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Typische Frauenpose am Abgrund

Fortdauernd echte Romantik: „Und plötzlich sahen wir den Himmel“, eine Videodokumentation des Frauenprojekts interoceana über Ex-Aktivistinnen aus Uruguay und Deutschland  ■ Von Helmut Höge

Was gibt es Schöneres, als klugen Frauen zuzuhören und zuzuschauen? Torres, Jorge, Estevechea und eine ihrer im Gefängnis geborenen Töchter, Gabriela, waren Aktivistinnen bei den Tupamaros. Die drei deutschen Frauen, Berberich, Czenki und Möller, standen der RAF bzw. der Bewegung 2. Juni nahe. Das 100minütige Video „Und plötzlich sahen wir den Himmel“ wurde in Montevideo, Frankfurt und Berlin gedreht, an den Wohnorten der interviewten Frauen. So ist es trotz des Versprechens der feministischen Filmgruppe (deren „Projekt“ zudem von einer Vielzahl von Initiativen unterstützt wurde) doch bloß eine Dokumentation von „Talking Heads“ geworden.

Von Irmgard Möller sehen wir wenig mehr als ihre Freilassung 1994, dafür kommt ausführlich Gisela Wiese zu Wort, die jahrzehntelang erst Zeugen in Naziprozessen betreute und dann RAF-Prozesse besuchte. Sie ist „Pazifistin, aber nicht um jeden Preis“, und wird in der typischen Frauenpose (am Abgrund, d.h. am Geländer) interviewt. Monika Berberich spielt auf einem Hinterhof mit ihrer zahmen Krähe „Erna“. Yessie Macchi Torres raucht in der Küche Zigaretten. Die südamerikanischen Terroristinnen sind bedeutend runder als ihre eher verhärmten deutschen Kampfgenossinnen. Vielleicht liegt es daran, daß erstere nach einem halben Sieg und Ablösung der Militärdemokratie amnestiert wurden (aus dem Foltergefängnis wird gerade ein Supermarkt), während letztere bis zum bitteren Strafende und der ebenso empfundenen Wiedervereinigung hinter Gittern bleiben mußten? Und dann sind die einen katholisch und die anderen protestantisch...

Der Titel des Films „Und plötzlich sahen wir den Himmel“ bezieht sich auf eine Aktion der im „Frauen-Konzentrationslager“ von Montevideo Inhaftierten, die ihnen als eine besonders gelungene in Erinnerung geblieben ist: Wochenlang lösten sie heimlich die Verankerung der Fensterverkleidungen hinter den Gittern. Auf ein Signal hin wurden dann alle Verkleidungen auf einmal herausgedrückt. Die Tupamaro-Kämpferinnen erzählen aber auch von ihren Liebhabern, zeigen Fotos, bekamen Kinder im Knast, bedauern, daß sie ausgerechnet in der Blütezeit ihrer Schönheit inhaftiert waren. Dazu wird eine Blüte gezeigt. Und das Guerilla-Vorbild hüben wie drüben wird in dem Film als Schriftzug eingeblendet: Che.

Das streng antifaschistische Frauenfilmkollektiv, auf dem Foto so jung wirkend, hat alle in der alten Sowjetunion einst entwickelten feministischen Propaganda- Tricks drauf – obwohl es natürlich weiß, daß die Waffe der Kritik (Beta-Cam) die Kritik der Waffen (hier Kalaschnikow, dort eine 38er) nicht ersetzen kann. Vergleicht man diese jüngste Terroristinnengeneration des Westens (Monika Berberich wurde erstmalig in den Sechzigern im Osten – als Fluchthelferin – inhaftiert) mit den schon fast zu Klassikern gewordenen weiblichen politischen Gefangenen in Rußland – von der „Dekabristin“ Maria Wolkonskaja über die Terroristinnen Vera Sassulitsch und Vera Figner bis zur „Trotzkistin“ Jewgenia Ginsburg –, dann fällt einem auf, daß man es hier mit einer fortdauernden echten Romantik zu tun hat.

„Das Romantische war vielleicht, daß wir alle glücklich waren“, meint Yessie Macchi Torres, eine ehemalige Chefsekretärin, über ihre Untergrundzeit. Monika Berberich spricht davon, daß dabei „die Frauen sehr viel weniger zu verlieren und sehr viel mehr zu gewinnen“ hatten. Und Graciela Jorge, die zu den Frauen in der 1. Reihe der Tupamaros gehörte, erwähnt, daß sie einen starken Zulauf vor allem aus dem „Lumpenproletariat“ hatten. Man spürte diese romantische Ganzheitlichkeit, wie die evangelische Pastorin von Bischofferode, Christine Haas, das 1995 nannte, noch in den ersten deutschen Terroristinnen- Veröffentlichungen: in der Biographie von Katharina de Fries „Gestreifter Himmel“ beispielsweise. Aber zuletzt war davon nur wenig mehr als DDR-Kitsch übriggeblieben.

Selbst solche Aufarbeitungen gingen jedoch tiefer als die der mit den „Genres“ (Wassili Axjonow) hadernden männlichen Terroristen. „Wir wollten nicht mehr reden, sondern handeln“, sagt die eine im Film und „die Sprache der Guerilla ist die Aktion“, sagte neulich ein anderer (auf einer deutschen Bühne). Um so trauriger ist es, daß keine der acht Frauen bei ihrer heutigen Arbeit – in action also – gefilmt wurde. Bis auf Graciela Jorge – kurz als Ansagerin im Tonstudio, und Monika Berberich – als Fahrradkurierin, ein Job, den ich ebenfalls für Kitsch halte, wenn auch für einen legitimen: Um jung und sportlich zu sein und damit Geld zu verdienen (für das Lumpenproletariat der einzig mögliche individuelle Aufstieg aus der Misere, und für die anderen auch nicht gerade ein Existenz-Handicap!).

Der Videofilm als „Hinteraktives Medium“ – d.h. daß hinter der Kamera grundsätzlich mehr passiert als vor ihr – produziert jedoch selbst seine „Aktion“. Das Frauen- Filmkollektiv (mit dem etwas süßlichen Firmennamen interoceana – alles meert) spricht in einem Faltblatt von „Anekdoten zu den Dreharbeiten“ – und erwähnt zwei, die in ihrer Auswahl das ganze „Projekt“ quasi noch einmal romantisch zusammenklammern: „Die gescheiterten Versuche der Uruguayas, den Deutschen den Tango beizubringen, der als Überfall anmutende (sic!) Einsatz der SEK Frankfurt, bei dem das Filmteam mit schußbereiten Waffen umstellt und aus dem Bus gezwungen wurde.“ Dazu paßt, daß die BRD im Film von ihnen am liebsten mit soldatischen Männern illustriert wird.

Aber das sind alles Kleinlichkeiten. Was bleibt, ist der Eindruck, daß die porträtierten Frauen wirklich was geleistet haben, und die Hoffnung, daß die kommende Terroristinnengeneration mindestens genauso klug ist und dazu beiträgt, die Welt vollends „durchzuromantisieren“, wie das in den frühen Anfängen der „Bewegung“ hieß. Es war übrigens der russophile Nietzsche, der als erster darauf hinwies, daß diese Anfänge schon damals nur von einem guten Halbdutzend Frauen (jüdischer Frauen) wirklich verstanden wurden.

„Und plötzlich sahen wir den Himmel“, interoceana Video 1996, vom 10. bis 16. Juli im Kreuzberger fsk-Kino, Segitzdamm 2

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