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Polizeistelle Post

Polizei bestätigt Briefkontrollen. Bundesanwaltschaft: Es wurde nur ein Brief geöffnet

„Wir sind kein Land, in dem Geisteskranke unterwegs sind“, meinte Innenminister Wolfgang Schäuble

AUS HAMBURG UND BERLIN KAI VON APPEN, ELKE SPANNER UND DANIEL SCHULZ

Werner Jantosch muss sich einen Moment sammeln, ehe er seiner Stimme die Festigkeit verleihen kann, mit der er gleich den Satz des Tages sagen wird: „Ja, ich stehe zu dieser Maßnahme“, sagt der Hamburger Polizeipräsident. „Ich finde sie richtig und sinnvoll, denn sie dient dazu, Licht in das Dunkel der Anschläge zu bringen.“

Jetzt ist es offiziell. Das Hamburger Landeskriminalamt hat auf seiner Suche nach militanten G-8-Gegnern Briefe in einem Zustellzentrum kontrolliert. Beamte haben manche Schreiben sogar direkt aus den Postkästen geangelt. Auch der Leiter des Hamburger Staatsschutzes, Detlef Kreutzer, räumte gestern die Kontrollaktion ein und bestätigte damit einen Bericht der taz von gestern.

Das Landeskriminalamt suchte nach Bekennerschreiben zu verschiedenen Anschlägen, die es in den vergangenen Tagen in Hamburg gegeben hatte. Dabei war das Auto von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann angezündet und das Haus eines Lufthansa-Technik-Chefs mit Farbbeuteln beworfen worden.

Die Hamburger Polizisten handelten auf Anweisung der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Diese hatte sich zuvor das Recht auf die Durchsuchungen von einem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof bestätigen lassen.

Als sie den Beschluss in der Tasche hatten, sahen sich nach taz-Informationen etwa ein Dutzend Fahnder von Dienstag bis Donnerstag dieser Woche Briefsendungen genauer an und prüften die Absender. Sie hatten für die neue Polizeifiliale sogar einen Namen: „Außenstelle Post“.

Die Bundesanwaltschaft erklärte gestern, dass die Ermittler in den Tagen der Kontrollaktion nur einen einzigen Brief geöffnet hätten. „Die übrigen Postsendungen wurden nur äußerlich in Augenschein genommen und sodann unverzüglich in den weiteren Postgang gegeben“, sagte gestern ein Sprecher der Bundesanwaltschaft.

Unklar bleibt, nach welchen Kriterien die Polizei bei ihrer Suche vorgegangen ist und ob es diese überhaupt gab. Zwar sagte Staatsschützer Kreutzer gestern, es habe nur eine „punktuelle Kontrolle“ des Briefverkehrs gegeben. Präzisieren wollte er diese Aussage jedoch nicht.

Das Briefzentrum Hamburg-Mitte hatten die Behörden wohl wegen seiner günstigen Lage gewählt. Schließlich wird hier die Post der „linken“ Szeneviertel Altona, St. Pauli, Eimsbüttel und Schanzenviertel sortiert. Die Planung des Einsatzes hatten die Karlsruher Staatsanwälte dem Bundeskriminalamt (BKA) übertragen, und das hatte die Beamten des Hamburger Landeskriminalamts (LKA) mit der Ausführung beauftragt.

Einige der staatlichen Kontrolletis nahmen sogar weite Fußwege auf sich, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Sie gingen mit einem Angestellten der Post auf Tour und nahmen ihm die Briefe gleich ab, nachdem er die Postkästen auf seiner Route geleert hatte. Angestellte der Deutschen Post haben den Polizisten keine Hilfestellung gegeben, erklärte ein Sprecher des Unternehmens. „Da wird unser Personal rigoros abgezogen.“

Selbst die Redaktion der Hamburger Morgenpost war stutzig geworden, nachdem der Bekennerbrief zum Diekmann-Anschlag einen Tag später in der Redaktion eingetroffen war als bei der Deutschen Presseagentur. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hartmut Lubomierski äußerte erhebliche Zweifel, dass es eine „rechtliche Grundlage“ für die Maßnahme gebe. „Ich habe erhebliche Bedenken und halte das für unangemessen.“

Die „G-8-Hysterie“ führe dazu, dass sich „die Spirale der Eingriffe in Freiheits- und Grundrechte immer weiterdreht“, kritisierte Lubomierski, „und Sicherheitsbehörden ihre Überwachungsfantasien nicht mehr in den Griff bekommen.“ Man könne aber „nicht ganze Stadtteile unter Generalverdacht stellen“, sagte der Datenschutzbeauftragte.

Oppositionspolitiker im Bundestag haben empört auf die Durchsuchungsaktion reagiert. FDP-Vizefraktionschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte der taz: „Der Staat muss aufpassen, dass er jetzt nicht überzieht.“ Es seien Zweifel angebracht, ob solche Maßnahmen verhältnismäßig seien.

Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Wolfgang Neskovic, sprach von einer „maßlosen Hysterisierung“. „Wenn man sich Zeitpunkt, Art und Ausmaß der gesamten Maßnahmen vor Augen führt, dann trägt das ganz klar den Verdacht der Unverhältnismäßigkeit und der politischen Machtdemonstration.“

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bestritt, dass die Durchsuchungen etwas mit dem bevorstehenden G-8-Gipfel zu tun hätten: „Die Staatsanwaltschaft führt Verfahren wegen begangener Straftaten.“ Aber das geschehe nicht in Vorbereitung auf Heiligendamm: „Wir sind kein Land, in dem Geisteskranke unterwegs sind!“

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