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„Gespreizte Posen spielen keine Rolle“

Inge Morgenroth

„Frauen können heute unabhängiger arbeiten. Aber dass Musikerinnen wie ihre männlichen Kollegen ihren Alltag leben können, das ist nach wie vor nicht selbstverständlich“

Inge Morgenroth (56) kam in den 70er-Jahren aus Freiburg nach Berlin. Hier schloss sie sich der aktiven Frauenbewegung an. Und kämpft seither dafür, Frauen eine Stimme zu geben. Neben ihrem Germanistikstudium gründete sie den Frauenbuchladen „Lilith“ in Charlottenburg und einen Verlag, der vergessene Autorinnen wie die Anagrammdichterin Unica Zürn neu entdeckte. Seit 1991 verschafft sie Frauen in der Musik mehr Gehör: mit dem Festival „Wie es ihr gefällt“, das bis zum 18. November läuft. Aber auch durch ihre Arbeit als Komponistin für elektroakustische Musik

Interview NINA APIN

taz: Frau Morgenroth, Sie organisieren seit 1991 zusammen mit Angela von Tallian das Musikerinnenfestival „Wie es ihr gefällt“. Es wurde aus der Wut geboren, haben Sie einmal gesagt. Warum und auf wen waren Sie wütend?

Inge Morgenroth: Ich schrieb damals eine Forschungsarbeit über die aktuelle Situation von Musikerinnen. Und ich war fassungslos, dass 90 Prozent der Künstlerinnen, die ich kennenlernte, völlig unbekannt waren. Improvisationsmusikerinnen, die virtuos ihre Instrumente beherrschten, wunderbare Komponistinnen. Aber auf den Festivals standen fast nur Männer auf der Bühne. Frauen tauchten immer in denselben Rollen auf, sie sangen oder spielten Klavier. An Schlagzeug, Posaune oder Kontrabass schienen sie unvorstellbar. Als wir das erste Festival im SO 36 veranstalteten, standen all diese Frauen plötzlich auf der Bühne. Die Begeisterung und Ermutigung war riesig! Um nur einige Musikerinnen zu nennen: Joëlle Léandre, Annie Whitehead, Annemarie Roelof, Robyn Schulkowsky, Sibylle Pomorin.

Waren auch Männer im Publikum?

Sehr wenige. Ein Musikerinnenfestival wurde damals mit „nur für Frauen“ gleichgesetzt. Das war aber gar nicht so. Wir wollten einfach gute Musik bringen, die nicht in die herkömmlichen Sparten passt. Wir führten in den ersten Jahren Kompositionen aus der Ü-Musik auf, dem Bereich zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik. Dazu Punkrock und viel Improvisiertes. Damit überforderten wir Männer vielleicht manchmal etwas. Wir öffneten Ohren für bisher Ungehörtes.

Wie hat sich seitdem die Situation von Frauen im Musikgeschäft verändert?

In der Neuen Musik gibt es mittlerweile einige Komponistinnen, an denen man einfach nicht mehr vorbeikommt: Isabel Mundry, Patricia Jünger, Olga Neuwirth, Iris ter Schiphorst. Enttäuschend ist, dass im Free Jazz die Instrumentalistinnen wieder völlig verschwunden sind, das war schon mal besser. In der Independent- und DJ-Szene sind Frauen stärker als früher vertreten, da hat sich auch durch die digitalen Produktionsmöglichkeiten einiges bewegt: Frauen können heute unabhängiger arbeiten, ihre Musik selbst produzieren und auf dem eigenen Label veröffentlichen. Aber dass Musikerinnen wie ihre männlichen Kollegen ihren Alltag leben können, das ist nach wie vor nicht selbstverständlich.

Also ist Ihr Festival immer noch nötig, um Musikerinnen eine Öffentlichkeit zu verschaffen?

Ja. Ich glaube nicht, dass sich die gesellschaftliche Situation von Musikerinnen so entscheidend verbessert hat, dass unser Festival sich erübrigt. Was natürlich traurig ist. Wir bemühen uns sozusagen Jahr für Jahr um unsere Selbstauflösung. Anderseits ist unser Festival inzwischen so beliebt und international bekannt, dass Aufhören überhaupt nicht zur Debatte steht. Die Atmosphäre auf dem Festival ist auch deswegen besonders, weil Technikerinnen an den Reglern sitzen und Frauen einfach anders zusammenarbeiten.

Wie denn?

Gespreizte Posen spielen keine Rolle, das Verhältnis untereinander ist weniger von Konkurrenz als von Interesse und Respekt geprägt. Fantasie-und Performance-Elemente spielen eine große Rolle in den Bühnendarbietungen, auch Humor. Das ist für ein Musikfestival schon eine ziemlich einmalige Erfahrung.

Sie haben einmal gesagt: „Am Geld misst eine Gesellschaft, ob etwas wertvoll ist oder nicht.“ – Dieses Jahr bietet „Wie es ihr gefällt“ acht Tage Programm mit international bekannten Musikerinnen. Werden Sie immer wertvoller?

Bisher wurden wir vom Künstlerinnenprogramm der Senatsverwaltung für Kultur unterstützt, die aber mit erheblichen Kürzungen zu kämpfen hat. Dieses Jahr wollten wir unser 15-jähriges Jubiläum mit großem Programm feiern. Wir haben uns mit Katja Lucker, Susa Treubrodt und Uta Rügner aus der Kulturbrauerei zusammengetan und bei großen Sponsoren Gelder beantragt.

Ihr aktuelles Programm heißt „Les Grandes Dames de la Méditerranée“. Wer sind die großen Damen vom Mittelmeer?

