piwik no script img

„Es war ein Abenteuer“

Hanna Knebusch ist Pionierin in Sachen Neues Wohnen: Vor fast 50 Jahren bezog sie im Hansaviertel einen Bungalow. Sie lebt immer noch da, in diesem „Nest an guter Architektur“. Ein Hausbesuch

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Hanna Knebusch nennt die Dinge beim Namen. Beim Nachnamen zumeist, Pollock, Jensen, Jacobsen. Hanna Knebusch redet so von ihren Möbeln. Und doch mag das Wort „Designermöbel“ nicht so recht passen, klingt es doch eher nach schönem Schein und nicht nach guter Form. Ihre Möbel aber kommen aus einer Zeit, als Designer noch Formgeber genannt wurden. Einer von ihnen, der dänische Architekt Arne Jacobsen, hat Hanna Knebuschs Bungalow eine besonders feine Form gegeben. Das Attribut „fein“ beschreibt indes auch Hanna Knebusch ganz gut.

Im Frühjahr 1959 hielt der Möbelwagen im Hansaviertel. Raus aus der Wilmersdorfer Altbauwohnung, hinein in die Moderne. Seitdem lebt die heute 79-Jährige in der Stadt von morgen. Und pflegt den Nimbus eines Architekturdenkmals mit andächtigem Stolz: „Der Wert dieses Hauses ist nur seine architektonisch-künstlerische Idee, es gibt nichts Prahlendes, nichts Protzendes. Alles ist simpel, ehrlich, geradeaus.“ Überall nur diese funkelnde Funktionalität, für die Arne Jacobsen, für die das Hansaviertel steht. Und man weiß nicht so recht, ob es nun an Herrn Jacobsen oder an Frau Knebusch liegt, dass die Ordnung der Dinge in diesen 140 Quadratmetern so ganz und gar vollkommen scheint. Marcel Breuers Wassily-Chair vor dem raumhohen, fast rahmenlosen Wohnzimmerfenster, die zylindrischen Salz- und Pfefferstreuer neben dem weißen, runden Küchentisch, alles hat seinen selbstverständlichen Platz.

Dabei sieht es in der Händelallee 35 nicht einmal aufgeräumt aus. Eher ordentlich in einem fast schon raumphilosophischen Sinn. In vielen kleinen Dingen manifestiert sich zwischen den meist weißen und manchmal petrolblauen Wänden die Idee des Hansaviertels. Eine Idee, die auch und vor allem aus der Unordnung geboren war: „Es war ein Schock, diese zauberhafte Ausstellung in dieser Brache Berlin. Überall sah man ja noch die Trümmergrundstücke und die Bombentrichter und mittendrin dieses Nest an guter Architektur.“ Ein Dorf namens Moderne in einer wüsten Stadt.

Hanna Knebusch sollte sich von diesem wohltuenden Schock nicht mehr erholen. Gemeinsam mit ihrem Mann Hans-Christoph, damals Kulturjournalist beim Rias und später stellvertretender Leiter des Berliner ZDF-Studios, sog sie begeistert alle Eindrücke und Ideen auf, die die am 12. Mai 1957 eröffnete Internationale Bauausstellung einer ausgetrockneten Stadt zu offerieren vermochte. Zwischen Tiergarten und Stadtbahn waren zwei Kirchen, ein Theater, eine Bibliothek, vor allem aber Punkthochhäuser, Wohnriegel und Bungalows entstanden. „Dem Inhalt nach demokratisch, der Form nach international“ sollte ihre Architektur sein – intendiert auch als Fingerzeig auf die Stalinallee, das Prestigeobjekt im Ostteil, dessen formale Gestaltung im Zuckerbäckerstil weit hinter die Moderne zurückgefallen war. Oscar Niemeyer und Alvar Aalto, Gropius, Eiermann, Ruf oder Ruegenberg, im Hansaviertel haben eigentlich alle gebaut. Eine Million Menschen sollten die Ausstellung mit dem programmatischen Titel „Die Stadt von morgen“ besuchen. Sie besichtigten einen Stadtraum in Aufbruchstimmung.

