

Es handelt sich also vor allem um die finanzielle Untermauerung einer geschlechtergerechten Politik. „Wenn man eine solche Politik nur als Ziel formuliert, dann hängt es stark von Einzelnen ab, ob es diese Politik auch gibt“, erklärt Färber den Ansatz. „Wenn man aber fragt: Wofür gebt ihr euer Geld aus? Dann geht ein Ruck durch die Abteilung. Das Budget ist immer ein wunder Punkt.“

Der Charme des Gender-Budgets liegt wohl darin, dass sich der abstrakte Begriff Geschlechterverhältnis plötzlich in klaren Zahlen ausdrückt. Im Einzelfall wird das äußerst kompliziert: Schaut man etwa die Rentenzahlungen an, so stellt man fest, dass der größte Anteil der Frauenrenten sogenannte Witwenrenten sind, die vom Ehemann abgeleitet sind. Ist das gerecht? An solchen Beispielen wird klar: Mit den Zahlen eines Gender-Budgets fängt die Diskussion gerade erst an. HEIDE OESTREICH

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