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„Ein Schlag ins Wasser“

Die Durchsuchungsbeschlüsse seien so vage, dass kein Ermittlungsrichter sie hätte erlassen dürfen, kritisieren Anwälte

DICHT GEKNÜPFTES NETZ

Selbst wenn es dem Bundeskriminalamt tatsächlich darum ging, wenige Wochen vor dem G-8-Gipfel linke Strukturen zu zerschlagen – gelungen ist das nicht. Eins der insgesamt vierzig von den Razzien betroffenen Objekte war die Internetplattform so36.net, auf der zahlreiche linke und alternative Initiativen ihre Webseiten betreiben. Und tatsächlich: Kaum waren die Polizisten zugange, waren zahlreiche Seiten wie die G-8-Protestseite gipfelsoli.org nicht mehr abrufbar. Der Shutdown hielt jedoch nicht lange an. Am Abend lie- fen die Seiten schon wieder wie gehabt. Die Globalisierung macht’s möglich. TAZ

VON KAI VON APPEN, Heike Haarhoff, FELIX LEE UND ARMIN SIMON

Am Morgen nach der Razzia ist Elke Schmidt im Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg mit Aufräumarbeiten beschäftigt. „Ein PC, zwei Laptops, eine Festplatte, einen Drucker haben sie allein aus unserem Büro mitgenommen“, bilanziert sie. Schmidt arbeitet für die Dokumentationsstelle Antirassistische Initiative e.V., ehrenamtlich, wie alle hier. Ihr Büro dokumentiert Todesfälle und Verletzungen von Flüchtlingen in Deutschland. „Unsere Daten sind öffentlich und die Adressen, die wir speichern, kriegt man überall.“ Insofern ist Schmidt verwundert, weshalb die Razzia ausgerechnet ihrer Dokumentationsstelle galt. „Das ist natürlich eine extreme Behinderung unserer Arbeit.“ Gewöhnlich dauere es zwischen sechs und neun Monaten, bis die beschlagnahmten Computer wieder herausgerückt würden. „Glücklicherweise haben wir von allen unseren Arbeiten rechtzeitig Kopien gezogen.“

Ein Tag nach dem größten Schlag gegen die linke Szene der vergangenen Jahre zeigt sich das Ausmaß der Großrazzia. Die Bilanz fällt ernüchternd aus – vor allem fürs Bundeskriminalamt (BKA), das ja immerhin wegen des § 129a, also wegen des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.

Allein im Großraum Berlin befanden sich unter den 23 betroffenen Objekten ein linker Buchladen, eine Bildagentur und das Künstlerhaus Bethanien. Wie sich im Nachhinein herausstellt, richteten sich die Ermittlungen nicht gegen die linken Projekte selbst, sondern sie dienten, wie sich aus einem der taz vorliegenden Durchsuchungsbeschluss ergibt, zur Sicherstellung von Beweismitteln in einem größeren Zusammenhang. Aufhänger der Ermittlungen: Ein vier Jahre altes Buch mit dem Titel: „Autonome in Bewegung“. Darin werden ausführlich die Entwicklung der autonomen Szene seit Beginn der 80er-Jahre beschrieben. Zudem widmen sich die anonymen Autoren den Protestvorbereitungen gegen die Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 1988. Das Bundesministerium für Jugend wollte das Buch bereits auf den Index für jugendgefährdende Medien setzen, scheiterte mit dem Antrag jedoch. Nun gehen die Ermittler davon aus, dass zum bevorstehenden G-8-Gipfel in Heiligendamm militante AktivistInnen auf ähnliche Protestformen wie die von 1988 zurückgreifen. Ihre Annahme: Die AktivistInnen von damals schulen militante JungaktivInnen von heute. Daher auch die hohe Zahl an AltaktivistInnen in der Namensliste der Bundesanwaltschaft.

Ähnlich dünn sieht die Beweislage in Norddeutschland aus. „Einen Schlag ins Wasser“, nennt der Hamburger Anwalt Andreas Beuth die Staatsschutzaktion in der Hansestadt. Die Durchsuchungsbeschlüsse seien so „vage und blind“ gewesen, dass sie eigentlich kein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof erlassen dürfte. Es habe ausgereicht, dass die Beschuldigten der „linksautonomen Szene zugerechnet“ würden. In Hamburg waren von den Razzien vor allem Jugendliche aus dem Schanzenviertel betroffen, die gegen ein Luxushotel im Park kämpfen und auch schon einmal der Sachbeschädigung bezichtigt worden sind. Deren Verfahren seien allesamt eingestellt worden. „Man hat den Eindruck, dass die Bundesanwaltschaft nicht im Geringsten weiß, wer hinter dem Protest gegen den G-8-Gipfel steckt“, bekräftigt ein weiterer Anwalt.

In Bremen hat es vor allem Fritz Storim getroffen, Mitbegründer der linken Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (Maus e.V.). Der langjährige Atomkraftgegner sah sich schon einmal mit dem Terrorismusvorwurf konfrontiert. 1996 ermittelte die Bundesanwaltschaft gegen ihn wegen angeblicher Anschläge auf Oberleitungen der Bahn. Schon damals durchsuchten die Ermittler Privat- und Büroräume des Physikers und beschatteten Treffen, die er besuchte. Als das Verfahren nach sieben Jahren eingestellt wurde, füllten die Observationsdaten acht dicke Ordner. Storim ist inzwischen weit über 60.

„Der § 129a erfüllt vor allem zwei Funktionen“, sagt Hannes Honecker, Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsvereins. „Zum einen setzen die Sicherheitskräfte damit ein Signal der Einschüchterung an die potenziellen Protestierer in Heiligendamm.“ Zum anderen kämen die Beamten auf diese Weise sehr leicht an Informationen über die linke Szene.

„Es ist doch selbstverständlich, dass unsere Maßnahmen gesetzeskonform sind“, widerspricht hingegen der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Frank Walenta. Der Zweck der Durchsuchungen sei nicht gewesen, Material über die Struktur der G-8-Protest-Bewegung zu besorgen. Den Fahndern gehe es um die Verhinderung geplanter Anschläge.

MITARBEIT: DANIEL SCHULZ

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