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„Der Staat liest mein Tagebuch“

INTERVIEW ANNIKA JOERES

taz: Frau Winsemann, Sie wollen gegen die Online-Durchsuchungen des NRW-Verfassungsschutzes bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Was haben Sie denn auf ihrem Computer zu verbergen?

Bettina Winsemann: Die Frage ist doch: Was haben die Verfassungsschützer zu verbergen? Warum kommen sie nicht mit einem Durchsuchungsbefehl, klopfen an meine Wohnungstür, beschlagnahmen meinen Computer? Das könnte ich akzeptieren. Denn davon wüsste ich, da hätte ich eventuell sogar Zeugen und könnte mich wehren. So aber merke ich es nicht einmal, wenn jemand auf meinen Rechner zugreift. Das ist eine gruselige Vorstellung.

Warum? Was ist an ihren Computerdaten so persönlich?

Mein Computer ist meine Privatsphäre. Ein großer Teil meiner Kommunikation läuft mittlerweile über das Internet ab, ich maile mit meiner Tante, frage sie nach der Krebsoperation, maile mit Freunden oder pflege berufliche Verbindungen. Das geht doch inzwischen vielen Leuten so: Ihre Kontakte laufen über das Netz. Wenn jetzt der Staat bei mir rumschnüffeln kann, liest er so zu sagen mein Tagebuch, öffnet meine Briefe, durchwühlt meine Schubladen.

NRW-Innenminister Ingo Wolf interessiert sich aber nicht für Ihre Briefe, sondern will Terroristen aufspüren. Der Verfassungsschutz solle per PC die Radikalen aufspüren.

Diese Online-Durchsuchungen sind so leicht und geräuschlos, das können die Staatsbeamten schnell ausweiten. Das ist eben kein so großer Akt wie eine Hausdurchsuchung. Sie können in ein paar Sekunden meine Daten runterladen, fertig.

Es gibt aber doch mittlerweile Schutzmöglichkeiten wie Firewall oder Verschlüsselungssysteme wie true crypt.

Natürlich habe ich alle diese Systeme installiert und sie können mich auch schützen. Aber es geht ums Prinzip. Nur weil ich meine Haustüre nicht abgeschlossen habe, darf das Sondereinsatzkommando nicht gleich in meine Wohnung stürmen. Es ist doch auch leider so, dass die meisten User sich noch zu wenig auskennen mit diesen Systemen, viel zu wenige haben sie installiert. Nur eine Minderheit kann sich schützen.

Sie führen einen ungleichen Kampf. Die Verfassungsschützer oder auch die Polizei werden doch immer die besseren Hacker haben, werden immer die besten Kontakte zu Microsoft pflegen...

Technisch sind die Staatsbeamten den Usern nicht überlegen. Gerade Microsoft wurde ja oft erst durch Hacker auf die enormen Sicherheitsmängel aufmerksam. Aber natürlich haben Unternehmen, zum Beispiel auch der Biometriebranche, großes Interesse daran, ihre neuen Produkte zu vermarkten, da kann der Staat auch ein Abnehmer sein. Und natürlich gibt es mit Sicherheit auch einzelne Programmierer von Microsoft, die ihr Wissen gerne an die Polizei verkaufen. Das läuft aber alles im Dunkeln. Entscheidend ist, was auch noch gesetzlich legitimiert wird. Da ist Nordrhein-Westfalen jetzt einen entscheidenden Schritt zu weit gegangen. Das passt nicht zu einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie wir sie ja haben wollen.

Die Nutzer und Nutzerinnen bringen sich doch aber auch selbst in Gefahr. Sie schreiben die privatesten Sachen ins Netz, speichern ihre Hochzeitsfotos ab. Ist das nicht auch eine Form von Exhibitionismus?

Das ist einfach eine neue Kommunikationsform. Ich entscheide aber doch, was ich öffentlich ins Netz stelle und wozu nur ich einen Zugang habe. Nur weil ich mit Menschen über persönliche Dinge rede, lasse ich sie nicht mein Tagebuch lesen. Viele Menschen verbinden mit Privatsphäre mittlerweile etwas Verbotenes, Anrüchiges. Damit haben selbst gute Freunde von mir Probleme. Nur weil mein Partner nicht alle meine E-Mails lesen soll, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn betrüge. Aber auch er reagiert verschnupft, wenn ich vor seinen Augen mein Laptop zuklappe. Dabei ist das meine persönliche Entscheidung.

Keine persönliche Entscheidung sind aber die möglichen kriminellen Taten im Internet, wie zum Beispiel auch Kinderpornografie. Solche Verbrechen sind nur übers Internet-Schnüffeln, wie Sie es nennen, aufzuklären.

Das ist nicht wahr. Bei den Personen, die der Kinderpornografie oder anderer Sauereien überführt wurden, hat die Polizei auch Hausdurchsuchungen durchgeführt und ihre Computer beschlagnahmt. Der Verfassungsschutz, die Polizei, sie alle haben schon weit reichende Befugnisse, sonst hätten sie bisher ja niemanden schnappen können. Ich bin die Letzte, die einen Missbrauch verharmlosen will. Aber Kinderpornografie, Terrorismus und Rechtextremismus werden immer wieder angeführt, um Datenschützer mundtot und mürbe zu machen. Gegen dieses Argument scheint niemand anzukommen. Natürlich gibt es Menschen, wie in allen Szenen und Gesellschaften, die auf ihrem Rechner illegale Sachen betreiben, angefangen bei den so genannten Raubkopien. Deswegen dürfen aber doch nicht alle zu gläsernen Menschen werden. Genauso wenig können wir alle Familien einer Gesellschaft überwachen, weil es Kindesmisshandlungen gibt.

Sie engagieren sich auch in der Bürgerrechtsinitiative Stop1984. Von der totalen Überwachung der Gedanken, wie sie Orwell in seinem Buch vorausgesagt hat, ist unsere Gesellschaft aber doch noch weit entfernt.

So weit sind wir nicht davon entfernt. Auch bei 1984 werden ja nicht alle Gedanken überwacht, sondern die Menschen glauben daran, dass ihre „illegalen“ Gedanken den sicheren Tod bedeuten. Das jagt ihnen solche Angst ein, dass sie sich nicht wehren. Diese Hysterie ist auch bei uns zu spüren. Als ich Stop1984 vor fünf Jahren mitgegründet habe, wurde ich als Terroristenschlampe beschimpft. Ehemalige Freunde haben sich von mir abgewendet, weil es ihnen peinlich war, mit einer „Bürgerrechtlerin“ befreundet zu sein. Sie hatten schlichtweg Angst. Sie haben befürchtet, in den Dunstkreis „krimineller Leute“ zu gelangen.

Woher kommt diese Angst?

Sie hängt natürlich ganz klar mit den Anschlägen von 2001 zusammen. Seitdem schlagen Politiker ständig Alarm, seitdem ist der so genannte terror alert in den USA ständig auf orange – und er wird auch nie wieder auf grün gestellt. Nie wieder. Hier in Deutschland ist die Furcht ähnlich groß. Manchmal kann ich das nachvollziehen. Die Innenminister haben einen schweren Job. Sie müssen für die so genannte Sicherheit des Volkes eintreten. Das klappt natürlich nicht immer, deswegen muss immer wieder aufgerüstet werden: verbal und auch tatsächlich, zum Beispiel mit Videokameras.

Viele BürgerInnen freuen sich über die Kameras an öffentlichen Plätzen und fühlen sich dann tatsächlich sicherer.

Ja, sie haben schon das Mantra internalisiert: Bürgerinnen und Bürger, Ihr müsst Euch offenbaren! Aus meiner Sicht sind diese Kameras fatal. Sie suggerieren eine falsche Sicherheit, denn oft sind es Attrappen oder sie zeichnen nur auf und die Aufnahmen werden erst Tage später oder gar nicht angesehen. Und sie verringern die Zivilcourage. Als ich einmal mit einem gebrochenen Bein und Krücken hingefallen bin, half mir niemand auf. Eine Frau sagte, ich würde doch gefilmt, da käme bestimmt gleich jemand.

Das ist vielleicht eher die allgemeine Angst, jemanden zu nahe zu kommen.

Aber das ist doch paradox. Sie geben die persönlichsten Daten quasi freiwillig heraus, auf der anderen Seite wollen sie mit niemandem persönlich reden. Es ist diese Mär von der absoluten Sicherheit. Sie wird es natürlich nie geben, aber in ihrem Namen wird die persönliche Sicherheit, die persönliche Freiheit abgeschafft. Das ist das, was die Menschen wirklich gefangen nimmt.

Wie reagieren denn die anderen Blogger und Chatter auf das neue Gesetz?

Es gibt kaum ein größeres Thema unter den Nutzern. Als ich angekündigt habe, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, gab es riesigen Zuspruch. Innerhalb von Tagen gingen tausende Euro von Spenden ein, um meinen Anwalt zu bezahlen. Vielen Internetnutzern geht es aber auch darum, wie jeder Einzelne sich technisch gegen das Schnüffeln wehren kann. Ich will aber mehr. Ich will, dass die Privatsphäre grundsätzlich geschützt ist, für alle Bürgerinnen und Bürger.

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