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Das geheime Leben der Agenten

Geheimdienste bewegen sich in einem rechtsfreien Raum. Die aktuellen Fälle zeigen, wie schwer es ist, dabei eine Balance mit dem Prinzip der öffentlichen Kontrolle zu finden

Auch wenn heute die Datensammlung die Spionage ersetzt: Noch immer gibt es eine illegale Nachtseite Die Bundesregierung behauptet, sie sei dem Gesetz treu. Doch auch sie kennt den Vorrang der Staatsräson

13 Haftbefehle hat die Staatsanwaltschaft München gegen Mitarbeiter des CIA ausgestellt – wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung im Fall von Khaled El Masri. Sie kamen reichlich spät und werden wahrscheinlich ohne Folgen für die Beschuldigten bleiben. Dennoch sind diese Haftbefehle weit mehr als ohnmächtige symbolische Aktionen der deutschen Justiz. Vielmehr werfen sie ein grelles Licht auf die sich wandelnden Beziehungen zwischen dem durch Recht und Gesetz geordneten Raum und jenem „außerrechtlichen“ Bereich – jenem dunklen Grenzbezirk, wo die Geheimdienste hausen.

Ursprünglich war in Staatsdingen fast alles geheim, worauf noch heute Titel wie der wirkliche Geheimrat oder das (heute von jedermann nutzbare) geheime Staatsarchiv hindeuten. Dieses Reich des Schweigens betraf die arcana imperii (lat. „Geheimnisse der Herrschenden“), und darunter zählte alles, von der Staatsverschuldung bis zur Stärke des stehenden Heeres. Sogar die Debatten des englischen Parlaments unterlagen bis zum 19. Jahrhundert der Geheimhaltung. Diese Arcana waren Ausfluss fürstlicher Souveränität, nicht unbedingt und nicht nur Maßnahmen zur Verdeckung von Untaten. Seine Pläne zu verbergen galt als Staatsklugheit, und das Staatsgeheimnis sowie seine Wächter folgten einer unbezweifelten Maxime der Herrschaftsstabilisierung nach innen und nach außen.

Mit dem Aufstieg der Bourgeoisie und der Gedankenwelt des Liberalismus gerät die Legitimation des Regierungsgeheimnisses ins Wanken. Der Ruf nach Öffentlichkeit und Transparenz des Regierungshandelns versetzt das Staatsgeheimnis wie die Geheimnisträger und -zuträger auf die Anklagebank. Was sich der Öffentlichkeit entzieht, ist per se verdächtig.

Georg Simmel, der diesem Zersetzungsprozess der Arcana in seiner „Soziologie“ untersuchte, schrieb noch vor dem Ersten Weltkrieg: „Das Öffentliche wird immer öffentlicher, das Private immer privater“. Damit bezeichnete er die Tendenz, dass das Geheimnis, jetzt verstanden beispielsweise als gehütetes Vieraugengeheimnis, in die private Sphäre abwanderte, wo es den Schutz höflicher Distanz genoss oder, wie im Briefgeheimnis, sogar rechtlich abgesichert wurde. In der politischen Sphäre hingegen stieg die Öffentlichkeit zur Kontrollinstanz empor.

