die taz vor 15 jahren über die mauen zukunftschancen der sed/pds im westen:
Bei den Dezemberwahlen hatte es sich angekündigt, seit dem Parteitag vom Wochenende ist es amtlich: Der Versuch, die alte SED innerhalb eines Jahres zur gesamtdeutschen, linksökologischen Oppositionspartei zu modeln, ist gescheitert. Offensichtlich haben sich die Parteireformer um Gregor Gysi, die sich im Dezember 1989 an die Spitze der SED-PDS setzten, mit der Grunderneuerung der Partei und ihrer Ausdehnung nach Westen zuviel vorgenommen. Von Anfang an hat sich die PDS wortreich geweigert, die Verantwortung für 40 Jahre Realsozialismus zu übernehmen. Mit dem Versuch des gesamtdeutschen Brückenschlags geriet ihr die belastete Vergangenheit vollends aus dem Blickfeld. Mit dem Parteitag ist die Seifenblase „linke Opposition für ganz Deutschland“ geplatzt.
Das läßt sich mit der Wahl einiger Westlinker in die Führungsgremien, die jetzt auf dem Parteitag vollzogen wurde, kaum verdecken. Eher brachte der Verlauf der Versammlung peinlich-spektakulär ans Licht, was sich seit Beginn des Projekts Linke Liste/PDS angedeutet hatte. Die gesamtdeutsche Perspektive ist eine Kopfgeburt, vom Überlebenskalkül der PDS diktiert, aber undurchführbar. Zwischen West- und Ostdelegierten gibt es keine Verständigungsbasis. Zu unterschiedlich sind die Traditionslinien, als daß sie sich unter dem verschwommenen Etikett „links“ zusammenbringen ließen. Was Gregor Gysi als „neue Streitkultur“ propagiert, ist zwischen orientierungslosen Ostmitgliedern und sektenerprobten Westlinken nicht zu machen. Die Mauer steht. Die Ostdelegierten mokieren sich hinter vorgehaltener Hand über die „Besserwessis“; die wiederum scheuen sich nicht, mit linker Eloquenz und vor kopfschüttelndem Plenum, ihre belanglos-hartnäckigen Streitigkeiten aufzuführen.
Dabei bleibt die politische Orientierung dieser Partei unauffindbarer denn je. Zwischen Antiimperialismus/Antikapitalismus und sozialdemokratischer Reformperspektive ist alles zu haben. Es spricht für den Durchhaltepragmatismus des Gregor Gysi, daß er auch dafür ein attraktives Etikett parat hält: „Meinungspluralismus“. Doch alle Schönfärbereien des wiedergewählten Parteichefs können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das gescheiterte Jointventure zuallererst seine innerparteiliche Autorität geschmälert hat. Im Aufwind scheinen diejenigen, für die die PDS nur noch als Oppositionspartei des depravierten Ostens gegen die alltäglichen Zumutungen des Westens Sinn macht. Wenn überhaupt, dann liegt hier die bescheidene Perspektive der Partei.
Matthias Geis, taz v. 29. 1. 91
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