: Der Spagat der Sportpsychologen
DEPRESSIONEN Fünf Jahre nach Robert Enkes Tod lässt der Fußball erkrankte Spieler weitgehend allein
BERLIN taz | So einsam auf der Tribüne, wie Andreas Biermann auf dem Coverfoto seines Buches „Rote Karte Depression“ sitzt, verlief auch sein öffentlicher Kampf gegen Depressionen: Die Fußballwelt stellte den gebürtigen Berliner ins Abseits. Trotz Therapieerfolgen blieb ihm eine Rückkehr in den Berufssport verwehrt. „Das Bewusstsein für diese Krankheit ist im Fußball überhaupt nicht da“, sagte er in Interviews. „Sie wird immer noch als Schwäche ausgelegt. Die meisten Menschen aus dem Fußball haben geschwiegen“, obwohl nach Robert Enkes Tod „große Reden“ gehalten wurden.
Tatsächlich hat der DFB nach dem Suizid des Torwarts der Nationalmannschaft am 10. November 2009 erste präventive Schritte in die Wege geleitet. Ein Anfang. Seit 2010 kümmert sich die Robert-Enke-Stiftung um die Enttabuisierung der Krankheit, doch das Klima hat sich kaum verändert. „Aufgrund der bisherigen Einstellung, es gäbe ja keine Probleme, wurde kaum geforscht“, sagt Sportpsychiater Dr. Valentin Markser, der Enke bis zu dessen Tod behandelte. „Die Wissenschaft hat keine Unterstützung aus dem Bereich des Sports erfahren.“ Sie tappt in Dunkelziffern.
Ein erster Erfolg der Enke-Stiftung war es, Spezialisten und Kliniken untereinander und mit der Welt des Sports zu vernetzen, berichtet Prof. Dr. Frank Schneider, einer der führenden Sportpsychiater des Landes: „Normale Psychiater haben mit Fußball nichts zu tun. Fußballer haben mit Psychiatrie nichts zu tun. Aber wenn man überlegt, dass etwa ein Drittel der Bundesbürger im Leben psychisch krank wird, dann sind ein Drittel aller Fußballer und im Verein Tätigen auch irgendwann psychisch krank gewesen.“
Dennoch bleiben festangestellte Sportpsychologen in der Bundesliga weiterhin die Ausnahme. Diese sind zwar primär für die Leistungsoptimierung engagiert worden, aber könnten auch Anzeichen seelischer Überforderung frühzeitig erkennen. „Nicht einmal der FC Barcelona bietet eine zeitgemäße seelische Gesundheitsbetreuung an“, sagt Markser, der sich wegen psychosomatischer Besonderheiten im Berufssport für Sportpsychiater auf Verbandsebene ausspricht.
Die Interessenskonflikte, die der Spagat zwischen leistungssteigernden und mentalgesundheitlichen Aspekten mit sich bringt, ist auch Gesprächsthema der nächsten großen Projekte der Enke-Stiftung. Sportpsychologische Crashkurse sollen im Rahmen der DFB-Trainerausbildung verankert werden, langfristig auch für den Jugendbereich. Zwar reichen vier Unterrichtsstunden kaum aus, um die Trainer von morgen zu Seelenklempnern zu machen, sollte aber immerhin ein Basiswissen vermitteln, um Ernstfälle früher zu erkennen und an die richtigen Instanzen weiterleiten zu können.
Dass die meisten Profisportler auch in Zukunft ihr Leiden nicht öffentlich machen werden, sieht Schneider als Natur der Sache an. Das aktive Karrierezeitfenster ist begrenzt. Nicht nur finanziell will jeder Athlet das Maximale herausholen. „Das Problem ist, dass Leistungssportler in der Öffentlichkeit groß und stark sein müssen. Wenn ein Bundestagsabgeordneter im Wahlkampf sagt, er hat Depressionen, oder zugibt, er macht eine Entwöhnungsbehandlung, weil er alkoholabhängig ist, kommt das ja auch nicht gut an. Das ist eine ähnliche Konstellation.“
Bundestrainer Joachim Löw, so Biermann im Gespräch mit der Zeit, habe einmal gesagt, Robert Enke hätte auch mit Depressionen bei ihm gespielt. Doch der DFB gab das Zitat nicht frei.
FRANCOIS DUCHATEAU
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