Staunend standen auch die Knebuschs erst zwischen den kühnen Neubauten: „Was war das für ein Abenteuer, wir waren hingerissen von der Architektur und konnten gar nicht genug sehen.“ Auch ihr späteres Wohnzimmer haben die beiden damals quasi schon besichtigt: Von den drei raumsymmetrischen Reihenbungalows war während der Interbau die Hausnummer 39 bereits fertig gestellt. Ihr Haus sollte ein Nachzügler bleiben. Im Frühjahr 1959 war es als eine der letzten Wohneinheiten des Hansaviertels noch nicht verkauft. Und so ist Hanna Knebusch in den Zug gestiegen und hat ihre Eltern im Münsterland um einen Vorschuss auf das Erbe gebeten. „Wir waren ja beide noch jung und hatten gerade einmal 5.000 Mark gespart.“

Die offene Küche, quasi ein Küchenflur, sei es gewesen, die das Jacobsen-Haus damals so schwer verkäuflich gemacht hatte. Oder die fensterlose Straßenfassade; der Bungalow zieht sich durch einen zweieinhalb Meter breiten Riegel aus Funktionsräumen – das Bad, ein Windfang, zwei Abstellkammern – von der Straße zurück. Das Öffentliche und das Private, Transparenz und Verborgenheit wurden im Hansaviertel in neue Relationen und streng funktionale Hüllen gesetzt. Um nichts weniger ging es als um ein Neues Wohnen. Und die Knebuschs haben sich gern von Arne Jacobsen an die Hand nehmen lassen, auch wenn sie ihn persönlich nie kennen gelernt haben: „Ich habe beim Wohnen gemerkt, dass ich deutlich weniger genial bin als mein Architekt.“ Weshalb sich das Haus nach 50 Jahren noch immer in seinem Originalzustand präsentiert. Selbst die feine Strukturtapete im Wohnzimmer hatte sich Arne Jacobsen genau so ausgedacht.

War Westberlin eine Insel, war es das Hansaviertel umso mehr. Erst recht, als mit den Sechzigerjahren absehbar wurde, dass Großstadtarchitektur und Stadtentwicklung andere, einfallslosere Wege gehen würden. Im Geiste von Bauhaus und Interbau wurden in Westberlin vielleicht nur noch Mies van der Rohes Nationalgalerie und Hans Scharouns Philharmonie gebaut.

„Von Anfang an haben wir uns hier gefühlt wie eine Gruppe privilegierter Leute, die zusammengehören“, erinnert sich Hanna Knebusch an die Nachbarschaft aus Architekten, Professoren, einem Tagesspiegel-Chefredakteur. Für eine gewisse Zeitstrecke war das Hansaviertel beides gleichzeitig: nachbarschaftliche Dorfgemeinschaft und Community eines liberalen Kulturbürgertums. Von „unserer Akademie der Künste“ spricht die 79-Jährige, selbst Journalistin und ausgebildete Konzertcembalistin, deshalb auch ganz selbstverständlich. Und das nicht erst, seit die neue, eigentliche Akademie wieder am anderen Ende des Tiergartens auf dem Pariser Platz zu finden ist.

Das Wohnen im Wir-Gefühl, auch im Hansaviertel ist es irgendwann abhanden gekommen. Man mag darin ein generelles Phänomen einer individualisierten, vereinsamten Spätmoderne finden, von dem auch ein einmal radikal modernes Projekt wie die „Stadt von morgen“ nicht verschont geblieben ist. Oder man erinnert sich, wie die für Augenblicke tatsächlich zornige Hanna Knebusch, an die Love Parade oder die Fußball-Fanmeile. Als nackte Menschen mit vollen Bierkästen auf das Dach ihres Bungalows kletterten und in den Vorgarten urinierten. Die Stadt als Event – nichts könnte weiter entfernt sein von der Idee des Hansaviertels als die vulgäre Lust am öffentlichen Spektakel.

Ausstellung „die stadt von morgen“, 50 Jahre Hansaviertel, bis 15. 7., Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Mo.–Fr. 15–20 Uhr, Sa./So. 12–20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen