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Professionelle Rollenprosa

MEMOIREN Der Blick zurück auf die rot-grünen Jahre: Joschka Fischer legt Rechenschaft ab, von wenig Selbstkritik geprägt

VON MICHA BRUMLIK

Wer sich von Joschka Fischers Memoiren „‚I am not convinced.‘ Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre“ deftige Anekdoten oder skandalträchtige Enthüllungen erwartet, wird enttäuscht werden. Dieser zweite Teil seiner Memoiren stellt ein mustergültiges Beispiel professioneller Rollenprosa dar, eben so, wie sich der Autor diplomatische und politische Seriosität vorstellt. Fischer, der schon ganz andere Bücher verfasst hat, etwa hämische Bemerkungen über „Grüne Kraft und Herrlichkeit“ sowie eine in jeder Hinsicht verschwitzte Autobiografie, die den langen Weg des Autors zu sich selbst schilderte, ist er hier auch sprachlich in jenen Dreiteiler geschlüpft, mit dem der ehemalige Straßenkämpfer Zugehörigkeit zum Establishment signalisiert.

Nicht unbedingt an Winston Churchills literarisch brillanten Erinnerungen geschult, stellen diese Memoiren gleichwohl einen gelungenen Fall ihres Genres dar; der Autor befleißigt sich eines luziden, gut lesbaren Kanzleistils. Verbergen, was er alles auslässt, kann er allerdings nicht. Mit „I am not convinced“ liegt eine gleichsam offizielle Rechenschaftslegung vor, mit der Fischer diesen Teil seines politischen Lebens ad acta legt.

Eintritt in den Krieg

Thematisch geht es vor allem um den Eintritt Deutschlands in den Afghanistankrieg, das Durchpauken der Hartz-IV-Gesetze sowie die Weigerung, Teil der „Coalition of the Willing“ gegen Saddams Irak zu werden, eine Weigerung, bei der Fischer tatsächlich eine bedeutende Rolle spielte.

Als Person tritt der Autor ebenso hinter seiner Rolle zurück, wie er sich als Mitglied der Grünen-Partei, die er immerhin nicht unerheblich geprägt hat, weitgehend zurückhält. Zwar darf der Leser den einen oder anderen kurzen Blick in das persönliche Leben eines Außenministers werfen, wenn er etwa erfährt, dass der Minister bei kurzfristigen Besuchen in den USA, im Hotel jäh geweckt, „in Unterwäsche“ ans Telefon musste oder wenn er sich gerührt daran erinnert, wie beim ersten Abheben von Euro am Berliner Bankautomaten „der Schnee leise rieselte“. Ansonsten tut sich der Blick hinter die Kulissen allenfalls daran auf, dass die Sicherheitsberaterin von George W. Bush als „Condi“ bezeichnet wird und der israelische Premier Ariel Scharon – als sei er ein persönlicher Kumpel gewesen – als „Ari“ firmiert.

Heiteres ist auch vom diplomatischen Parkett zu lesen, etwa wenn wir erfahren, dass der britische Generalsekretär der Nato, George Robertson, den deutschen Außenminister in Erinnerung an dessen linksradikale Vergangenheit als „Comrade“ angeredet hat.

Während der Autor ehrlich genug ist, seine Nahostfriedensbemühungen weitestgehend als gescheitert zu schildern – „Ich war … endgültig im Hamsterrad des Nahostkonflikts angekommen …“ –, kann er sich zu Recht dessen rühmen, eine deutsche Beteiligung am US-amerikanischen Abenteuer im Irak mit allen Kräften verhindert zu haben.

Darüber verblasst anderes: Von den Memoiren eines Außenministers Selbstkritik zu erwarten, wäre vermutlich zu viel – auf dem Feld der Innenpolitik immerhin äußert sie der damals führende Politiker der Grünen: Den Kopf angefüllt mit den durch den 11. 9. sowie den Irakkrieg losgetretenen Wirrungen, habe er die etwa gleichzeitig durchgezogenen Hartz-IV-Reformen doch allzu „technokratisch“ mitgetragen.

Freilich sind es immer wieder der 11. 9. 2001 und dessen Konsequenzen, die die Erinnerungen durchziehen: vor allem die sofortige Festlegung von Kanzler Schröder auf „uneingeschränkte“, das heißt auch militärische Solidarität mit den „von außen“ angegriffenen USA, die Fischer „vorbehaltlos“ unterstützte, etwa aus Erwägungen einer nationalen Dankespflicht gegenüber den USA, die Deutschland vom Nationalsozialismus befreit hatten. Auch hier – wie schon bei den Debatten von Partei und Fraktion über einen Eintritt in den Krieg um das Kosovo – störten altböse Feinde aus dem realpolitischen Gruselkabinett die Kreise.

Den Gegner dämonisiert

Politischer Widerstand gegen Deutschlands Kriegseintritt wird in der Sache nicht ernst genommen, sondern dämonisiert: „Der grün-protestantische Nationalpazifismus“ heißt es da dräuend, „erhob also auch diesmal wieder sein Haupt.“ Personifiziert wird dieses Haupt durch Antje Vollmer, der hier die Ehre widerfährt, wie kein anderer Politiker, nicht einmal Arafat oder Donald Rumsfeld, attackiert zu werden.

Jene Passagen, die dann davon handeln, wie die Grünen-Bundestagsfraktion angesichts von Schröders Drohungen mit einem Koalitionsbruch bei Verweigerung der Grünen doch zur Zustimmung gebracht wurde, werfen noch einmal ein instruktives Bild auf die früheren Jahre einer heute etablierten Partei. So erfahren wir, dass sich bei den abgesprochenen Proteststimmen grüner Abgeordneter die Männer den Luxus von Neinstimmen gönnen durften, während die Frauen besorgt und verantwortlich für Schröders mit der Vertrauensfrage gekoppelte Kriegspolitik stimmten.

Joschka Fischer ist ein Politiker, der Folgen abschätzen, Konsequenzen bedenken und Verantwortung übernehmen will – was aber auch heißen müsste, Zweifel zuzulassen. Das war beim Krieg gegen den Irak durchaus der Fall. Dass Fischer, der schon frühzeitig die US-amerikanische Neigung, es der islamischen Welt wegen des 11. 9. gründlich zu zeigen, gespürt hatte, niemals Zweifel über Sinn und Erfolg des Krieges gegen die Taliban gekommen sind, ist daher kaum zu glauben – zu lesen ist von diesen Zweifeln jedenfalls nichts. Tatsächlich war ja schon damals klar, dass nach den Erfahrungen der Briten und dem Debakel der Roten Armee in Afghanistan dort nicht viel zu gewinnen ist und die Parole vom Frauenbefreiungskrieg schiere Ideologie war. Der einzige Stratege, der Afghanistan richtig eingeschätzt hatte, war vor mehr als zweitausend Jahren Alexander der Große: Er betrat Afghanistan mit seinen Truppen vom Westen, um es ohne Herrschaftsambitionen so schnell wie möglich wieder nach Osten zu verlassen. Die Macht des Zweifels an diesem Krieg verdichtete sich dann – immerhin – im deutschen Widerstand, sich am Krieg gegen den Irak zu beteiligen. Grüner Nationalpazifismus?

Die Weigerung, den amerikanischen Krieg gegen Saddams Irak zu unterstützen, speiste sich jedenfalls bei Fischer – durchaus amüsant zu lesen – aus einer Kritik der eigenen Vergangenheit. Mit untrüglichem Gespür identifizierte er die neokonservativen Intellektuellen, etwa Paul Wolfowitz, von Anfang an als Typen, die er nur zu gut kannte: „… ich hörte bei ihnen die Gesänge, die Musik, den Radikalismus meiner eigenen revolutionären Vergangenheit heraus! Die Genossen von gestern! Weltverbesserung und Revolution, nur diesmal rechts und nicht links herum? Ich wusste aus eigener Erfahrung, wo ein solcher Radikalismus und die damit einhergehende Ideologiegläubigkeit enden würde, nämlich im Desaster …“

Als Fischer später in der Krise um die Nachrufe im Auswärtigen Amt wegen einiger seiner dortigen Mitarbeiter, geläuterte KBW-Funktionäre, die dareinst Pol Pot gepriesen hatten, angegriffen wurde, verhielt er sich solidarisch und diskret. Nicht einmal die Memoiren nennen die Namen jener von den „Mumien“ angegriffenen, aus Frankfurt mitgebrachten Referenten.

Was diese Erinnerungen von anderen Fällen dieses Genres schließlich unterscheidet, ist das fünf Jahre später niedergeschriebene Nachwort, in dem sich der Autor methodologisch-kritisch zur Gattung der Memoiren verhält; dabei sich selbst und anderen attestiert, dass Akteure nicht zur Geschichtsschreibung in eigener Sache taugen. Bei alledem schlägt er einen allzu hohen, altfränkischen Ton an, wenn er etwa vermerkt: „Politik hat recht eigentlich mit dem Machen von Geschichte zu tun. Ihre Entscheidungen von heute sind die Geschichte von morgen.“ Melancholie durchweht dieses Nachwort – wir lesen, dass Gerhard Schröder nur noch vage Erinnerung sei und den noch lebenden Helmut Schmidt die Aura Barbarossas aus dem Kyffhäuser umgebe. Fischers nicht direkt gestellte Frage, was von seiner Amtszeit bleiben wird, klingt dabei unüberhörbar mit.

Ein Rätsel bleibt

Freilich bleibt dem realpolitisch geläuterten Radikalen die Lösung seines eigenen Rätsels verborgen. Er, der wie nur noch Gerhard Schröder dafür geradezustehen hat, dass Deutschland wieder zu einer kriegsführenden Nation geworden ist, erkennt nicht, dass sich seine verantwortungsethisch durchaus diskutable Solidarität mit den USA nicht mit dem zum Schnitt bringen lässt, was er ansonsten einfordert: nämlich mit einer Distanz zu umfrageorientiertem Pragmatismus oder einer alle Prinzipien dementierenden Orientierung an politischer Macht.

Deshalb auch sieht er sich ein letztes Mal gezwungen, für den Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan zu werben: „Was, wenn Afghanistan wieder zur Terrorbasis würde? Und wie viele verstümmelte Frauen und Mädchen nach der erneuten Machtübernahme durch die Taliban würde die westliche Öffentlichkeit wohl aushalten, bevor der Schrei nach Intervention ertönen würde?“ Mindestens in dieser Hinsicht könnte Fischer beruhigt sein – die westliche, die deutsche Öffentlichkeit hat dort, wo ihre unmittelbaren Interessen nicht betroffen sind, noch ganz anderes ausgehalten. Die genozidalen Bürgerkriege in Afrika, in Darfur und im Kongo – sie alle fanden während Fischers Amtszeit statt – legen davon ein blutiges Zeugnis ab.

Joschka Fischer: „ ‚I am not convinced.‘ Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre“. Wissenschaftliche Mitarbeit Lars Nebelung. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 372 Seiten, 22,95 Euro

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