: Rauswurf wegen Renitenz
ARBEITSGERICHT Baubehörde entlässt Schwerbehinderten, weil er nicht in Erwerbsunfähigkeitsrente gehen will. Personalrat stimmt Kündigung zu
Für den Anwalt Rolf Geffken ist das Vorgehen der Stadtentwicklungsbehörde gegen seinen Mandaten Wolfgang Bartels ein „Fall, der kaum zu glauben ist“. Da sich Bartels weigerte, eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen, weil er sich für seinen Job als Elektriker noch fit genug fühlt, hatte die Behörde das Arbeitsverhältnis des Schwerbehinderten für „beendet“ erklärt. Der Personalrat stimmte dem Rausschmiss zu – so wie vor zwei Jahren dem Versuch den widerspenstigen schwerbehinderten Elektriker Muharrem D. los zu werden (taz berichtete).
Die Behörde stützte sich bei ihrem Vorgehen auf einen Passus im Tarifvertrag des Öffentliches Dienstes der Länder (TVÖD-L), in dem es heißt: „Verzögert der Beschäftigte im Fall einer Erwerbsminderung den Rentenantrag, so tritt an die Stelle des Rentenbescheids das Gutachten eines Amtsarztes.“ Das Arbeitsverhältnis ende in solchen Fällen mit Ablauf des Monats, in dem dem Beschäftigten das Gutachten bekannt gegeben worden sei.
Geffken beantragte gegen die Kündigung durch die Hintertür eine Einstweilige Verfügung. Hier solle jemand rausgeschmissen werden, „nur weil er auch mal auf seine Arbeitnehmerrechte pocht“. Bartels sei gar nicht bekannt gewesen, dass ein amtsärztliches Gutachten in Auftrag gegeben werden sollte, „sondern es wurde ihm das Ergebnis mitgeteilt“, behauptet Geffken. Von einem Tag auf den anderen stand der 58-jährige Bartels ohne Gehalt da, bekam aber auch kein Krankengeld. Denn der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen hatte Bartels in einem sozialmedizinischen Gutachten für arbeitsfähig erklärt.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab Bartels Recht: Die Behörde habe es versäumt, ihn über die Einholung des Gutachtens zu informieren. Der TVÖD-L sei so auszulegen, dass es ausgeschlossen sei, „dass ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis verliert, ohne über diese Möglichkeit und das zu ihrer Abwendung erforderliche Verhalten unterrichtet gewesen zu sein“.
Hinzu komme, dass Bartels als Schwerbehinderter Anspruch auf Beteiligung des Integrationsamtes gehabt hätte. Diese hatte die Behörde jedoch unterlassen, da sie ja nicht von einer Kündigung ausging, sondern das Arbeitsverhältnis als „automatisch beendet“ ansah.
Mit der LAG-Entscheidung ist der Konflikt jedoch nicht beigelegt. Inzwischen ist Bartels offiziell „gekündigt“ worden. Weshalb? „Das ist ein laufendes Verfahren“, sagt Behördensprecher Volker Dumann der taz. „Dazu sagen wir nichts.“
Der Personalrat rechtfertigte seine Zustimmung zur Kündigung mit Bartels „psychischer Labilität“ und dessen Behinderung. Bei Bartels sei mit einer „Steigerung der Leistungsfähigkeit“ nicht zu rechnen. „Der Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung können eine erhebliche Beeinträchtigung der Dienststelle nachvollziehen.“ Heute verhandelt das Arbeitsgericht die Kündigung. KVA
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