Es sind Musikerinnen, die international ihr Land oder ihre Kultur repräsentieren und mit ihrer Musik Grenzen überschreiten. Diamanda Galás, die griechischstämmige Sängerin aus den USA, schafft mit Klavier und ihrer vier Oktaven umfassenden Stimme bizarre Klangwelten. Souad Massi verbindet algerische Traditionen und globale Rhythmen, die marokkanisch-französische Sängerin Sapho verdichtet eigene Texte und Kompositionen zu einer Gratwanderung zwischen östlicher Musik und Elektronik.

Werden Sie eigentlich noch mit Ressentiments gegen ein Festival mit weiblichen Künstlern konfrontiert?

Ja, dass die Frage überhaupt noch gestellt wird, zeigt, dass diese Ressentiments noch existieren. Ich möchte aber lieber über Inhalte diskutieren.

Mit einem Konzept, das nur Frauen auf der Bühne und an der Technik vorsieht, setzen Sie aber auch selbst bestimmte Grenzen, die nicht jedem passen.

Früher waren wir radikaler. Wir regten, speziell für das Festival, Formationen aus Musikerinnen an oder vergaben Auftragskompositionen an Frauen. Dieses Jahr bringen einige Musikerinnen auch ihre Bands mit, und die sind eben überwiegend männlich besetzt.

Sind Sie dabei, Ihre eigenen Prinzipien zu verraten?

Man tut sich und den anderen ja keinen Gefallen, wenn man starr irgendwas verfolgt. Und wir haben uns auch verändert über die Jahre. Die radikalfeministischen Zeiten sind vorbei, wo viele Initiativen und Gruppen ausschließlich unter Frauen funktioniert haben. So ist es nicht mehr, und so soll es auch nicht mehr sein. Ein oder zwei Männer in der Band, na und?

In den 70er- und 80er-Jahren waren Sie in der Frauenbewegung aktiv. Sind Sie noch Feministin?

Ja. In meinem Herzen ist der Feminismus tief verankert. Ich bin immer parteiisch, was Frauen und ihre Rechte angeht, aber ich bin keine Aktivistin mehr in dem Sinne, dass feministische Fragestellungen meinen Alltag dominieren.

Und früher? Wie sind Sie Feministin geworden?

Als Mädchen habe ich erfahren, dass Frauen einfach nicht besonders viel zählen, egal wie sehr sie sich abrackern. Auch meine Mutter nicht, die immer arbeiten musste, um uns fünf Kinder durchzubringen. Ein Gefühl von Ungerechtigkeit war da, das sich dann mit den Protesten gegen den Paragrafen 218 politisiert hat. Abgesehen von der Politik: Es ist schon komisch, dass ich, als Frau, mir die Wahrnehmung von Frauen, das Interesse und den Respekt für sie erst jahrelang erarbeiten musste. Aber heute bin ich froh, dass mir dieser geschärfte Blick geblieben ist.

Der Frauenbuchladen Lilith in der Knesebeckstraße, den Sie 1979 mitgründeten, war so ein feministisches Herzensprojekt. Sie brachten Bücher vergessener Autorinnen wie Unica Zürn heraus. 1994 musste der Buchladen schließen, auch den Verlag gibt es nicht mehr. Sehen Sie das Projekt als gescheitert an?

Nein. Wir hatten ein spannendes Sortiment und einen Verlag, in dem wir in Kleinstauflagen Autorinnen wie Unica Zürn, Clarice Lispector oder Marina Zwetajewa herausbrachten. Unsere Arbeit war wichtig, sie führte zur späteren Wiederentdeckung einiger Autorinnen durch große Verlage. Aber wir wirtschafteten nicht gut. Wir arbeiteten im Kollektiv, alle machten alles. Und wir hatten zu viele Bücher im Sortiment, die nicht schnell genug umgesetzt wurden. Wir betrieben keine Bestsellerpolitik. Ich hatte eigentlich meine Zukunft im Verlag gesehen. 1991 stieg ich dort aus und begann, mich mehr mit Musik zu befassen.

Sie sind als Autodidaktin in die Szene der elektroakustischen Musik eingestiegen. Wie geht das?

Ich spielte zunächst Saxophon. Um richtig gut zu werden, hätte ich allerdings mehr üben müssen. Aber mit Laden, Verlag und Studium war dazu keine Zeit. Später interessierte es mich, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehörten. Ich arbeitete mit einem Vierspur-Tonbandgerät, um Collagen aus Texten, Tönen und Musik zu komponieren. Ab 1994 hatte ich die Möglichkeit, im Studio der Technischen Universität zu arbeiten. Dabei bekam ich viel Unterstützung durch den Studioleiter. In Tonstudios gab es damals noch nicht viele Frauen. Sehr geholfen haben mir der Zuspruch und die Inspiration von anderen Komponistinnen elektroakustischer Musik.

Inzwischen komponieren Sie auch Auftragsarbeiten für Filme und Hörspiele. Können Sie von der Musik leben?

Ja, auf meine Weise. Ich arbeite einfach nicht so schnell, um genügend Produktionen im Jahr fertigzustellen, so dass ich nur davon leben könnte. Ich habe irgendwann die Entscheidung getroffen, nur Arbeit zu tun, die mir wichtig ist und mir Freude bereitet. Dass ich dadurch mit weniger Geld auskommen muss, das nehme ich in Kauf.

Das Festival „Wie es ihr gefällt“ findet vom 10. bis zum 18. November in der Kulturbrauerei und der Passionskirche statt. Internet: www.wieesihrgefaellt.de

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