: Die wollen es noch wissen
STRASSENRENNEN Jan Ullrich? Vergessen und verfemt. Der Radsport aber lebt. Zum Beispiel auf den Radtourenfahrten – die keinesfalls so gemütlich sind, wie der Name klingt
VON HELMUT DACHALE
Wie häufig schon sind der Rennsport und damit auch das Rennrad totgesagt worden? Wer nur auf die Mega-Events und ihre Akteure schaute, wer die Tour de France für das Maß des Geschehens hielt, hat sich womöglich schon vor Jahren abgewandt. Cortisoncocktails, EPO, Eigenblutdoping – das war es doch, was den Radsport bewegte (und vielleicht immer noch so manchen Profi auf dem Rad hält).
Eine Nische, aber stabil
Die Wirklichkeit ist anders, nicht besonders spektakulär, überhaupt nicht glamourös. Schweißtreibend schon. Das Rennrad wird nach wie von Hunderttausenden gefahren, in kleinen lokalen Vereinen, aber auch von vereinslosen Hobbysportlern. Nach Feierabend und am Wochenende werden Kilometer angesammelt, mal mehr, mal weniger. „Die Nachfrage nach Rennrädern war ja nie besonders groß, aber sie ist auch in den letzten Jahren stabil geblieben“, so heißt es in einem Fahrradfachgeschäft in Bremen. Das sieht man beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) ähnlich: Für 2013 hat er unter all den in Deutschland verkauften Fahrradmodellen für die Rennmaschinen und ähnliche Boliden (ohne Mountainbikes) einen Anteil von 4 Prozent errechnet. Nicht umwerfend, aber anscheinend zufriedenstellend.
Der klassische Radsport – auf der Straße, nicht im Gelände – ist nach wie vor Breitensport. Manche Organisatoren von Radtourenfahrten (RTF) sprechen sogar von einer Renaissance. RTF: Leistungssport für Liebhaber. Nicht unbedingt für jedermann und jede Frau, aber für alle, die eine Durchschnittsgeschwindigkeit jenseits von 30 Stundenkilometern nicht für gemeingefährliche Raserei halten und dieses Tempo selbst schon trainiert haben. Aber nach Möglichkeit nicht nur ein- oder zweimal auf der Kurzdistanz. Denn RTF-Strecken sind zumeist zwischen 41 und 170 Kilometer lang, es gibt aber auch zunehmend Radmarathon-Angebote. Hier lassen sich dann auch schon mal 200 Kilometer abreißen. Man fährt immer im öffentlichen Straßenraum auf ausgeschilderten Straßen, die Straßenverkehrsordnung ist zu beachten. Zeiten oder Platzierungen werden nicht ermittelt, aber wer das Ziel erreicht, kann Punkte sammeln.
Eine RTF ist eine radsportliche Angelegenheit – gefragt ist nicht nur Kondition. Man sollte schon wissen, wie man sich im Peloton verhält, ob man sich auf das Windschattenfahren in Formation oder einen Spurt einlassen kann.
Nimmersatte Marathonisti
Der Radtourenkalender des Bundes Deutscher Radfahrer, dessen Mitgliedsvereine die Rennen organisieren, umfasst allein für den Monat Juni rund 120 Veranstaltungen bundesweit. Darunter zum Beispiel und als wortwörtlicher Höhepunkt den Rhön-Radmarathon, der am kommenden Pfingstwochenende (7. und 8. Juni) zum 25. Mal ausgetragen wird. Die Rhön ist bekannt für ihr raues Klima, ihre Steigungen, für Abfahrten mit sattem Gefälle. Der Veranstalter, der RSC’77 Bimbach e. V. spricht vom härtesten Radmarathon Deutschlands. Und um dem auch ja gerecht zu werden, hat er diesmal noch eine zusätzliche Long Distance anzubieten: 248 Kilometer, inklusive 800 Höhenmeter. „Die nimmersatten Marathonisti bekommen so die Option, noch zwei zusätzliche Anstiege am Ende der Tour mitzunehmen“, heißt es in der Ankündigung. Was keinesfalls ironisch zu verstehen ist, eher fürsorglich. Für die Marathonstrecken – die kürzeste weist 170 Kilometer auf – sind übrigens schon sind seit Wochen die gesamten 2.000 Startplätze vergeben. Selbst die Warteliste musste schon geschlossen werden. Dafür kann man sich am Starttag noch auf eine der kürzeren Rhön-RTF-Strecken begeben. Aber auch jede dieser Fahrten dürfte zu einer Massenveranstaltung werden.
Der basisnahe Radsport lebt. Er wird am Leben gehalten von Ehrenamtlichen wie denen des RSC’77 Bimbach. Und er wird gelebt von Amateuren, die saubere, aber nahezu professionelle Leistungen erbringen.
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