Simmels Diagnose erwies sich als übereilt: nicht nur wegen des Siegeszugs der totalitären Staaten im 20. Jahrhundert mit ihrer alles überwuchernden Geheimhaltung und ihren allzuständigen Geheimdiensten. Auch in demokratischen Regierungssystemen mit ihrem Öffentlichkeitsgebot erweiterte sich der Umkreis der Geheimhaltung. Wesentlicher Motor dieser Entwicklung war der „Kalte Krieg“. Es galt, rechtzeitig ein umfassendes Bild der Absichten des Gegners zu ermitteln, der von beiden Seiten als kriegsbereit und angriffslustig gesehen wurde. Dem Kalten Krieg und der mit ihm verbundenen westlichen Angst verdankte es auch die „Abteilung fremde Heere Ost“ der Wehrmacht unter dem General Gehlen, unter die Fittiche der Amerikaner genommen zu werden und später als Bundesnachrichtendienst (BND) der Bundesrepublik zu reüssieren.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geriet mit den westlichen Geheimdiensten auch der BND in die Sinnkrise. Welche Geheimnisse bedurften künftig noch des Schutzes, und welche Funktion blieb den Diensten? Jetzt galt es, ein der Öffentlichkeit zugewandtes Bild zu zeigen, sich als objektiver Sammler und Bewerter von Fakten, quasi als ein Institut der Sozialforschung zu gerieren. Aber wie Eva Horn, eine seit längerem den Geheimdiensten zugewandte Literaturwissenschaftlerin, uns gezeigt hat, ist der Untersuchungsgegenstand der „Dienste“ nach wie vor „der Feind“. Er ist es, dessen Absichten untersucht, dessen Reaktionen vorweggenommen werden müssen. Das geheimdienstliche Wissen ist niemals neutral, es ist „gerichtet“, mit kurzfristigen Verfallsdaten versehen. Stets muss es auf der Hut vor der Täuschung durch den Gegner sein, wie es seinerseits Informationsfalschgeld in Umlauf setzen muss. Auch ist das Geheimniswissen der Dienste definitionsgemäß niemals überprüfungsfähig durch eine dritte, unbeteiligte Instanz. Selbsthypnose, Täuschung und Selbsttäuschung sind auch heute die notwendigen Begleiter geheimdienstlichen Wissens.

Daran ändert auch die Tendenz nichts, an die Stelle der klassischen Spionage und des Hütens von Geheimnissen objektive Datenerhebungen zu setzen – sei es durch satellitengestützte Beobachtung des Raums, sei es durch immer umfassendere Kontrolle der Kommunikation. Denn die Gewichtung und Analyse der Daten folgt immer noch der eingespielten Logik des Freund-Feind-Verhältnisses samt den dazu gehörigen Vorwegannahmen, deren Falsifizierung im geschlossenen System der Dienste gerade nicht möglich ist.

Nach wie vor hat die fleißige Sammlertätigkeit der Dienste ihre illegale Nachtseite. Nach wie vor wird der rechtsfreie Raum von den Geheimen bevölkert. Welche Legitimation können geheimdienstliche Aktionen jenseits der Legalität für sich mobilisieren? Jetzt soll die Auslandsaufklärung des BND der Terrorismusbekämpfung unter die Arme greifen. Während aber die Polizei beim Kampf gegen die Terroristen wenigstens dem Anspruch nach an rechtsstaatliche Regeln gebunden ist, verschiebt sich bei den Diensten lediglich der rechtsfreie Operationsraum. Alles eine Frage der Balance zwischen dem Grundprinzip öffentlicher Verantwortung und einer möglichst eng begrenzten, defensiv gefassten Arbeit außerhalb des Rechts? Eine solche Balance ist nicht möglich, denn die geheimdienstliche Tätigkeit entzieht sich ihr kraft Ausdehnung. Genauso wenig wie eine säuberliche Trennung zwischen legalen und illegalen Methoden der Nachrichtenbeschaffung möglich ist. Parlamentarische Kontrolle? Dort wird geheim verhandelt, was die Dienste für kontrollwürdig erachten.

Bislang hat die Bundesregierung alles getan, um die Existenz eines rechtsfreien Raums zu leugnen und ihr eigenes Handeln im Geheimdienstmilieu als strikt gesetzestreu zu verkaufen. Diese Position hat durch das Verhalten im Fall Kurnaz Risse bekommen, wurde doch die Rechtspflicht der Regierung zur Hilfe in diesem Fall mit dem Hinweis auf allgemeinste Sicherheitsbedenken, also ein „rechtsfreies“ Argument der Staatsräson, konterkariert.

Die Haftbefehle im Fall El Masri werden unsere Regierung erneut mit der Frage konfrontieren, ob sie gegenüber Geheimdiensten – in diesem Fall der CIA – eine rechtsstaatliche Vorgehensweise unterstützen wird. Ob sie also von der amerikanischen Regierung die Auslieferung der mit Haftbefehl Gesuchten verlangen wird. Oder ob sie aus Gründen der Staatsräson auf den Strafverfolgungsanspruch der Bundesrepublik verzichten und damit den rechtsfreien Raum geheimdienstlicher Aktivitäten bestätigen wird.

CHRISTIAN SEMLER

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