: Delmenhorst verteidigt Hotelkauf
Bürgermeister sieht überhöhten Kaufpreis durch verhindertes NPD-Schulungszentrum gerechtfertigt. Was mit der Immobilie im Herzen der Stadt nun geschehen soll, weiß aber niemand. Jetzt sollen die Bürger auf Postkarten Nutzungsvorschläge einreichen
AUS DELMENHORST ARMIN SIMON
Das war die Schreckensvorstellung für Oberbürgermeister Patrick de La Lanne. 20 Nazis im ehemaligen „Hotel am Stadtpark“ gegenüber dem Delmenhorster Rathaus. 200 GegendemonstrantInnen davor. Und 2.000 PolizistInnen, die das Stadtzentrum abriegeln. „Sie können sich vorstellen, was dann hier los gewesen wäre“, sagt de La Lanne.
Soll heißen: Die 3 Millionen Euro, die Stadt und BürgerInnen am Mittwochabend auf den Tisch gelegt haben, damit der hässliche Betonbau aus den 1970er-Jahren nicht in die Hände von NPD-Anwalt Jürgen Rieger fällt, sind zwar „ein politischer Preis“, aber trotzdem gerechtfertigt – auch wenn die Immobilie laut offiziellem Gutachten nur 1,33 Millionen Euro wert ist. „Wir hatten keine andere Chance“, sagt de La Lanne.
Mit dieser Meinung steht er in der Kleinstadt vor den Toren Bremens bei weitem nicht alleine. Es habe „bis in den Dezember hinein eine ganz akute Bedrohung gegeben“, dass Rieger das Hotel habe erwerben wollen, beteuerte gestern Christian Glaß, der zwischen der Stadt und dem Alteigentümer vermittelt hatte. Rieger habe mehrere schriftliche Kaufangebote abgegeben. „Die durfte man definitiv nicht außer Acht lassen.“
In „Freudentaumel“ wollte er ob des geglückten Erwerbs der Immobilie durch die städtische Wohnungsgenossenschaft GSG aber nicht ausbrechen: „Wir gehen eher auf den Knien – auch finanziell.“ 2 Millionen Euro Kredit haben Stadt und GSG für den Kauf aufgenommen, allein die Zinskosten belaufen sich auf 83.000 Euro im Jahr. Die hoch verschuldete Stadt hat sich darüber hinaus verpflichtet, bis zu einer Neunutzung die kompletten Unterhaltskosten des Gebäudes zu tragen. Welche Summe dafür nötig sei, könne man noch nicht sagen, räumte de La Lanne ein. Der Voreigentümer habe dazu keine Angaben gemacht.
Initiiert hatte den „Rettungskauf“ die Bürgerinitiative „Für Delmenhorst“. Binnen fünf Monaten sammelte sie fast 1 Million Euro Spenden, die sie nach Unterzeichnung des Kaufvertrags vereinbarungsgemäß der Stadt schenkte. „Delmenhorst kann glücklich sein, dass wir das geschafft haben“, betonte Sprecher Gerd Renker. Ein Schulungszentrum der NPD mitten im Stadtzentrum, ist er überzeugt, „hätte Symbolcharakter für die Nazis in ganz Deutschland gehabt“. Einen Sieg über die Nazis sieht er in dem Kauf dennoch nicht: „Wir haben das Problem nur örtlich verschoben.“
Für den überhöhten Kaufpreis machte Vermittler Glaß unter anderem die Stadt selbst verantwortlich. Sie habe „über Jahre keine zivile Kommunikation“ mit Alteigentümer Günter Mergel gepflegt – trotz der zentralen Lage von dessen Hotel. Mergel habe den Bau „ganz offiziell in Branchenzeitschriften zum Verkauf angeboten“.
Was mit dem Hotelbau in Zukunft passiert, ist weiterhin völlig offen. Das Delmenhorster „Forum gegen rechts“ hat über die örtliche Zeitung 20.000 Postkarten verteilt, auf denen BürgerInnen Vorschläge zur künftigen Nutzung einreichen sollen. Erste Vorschläge reichen vom Altenheim über einen Verwaltungsbau bis zum Kulturzentrum. Über wahrscheinlich nötige Umbau- und laufende Kosten hat sich noch niemand Gedanken gemacht. Es sei aber klar, dass die Immobilie Ertrag erwirtschaften müsse, sagte de La Lanne. Entscheiden über die Nutzung soll ein Projektbeirat, in dem neben fünf BürgerInnen VertreterInnen der Stadt und der GSG sitzen. „Die Stadt steht im Wort: Die Bürger dürfen entscheiden“, beteuerte de La Lanne. Die Stimmrechte verteilen sich allerdings nach Kapital – die Stadt hat also die Mehrheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen