: SPD bürgert Biermann ein
Überraschend stimmt die SPD-Fraktion für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Wolf Biermann. Damit hat der Oppositionsantrag eine Mehrheit. Koalitionspartner PDS denkt über Enthaltung nach
VON MATTHIAS LOHRE
Der Druck war einfach zu groß. Gestern Abend beugte sich die SPD-Fraktion hinter verschlossenen Türen der harschen Kritik von Bundes-SPD und politischen Gegnern: 45 der 50 teilnehmenden Parlamentarier stimmten dafür, Wolf Biermann die Ehrenbürgerwürde Berlins anzutragen. SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller will sich nun mit den anderen Fraktionen auf ein neues Verfahren für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den Liedermacher verständigen. Damit macht die SPD eine Kehrtwende.
Im Oktober 2006 hatte der CDU-Abgeordnete Uwe Lehmann-Brauns beantragt, Wolf Biermann zum 115. Ehrenbürger der Stadt zu ernennen. Lehmann-Brauns ist auch Anwalt und Freund des Liedermachers. Grüne und FDP unterstützten den Vorschlag, die Fraktionsvorstände von SPD und PDS hatten dies vergangene Woche noch abgelehnt.
Die Sozialdemokraten geben mit ihrer überraschenden Zustimmung den Schwarzen Peter nun an den Koalitionspartner weiter: Müller sagte, er gehe davon aus, dass auch die Linkspartei sich dem SPD-Votum anschließen werde. Deren Fraktion beriet parallel über die Causa Biermann. Um ihr Gesicht zu wahren, halten die Sozialisten nun auch eine Enthaltung bei der Abstimmung im Kulturausschuss am Montag für möglich. Ein Koalitionskrach ließe sich so vermeiden. In den vergangenen Tagen hatten sich Linksparteiler gegen die Würdigung für den 1976 aus der DDR Ausgebürgerten ausgesprochen. Biermanns Plädoyer für den US-Angriff auf den Irak 2003 sei unter Sozialisten nicht vergessen.
Vor wenigen Tagen hatte Müller Biermanns Verdienste für Berlin noch als „umstritten“ bezeichnet. Gestern begründete er das überraschend deutliche Votum für die Ehrung mit dessen „herausragendem politischen Engagement“. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wollte sich nicht äußern.
Den Druck hatten zuletzt auch Abgeordnete der SPD-Bundestagsfraktion erhöht. Mitten in die Fraktionssitzung seiner Parteifreunde hinein hatte der Bundestagsabgeordnete Markus Meckel einen offenen Brief an seine Berliner Genossen veröffentlicht. Darin baten 92 SPD-Bundesparlamentarier ihre Parteifreunde „dringend“, sich „angesichts seiner Lebensleistung und seiner Bedeutung für die Oppositionsbewegung“ für eine Ehrenbürgerschaft Wolf Biermanns auszusprechen. Unterschrieben hatten politische Schwergewichte wie Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel.
SPD-Chef Müller richtete seine Kritik nicht an seine Genossen im Bund, sondern an den Urheber des Antrags, Lehmann-Brauns: „Es ist unterirdisch, wie die CDU sich hier verhalten hat.“ Der heutige Vizepräsident des Abgeordnetenhauses hatte den Vorschlag nicht diskret an den Senat, sondern an die Öffentlichkeit gerichtet.
Die Grünen lobten die Kehrtwende der SPD. „Eine andere Entscheidung hätte nicht nur dem Ansehen der SPD, sondern auch dem Ansehen der Stadt Berlin in hohem Maße geschadet“, urteilten die Fraktionschefs Franziska Eichstädt-Bohlig und Volker Ratzmann.
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